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Das Hochwasser in Grimma

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Juni 2013

Die Mauer in den Köpfen

Nachfolgend ein Bericht aus Grimma, einer Kreisstadt in Sachsen, welche aufgrund eines regelmäßig auftretenden Hochwasser in der Presse Erwähnung findet. Was ist zum Schutz der Stadt in den letzten Jahren falsch gemacht oder versäumt worden? Liegt es an der Politik oder an den verschiedensten Interessengruppen? Ein interessanter Situationsbericht.

Die Mauer in den Köpfen

Ein riesiger Betonwall soll Grimma künftig vor Fluten schützen. Bürgerinitiativen kritisieren den Bau als verfehlt. Nun ist die sächsische Kreisstadt abgesoffen. Hätte die fertige Mauer es verhindert?

Aus der Ferne erscheint es wie ein Feuerwehrfest, wäre nicht dieser leicht modrige Geruch, der über dem Marktplatz liegt. Biertischgarnituren sind aufgestellt, auf der Straße eine Batterie Dixi-Klos. Helfer, Feuerwehrmänner, Leute im Blaumann löffeln Linseneintopf. Vor einer Woche floss hier die Mulde, ein beschaulicher Fluss, nicht zu mächtig, nicht zu klein, gerade richtig, um Grimma mit seinen Renaissancehäusern, Kirchen und Gassen zu verzieren. Kurzum, ein anmutiger Ort.

Wenn es nicht die „Fünf-b-Wetterlage“ gäbe, bei der tagelang die Zyklone über dem Erzgebirge kreisen und Sturzbäche schicken. Die eilen über Freiberger und Zwickauer Mulde gen Norden. Oberhalb von Grimma treffen sie zusammen und strömen auf die Stadt zu. Kurz vor den ersten Häusern legt sich der Fluss in eine 90-Grad-Kurve nach rechts. Bei normalem Pegelstand. Doch am 13. August 2002 fraß sich die Mulde, einem Lindwurm gleich, durch Grimma. Als sie wieder in ihr Bett zurückgekehrt war, blieb ein sächsisches Vineta zurück: Fast 700 beschädigte Häuser, 45 abbruchreif, Schadenssumme: 225 Millionen Euro. Als sie alle Durchflussmengen addiert hatten, sprachen Hydrologen von einem „200-jährlichen Ereignis“. Nach elf Jahren kam es wieder.

Blick zu den Wolken

Ute Finsterbusch steht vor ihrem Jeansladen. Gleich müsste der Baugutachter kommen, der ihr sagen wird, ob der geflieste Fußboden noch zu gebrauchen ist. Gebläserüssel stecken in aufgebohrten Öffnungen und drücken Luft in den Boden. Vor drei Jahren hat sie das „Go In“ eröffnet. Skeptisch blickt sie zu den Wolken. „Man verfällt in Panik, wenn es länger regnet“, gibt sie zu. Doch der Regen hat für heute aufgehört. Drei Straßen entfernt wälzt sich die Mulde vorbei.

„Etwa siebzig Zentimeter hoch stand hier das Wasser.“ Finsterbusch zeigt auf die Linie an der Wand. Die Jeans hat sie gerettet, die Ladeneinrichtung ist hin. „Die Grimmaer haben nicht gedacht, dass das so schnell wiederkommt“, sagt sie. „Vielleicht eine Arroganz.“ Wahrscheinlich war es der Buchstabenglaube an das Wort „Jahrhundert“-Hochwasser. „Na ja, wir leben am Fluss“, sagt Finsterbusch, als hätte sie sich in ihr Schicksal gefügt. „Das muss man wohl beachten.“ Was das heißt? Hochwasserschutz müsse viel früher ansetzen, länderübergreifend sein. Flüsse brauchten mehr Raum. Sie schließt: „Ich denke, die Mauer hätte was gebracht.“

Die Mauer. Die Grimmaer haben eine Mauer in den Köpfen, mächtiger als die von Berlin, technisch ausgefeilt, Ingenieurskunst erster Güte und nicht gegen Menschen gerichtet, sondern gegen die Mulde. 2007 begannen die Arbeiten. Allerdings ist „Mauer“ eine gehörige Untertreibung. Es geht um ein zwei Kilometer langes Bauwerk aus Beton, das zwölf Meter tief in der Erde steckt, etwa drei Meter in die Höhe ragt, teilweise in Gebäude integriert und mit mächtigen Toren und Luken versehen ist. Mit acht Brunnen, horizontalen Rohren und einem Schöpfwerk. Kostenpunkt: 40 Millionen Euro, finanziert von EU und Freistaat Sachsen.

Für die 30.000-Einwohner-Stadt ist es der größte Bau, der je errichtet wurde, eine Arche aus Beton, ein Monument wie der Turm zu Babel, nur ebenerdig – und auch sonst Objekt biblischer Deutung. Die einen erhoffen sich Schonung vor der Sintflut, die anderen verdammen diesen Wahn, der die Menschen in trügerischer Sicherheit wiegt und die Stadt einbetoniert. Oberbürgermeister Matthias Berger, der 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder durch die zerstörte Stadt führte, übermittelte sein Credo kurz nach der Flut via Bild: „Die Flutmauer hätte das Hochwasser aus der Stadt gehalten!“ Doch Bürgerinitiativen mäkelten an der Idee herum, klagte Berger. Denkmalschützer protestierten, endlose Diskussionen hätten die Planungen behindert. Kurz: „Mauergegner“ haben den Traum vom behüteten Eiland Grimma, von den Fluten umtost, zunichtegemacht.

Der Nachbar der Mulde

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia

Author Joeb07

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