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Stuttgarter Illusionisten

Erstellt von Redaktion am Sonntag 15. September 2019

Motormoloch voller Mörder

File:Mercedes-Benz Museum 201312 07 blue hour.jpg

Von Jürgen Roth

Stuttgart ist eine einzige immobile Hölle und zugleich die deutsche Zentrale des automobilen Wahnsinns. Eine Visite im schwäbischen Dampfkessel.

Es gibt keine Widersprüche mehr. Es passt alles zusammen. Balzacs Bemerkung, dass jedes Kapitalvermögen in einem Verbrechen gründe – in einem multiplen brutalen Vergehen an den Arbeitern, am Geist und am Antlitz der Welt –, wird in hiesigen Breiten nirgendwo sinnfälliger als in einer Stadt, die man unter dem Namen Stuttgart führt. In Stuttgart ist alles haargenau so, wie es ist. Stuttgart ist, was ist. In Stuttgart, diesem süddeutschen Dampf- und Dumpfkessel, hat die radikalste Variante des Protestantismus, der Pietismus, ihr gottbefohlenes Werk der Wertschöpfung vollendet. Hier lebt nichts mehr, und zwar in vorbildlicher Weise.

Es genügt eine Stunde, die man überbrücken muss, bis der nächste Schrottzug fährt. Fraglich, wie alte Menschen, Kranke, Behinderte den Weg hinaus aus der niederträchtigen Totalbahnhofsruine finden sollen. Aber sollten sie? Sollten sie nicht vielmehr aufgeben?

Beckett hat in Stuttgart seine späten, vor Sinnlosigkeit wortlosen Fernsehdramolette inszeniert. Unser Freund Goggo Gensch war damals Assistent beim SDR und musste dafür Sorge tragen, dass dem Nobelpreisträger jeden Tag ein großer Aschenbecher und zwei Flaschen Whiskey bereitgestellt wurden. Beckett war ungemein freundlich, wenn er mal sprach, er rauchte und trank ununterbrochen und gab ab und an ein paar spärliche Regieanweisungen. Er hat alles vorausgesehen.

Stuttgart ist ein Nest voller Mörder, die alles um sich herum und zugleich sich selber umbringen, ohne es zu wissen, die an ihrem simulierten Leben voller Spitzen-SUVs und anderweitiger automobiler Kotze, an ihrer Porsche-Plage und an ihrem Daimler-Dreck ersticken, ohne es zu merken. Es käme einem Akt der Höflichkeit gleich, auf die Schilder über den verkommenen Perrons „Willkommen in der Hölle!“ und „Suizidstadt Stuttgart“ zu schreiben. Wenigstens wüsste man als alsbald fast hoffnungslos Verlorener und Erledigter dann sofort, was einem in Schwabens Motormetropole und Monstermoloch blüht.

Innerstädtisches Unheil

Hilflos und verängstigt tapsen die Schwachen und Desorientierten durch einen betonierten, mit Bauholzplatten überdachten und an beiden Seiten vom übrigen innerstädtischen Unheil abgeschirmten, endlosen provisorischen Gang. Er führt sie, sofern sie nicht vorher zusammenklappen, auf einen gnadenlos vergammelten, schäbigen Rest von öffentlichem Platz, der vollkommen zu Recht nach dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett benannt ist.

„Der Klett wohnte auf dem Killesberg“, erzählt Peter O. Chotjewitz in seiner Autobiografie, „und hatte seinen Traum realisiert, mit dem Porsche vom Killesberg kreuzungsfrei bis ins Rathaus zu fahren. Und so sieht die Stadt heute aus. Das Autobahnsystem, das Stuttgart in tausend Stücke zerreißt, ist unter diesem Herrn Klett und seinem Porsche entstanden.“

Der Arnulf-Klett-Platz geht folgerichtig in die Kriegsbergstraße über. Aber wieso denn „Platz“? Dieser „Platz“ besteht aus einem vier- oder achtundzwanzigspurigen Highway und sonst nichts – ein materialisiertes Inferno, ein für die verrücktgewordene Moderne des verflucht-ewigen, hirnlosen, möglichst rasenden und röhrenden und krachenden Hin und Her paradigmatisches Schlachtfeld, dessen Überquerung man überlebt, um in der apotheotischen Verrottung schlechthin zu landen, auf einem Mahnmal für das, was „Stadtplanung“ geheißen wird und die kalten Herzen der Immobiliengangster vor Entzücken aus dem Takt bringt: der Königstraße.

Quelle       :        TAZ        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —           Mercedes-Benz Museum in Stuttgart zur blauen Stunde.

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Attribution: Julian Herzog

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Unten          —            Porsche Mission E at the IAA 2015

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