DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Stuttgart 21 immer wieder

Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 9. Februar 2018

Tage des Irrsinns

"Ich mag Kopfbahnhöfe" (5410530750).jpg

Von Oliver Stenzel

Wir sind der Bahn sehr dankbar: Seit sieben Jahren dürfen wir über alle möglichen Absurditäten rund um Stuttgart 21 berichten. Und es geht immer noch ein bisschen absurder.

Ein Durchgangsbahnhof ist ein Bahnhof, bei dem die Züge – man ahnt es – durchfahren. Genau deshalb baut die Bahn, das wissen die Stuttgarter seit Jahrzehnten, den neuen Tiefbahnhof. Jetzt kam raus: Das mit dem Durchfahren klappt wohl nicht. Zumindest für ziemlich viele Züge nicht. Im geplanten Tiefbahnhof würde es schwierig werden, Regionalzüge „durchzubinden“, also sogenannte „Durchmesserlinien“ zu schaffen, wie Anfang des Jahres eine Anfrage des Ulmer SPD-Gemeinderats Martin Rivoir an das Landesverkehrsministerium zutage förderte. Die Folge: Die Züge müssten auf dem Abstellbahnhof in Untertürkheim geparkt werden, der Durchgangsbahnhof würde fahrtechnisch zum – na? – genau: Kopfbahnhof werden.

Das Jahr 2018 ist noch jung, aber der Bahn-Irrsinn manifestierte sich im Januar besonders häufig, noch vor der Bahn-Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag. Es fing schon am 8. Januar an, als heraus kam, dass die Bahn nur deutlich weniger Fernzüge als einst versprochen am geplanten Flughafenbahnhof halten lassen will – auch dies eine Erkenntnis aus der Rivoir-Anfrage. Die radikale Abspeckkur hat natürlich einen Grund: Die Bahn hat größte Schwierigkeiten, den Flughafenbahnhof auf den Fildern zu bauen. Nach 16 Jahren immer noch kein Brandschutzkonzept, und wegen „Mischverkehr“ von Fernzügen und S-Bahnen droht S-Bahn-Chaos fürs ganze Netz.

Eine Lösung lag eigentlich schon auf dem Tisch: Anstatt einen 26 Meter unter der Erde liegenden Flughafenbahnhof zu bauen, böte sich ein oberirdischer Halt neben der Autobahn an. Pläne gab es schon, mittlerweile sind sie wieder begraben auf dem Friedhof der Ideen, die Stuttgart 21 wenigstens erträglicher machen würden. Erst stimmte der Stuttgarter Gemeinderat am 23. Januar, mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme von SÖS-Linke-Plus, gegen eine Umplanung, am 29. Januar dann einigten sich alle Projektpartner, Land, Region und Stadt, mit der Bahn auf das Aus des Alternativplans.

S21 Kosteneinschätz Ba Wü.png

Die Bahn weiß aber nicht nur nicht, wie sie den Flughafenbahnhof bauen soll. Sondern offenbar auch nicht, warum Stuttgart 21 laufend so viel teurer wird. Eine parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel (Grüne) Mitte vergangener Woche hatte das ans Licht gebracht. An den oft bemühten Naturschutzmaßnahmen wie Eidechsenumsiedlungen oder Gesetzesänderungen seit Baustart liegt es jedenfalls nicht, das machte Verkehrs-Staatssekretär Enak Ferlemann deutlich.

Ab jetzt ist die Bahn ehrlich – bis zur nächsten Teuerung

Dann kam die Bahn-Aufsichtsratssitzung am Freitag: Stuttgart 21 soll nun 8,2 Milliarden Euro kosten, also nochmal 300 Millionen mehr als gerade eben erst angekündigt, und noch ein Jahr später, erst 2025, fertig werden. Es gibt keine Gründe, an die Dauerhaftigkeit dieser Zahlen zu glauben. Ein Gutachten des Bundesrechnungshofs lag schon 2016 bei 10 Milliarden, eines des Münchner Verkehrsberatungsbüros Vieregg & Rössler ebenso.

Bemerkenswerter war da noch, wie Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla diesen Schritt offenbar vor dem Aufsichtsrat begründete. Der Vorstand, so gab es „Spiegel online“ wieder, „könnte sich ehrlich machen, könnte darauf verweisen, dass man aus der Vergangenheit gelernt habe, in der man der Öffentlichkeit und dem Aufsichtsrat immer nur Berechnungen vorgelegt hatte, von denen man früh wusste, dass sie am Ende nicht ausreichen würden.“

Was sich auch anders formulieren lässt. „Dass Täuschung und Lüge als Taktik angewandt werden, um ein Projekt in Gang zu bringen, scheint am besten zu erklären, warum bei Infrastrukturprojekten die Kosten in hohem Maße und systematisch unterschätzt und Nutzeneffekte überschätzt werden“, hatten schon 2003 der Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter und zwei Co-Autoren in der Studie „Megaprojects and Risk“ dargelegt. Eben jener Rothengatter kalkulierte ein paar Jahre später dann S 21 um ein paar Milliarden zu günstig. Irrsinn? Jaja.

Aussteigen ist wundersamerweise immer teurer als Weiterbauen

Quelle     :    FRONEXT – Wochenzeitung     >>>>>       weiterlesen

———————————————————————————————————————–

Grafikquellen :

Oben      —     Für den Erhalt des Kopfbahnhofs demonstrieren Menschen auch mit kreativen Maskeraden.

2. ) V0n Oben    —  

Kosteneinschätzung zu „Stuttgart 21“ durch die Landesregierung von Baden-Württemberg, Stand Okt. 2011

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>