Streit um den § 219 a
Erstellt von Redaktion am Montag 29. Oktober 2018
Schutz vor LebensschützerInnen
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Papst Franziskus vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord, Beratungsstellen werden tyrannisiert, gegen den „Babycaust“ wird demonstriert – Frauen, die abtreiben wollen, sind zunehmend unter Druck. Und ebenso die, die ihnen helfen.
Nur mal angenommen, vor der Schwabengarage oder vor dem Breuninger-Parkhaus in Stuttgart stünden 40 Tage lang UmweltaktivistInnen mit Bildern von Klimatoten oder von feinstaubzerfressenen Lungen und wollten so AutofahrerInnen abbringen von ihrem fatalen Tun. Die Aufregung wäre sicher schnell hochgekocht und solchen Mahnwachen Einhalt geboten – durch Schutzzonen oder Betretungsverbote, weil Autohändler oder Parkhausbetreiber Security-Unternehmen anheuern. Die öffentliche Meinung hätten die DemonstrantInnen in Windeseile gegen sich. Und es gehört wenig Fantasie dazu, sich auszumalen, wie zügig speziell die Grünen mit einer neuen Verbotspartei-Debatte überzogen würden, um Stimmung zu machen für freie Fahrt und die Rechte freier BürgerInnen.
Demonstrationen in etlichen deutschen Städten verfolgen gerade andere Ziele. Die biblischen 40 Tage lang wird mit Plakaten und Gebeten Stimmung gemacht, nicht vor Autohäusern, sondern vor Beratungsstellen und „Abtreibungspraxen“. Die gesellschaftliche Empörung, die auch Ausdruck der Solidarität mit jenen Frauen wäre, die nichts anderes wollen als verbrieftes Recht auf Beratung, Unterstützung und Hilfe in Anspruch nehmen, hält sich in engen Grenzen.
Beispiel Frankfurt: Hier hat das Stadtparlament, angestoßen von SPD und Grünen, beschlossen, eine Schutzzone einzurichten vor der Pro-Familia-Beratungsstelle im Westend, vor der fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen auf ratsuchende Frauen einwirken wollen. Doch der zuständige CDU-Ordnungsdezernent Markus Frank ist nicht bereit, den Beschluss umzusetzen; der 49-jährige Kfz-Meister hält die geforderte Schutzzone für rechtswidrig. „Eine 150-Meter-Zone wäre ein schwerwiegender Eingriff ins Versammlungsrecht und damit rechtswidrig“, sagt Frank im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Er habe vom Rechtsamt ein Gutachten erstellen lassen und mit einem Verwaltungsrichter gesprochen, und der habe erklärt: „Wenn die Abtreibungsgegner gegen die Schutzzone klagen, dann ist diese Verfügung in nicht einmal 15 Minuten vom Tisch.“
In Frankfurt wehrt sich ein breites Bündnis
Der selbstauferlegten Zurückhaltung eines CDU-Mannes steht das Engagement vieler couragierter Frauen und von mehr als 40 Organisationen gegenüber. Schon im März wurde ein Aufruf des Bündnisses Frankfurt für Frauenrechte formuliert: „Im fünfzigsten Jahr der Zweiten Frauenbewegung, die in Frankfurt ihre Wurzeln hat, wollen wir dem Treiben dieser rechtspopulistischen Gruppen nicht länger zusehen.“ Vor allem eine Erwartung ist unmissverständlich. Rechtsgüter müssten „erneut abgewogen und Mahnwachen auf Plätze verwiesen werden, von denen aus es zu keinerlei Beeinträchtigungen des anonymen Zugangs zu Beratungseinrichtungen mehr kommen kann“. Denn das Schwangeren-Beratungsgesetz sehe „ausdrücklich vor, dass es bei der Beratung keinerlei Beeinflussung von außen geben darf“.
Die Pforzheimer Pro Familia hat zur Selbsthilfe gegriffen. Nach dem ersten 40-tägigen Belagerungszyklus wurden flugs Veranstaltungen angemeldet und auf diese Weise die selbsternannten LebensschützerInnen auf die weit gegenüberliegende Straßenseite gezwungen. Ein Dauerzustand sei dies aber nicht, so die Pro-Familia-Verantwortlichen, weil die durchgehende Besetzung der eigenen Termine nur schwer zu stemmen sei.
Immerhin: Für Freiburg sind – höchstrichterlich bestätigt – sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ von der Stadt schon seit Jahren untersagt. Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei Demonstrationen, begleitet von Gebeten, Gesängen und Plakaten von Föten, um „schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung“ der ungewollt schwangeren Frauen handelt. Das Ziel der Schutzzonen-BefürworterInnen ist bundesweit immer dasselbe und im Frankfurter Aufruf erläutert: „Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und auf eine ergebnisoffene, wohlwollende, kostenlose und anonyme Schwangerschaftskonfliktberatung für Frauen muss uneingeschränkt sichergestellt sein.“
In Stuttgart vertrieb eine Hasskampagne den Abtreibungsarzt Stapf
Stuttgart ist gegenwärtig noch verschont von den in evangelikalen Kreisen der USA erdachten Aufmärschen, die seit 2004 und nach Angaben der OrganisatorInnen in inzwischen 28 Ländern stattfinden, mit dem Ziel eines weltweiten Endes von Abtreibungen. Doch deren größter Erfolg ist bereits eingefahren: Mit einer Hasskampagne wurde der renommierte Abtreibungsarzt Friedrich Stapf Anfang 2015 aus der Stadt vertrieben. Seit 1991 hatten er und sein Team pro Jahr rund 2200 Schwangerschaften beendet. Radikale GegnerInnen, versammelt um Klaus Günter Annen, einen früheren Autoverkäufer aus Weinheim, und Gefolgsleute der AfD hatten sogar potenzielle Vermieter traktiert. Stapf wanderte nach München ab, wo er wenigstens Praxisräume fand, die allerdings auch belagert werden.
Annen hat eben erst zwei Mal für Schlagzeilen gesorgt – für positive, aus Sicht einer aufgeklärten Gesellschaft. Denn erneut ist er mit seinen Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Er darf, wie von deutschen Gerichten entschieden, die Arbeit in der Stammzellenforschung nicht mit Menschenversuchen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern vergleichen. Und alle Verbote, Abtreibung mit Holocaust und Mord auf eine Stufe zu stellen, haben bisher ebenfalls Bestand.
Quelle : KONREXT-Wochenzeitung >>>>> weiterlesen
————————————————————————–
Grafikquellen :
Oben — Kristina Hänel – WikiMANNia
@Kersten_Artus |
————————