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Strafen fürs schlichte Gemüt

Erstellt von Redaktion am Montag 12. Oktober 2020

„Knallhart-Richter“ gegen Rapper Gzuz

File:Bundesarchiv Bild 183-31316-003, Berlin, Prozeß gegen Agenten vor dem Obersten Gericht.jpg

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Die Strafjustiz ist schwach bei intelligenter und mächtiger Kriminalität, stark und manchmal großmäulig gegen Unterschichtenkriminalität. Etwas mehr Reflexion und etwas weniger Zeitgeist wären nützlich.

Richter Knallhart

In der vergangenen Woche war es wieder so weit: Wir durften, gedruckt, digital und gestreamt, das wiedergängerische Erscheinen eines neuen „Richters Knallhart“ aus Hamburg erleben. Wir erinnern uns: Ein späterer Darsteller eines besonders schmierigen Container-Formats begann einst, auf einem Wellenkamm von Deutschlands allergrößter Tageszeitung, seine bemerkenswerte Karriere am Amtsgericht Hamburg und mit dem von dem genannten Blatt verliehenen Ehrentitel „Gnadenlos“. Und wer gedacht hatte, der Container-Keller sei schon ziemlich weit unten, lernte, dass es durchaus noch tiefer geht.

„Bild“ machte 2017 noch mal einen Sequel-Versuch mit neuem Hauptdarsteller und wusste am 29. August 2017 unter der Headline: „Das ist Hamburgs Knallhart-Richter“ zu berichten:

„Der erste Prozess gegen einen G20-Chaoten (21) am Montag ging mit einem knallharten Urteil zu Ende: 31 Monate Haft, keine Entlassung aus der Untersuchungs-Haft, Abgabe einer Blutprobe für die Verbrecher-Datenbank! Wer ist der Richter, der der linken Szene zeigt, wo der Hammer hängt?“

Wir wollen die Sache jetzt hier nicht weiter verfolgen. Die Rede war – deshalb kommen wir darauf – auch da schon vom Richter am Amtsgericht Johann K., Strafrichter am AG Hamburg. Nur eine Heldengeschichte soll noch erzählt werden, die „Bild“ uns 2017 verriet:

„Einem Intensivtäter (14), der sich in der Verhandlung völlig quer stellte, sagte er mal in der Verhandlung: „So, ich zeige Dir jetzt, wo Du demnächst landen wirst.“ Dann zog Krieten seine Robe aus und führte den Jungen vom Gerichtssaal in den Keller in die Untersuchungshaftanstalt. Dort sperrte er ihn für ein paar Minuten in eine Zelle ein. Anschließend gestand der Junge im Gerichtssaal etwas blass um die Nase alles und versprach, künftig mit seinen Erziehern zusammenarbeiten und nicht mehr ab zu hauen.“

Das ist eine Geschichte nach dem Geschmack jenes schlichten Gemüts, das den öffentlichen Meinungsmarkt über das „Bekämpfen“ der Kriminellen dominiert. In diesem speziellen Fall empfehle ich allerdings, von einer Nachahmung der Pädagogikdemonstration bei 14-jährigen „Intensiv“-Verbrechern abzusehen. Wenn Sie nicht Straf- beziehungsweise Jugendrichter sind, empfiehlt sich das schon im Hinblick auf die Paragrafen 239, 240, 241 StGB (Freiheitsberaubung, Nötigung, Bedrohung).

Als Richter oder Richterin sollten Sie die Finger, selbst wenn Ihr rechtsstaatlicher Kompass kurzfristig ausgefallen sein sollte, auf jeden Fall von einer Nachahmung lassen, nachdem Sie den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. August 2018 (Az. 2 StR 474/17) sowie das in derselben Sache schon am 31. Mai 2012 ergangene Urteil (Az. 2 StR 610/11) gelesen haben. Es betraf einen Strafrichter am Amtsgericht, der einen geständnisunwilligen Angeklagten während der Hauptverhandlung in den Keller des Gerichts geführt und dort kurzzeitig in einer Zelle eingesperrt hatte, um ihm zu zeigen, wie sein Leben aussehen werde, wenn er nicht gestehe. Diese abwegige Veranstaltung brachte dem Richter, vom Bundesgerichtshof in zwei Durchgängen bestätigt, eine Verurteilung wegen des Verbrechens der Rechtsbeugung (Paragraf 339 StGB) ein. Wir erwähnen diese – in Rechtsprechung und Wissenschaft unbestrittene – Entscheidung zur Abrundung der zitierten „Bild“-Geschichte über den „Knallhart-Richter“. Ob diese stimmt, weiß ich nicht. Die Verjährungsfrist des als Offizialdelikt von Amts wegen zu verfolgenden Verbrechens beträgt fünf Jahre. Interessant wäre es zu erfahren, ob und wie gegebenenfalls die hierfür zuständige Staatsanwaltschaft in jenem knallharten Intensivtäterverfahren involviert und zugegen war.

Nun also wieder eine Heldentat, diesmal gegen einen gar schröcklichen „Gangsta-Rapper“, der nicht nur mehrfach vorbestraft war und unter laufender Bewährung stand, sondern auch noch „an Silvester mit einer Schreckschusspistole herumschoss, obwohl er gar keine Waffen führen darf“, und auch weitere Straftaten ähnlichen Intelligenzkalibers beging (Körperverletzung, Besitz von Betäubungsmitteln). Das waren zwar keine Verbrechen (Mindeststrafe ein Jahr, wie zum Beispiel Rechtsbeugung), aber (insbesondere bei Wiederholung) auch keine Bagatellen. Wir wollen also hier – wie auch sonst – nichts „verharmlosen“. Jedoch interessiert uns heute einmal eher die hiesige Seite der „Schranken des Gerichts“. In diesem Fall ist es so „knallhart“, dass die Presse zu jubeln anhebt:

„Hamburger Abendblatt“, 29. September: „Der Richter, der sich nichts bieten lässt“

„Hamburger Morgenpost“, 30. September: „Geliebt und gefürchtet: Das ist der Richter, der ‚Gzuz‘ die Mega-Strafe aufbrummte“

Und „Focus“, 30. September: „Das ist Hamburgs Knallhart-Richter Johann K.: Geliebt und gefürchtet: Das ist der Richter, der Rapper Gzuz eine Mega-Strafe aufbrummte. Der Hamburger Amtsrichter Johann K. (63) kennt keine Gnade.“

Sie lesen richtig: „Geliebt und gefürchtet“ ist er angeblich. Sollte sich da ein sehnsuchterfüllender Vaterdarsteller ins Herz der Hamburger Jugend gerichtet haben? Nein, ganz so schlimm ist es noch nicht: „Geliebt“ wird Herr K., so erfahren wir, „von der Presse für seine kernigen Sprüche“. Schon die Chuzpe, hieraus mit der attributiven Kombi „geliebt und gefürchtet“ ein kleines Lügenkunstwerk zu zaubern, zeigt uns: Es ist nicht so, dass man in den Redaktionen nicht wüsste, wie es geht, und dass die tendenziösen Verdrehungen nur Ausrutscher auf der Sprachtastatur wären.

Die „Mega-Strafe“ des – nicht rechtskräftigen – Urteils bestand in einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und einer zusätzlichen Geldstrafe von 300 Tagessätzen. Nur zur Erinnerung: In Deutschland werden, entgegen der meist unverständlichen Berichterstattung, Geldstrafen nicht als Summe verhängt. Denn dann würden Arme ja wesentlich härter getroffen als Reiche. Die Geldstrafe wird nach „Tagessätzen“ zugemessen. Die Höhe eines Tagessatzes beträgt ein Dreißigstel des (tatsächlichen oder zu erwartenden) monatlichen Nettoeinkommens (abzüglich Vorsorge, Unterhalt, Miete); und auf Tage wird sie umgerechnet, weil bei Nichtzahlung für jeden Tagessatz ein Tag „Ersatzfreiheitsstrafe“ verbüßt werden muss (siehe Paragrafen 40, 43 StGB).

Nun ist, wenn man es sich überlegt, klar, dass das Tagessatzprinzip bei mittleren Einkommen am ehesten gerecht ist. Am unteren wie am oberen Ende passt es eigentlich nicht mehr, weil die Summen (Produkte aus Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe), die herauskommen, der Schuld nicht mehr angemessen sind. Beispiel: Nehmen wir einen Ladendiebstahl im Wert von zehn Euro und eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Ein mittelloser Obdachloser zahlt minimal 15 mal einen Euro, ein CEO eines großen DAX-Konzerns ist mit 15 mal 30.000 dabei. 15 Euro Geldstrafe ist aber auch für einen Bagatelldiebstahl zu wenig, und 450.000 € sind, bei aller Liebe zum Sozialneid, ebenfalls nicht mehr schuldangemessen.

Herr „Gzuz“, der Künstler, soll zusätzlich zu seinen 18 Monaten ohne Bewährung noch 300 mal 1700 Euro zahlen, weil er seine „Gangsta“-Taten zur Selbstinszenierung, also zur „Werbung“ für den Gangsta-Rap eingesetzt habe; da schlägt der schlaue Richter Knallhart mit dem Paragrafen 41 StGB zu:

„Hat der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht, so kann neben einer Freiheitsstrafe eine … Geldstrafe verhängt werden…“

Na ja: Kann man vielleicht machen (ich kenne die schriftlichen Urteilsgründe nicht), muss man aber sicher nicht. Und 510.000 Euro „Zusatzstrafe“ liegen jedenfalls in einem etwas märchenhaften Bereich, selbst wenn der Künstler Gzuz ein Monatsnettoeinkommen von 51.000 Euro haben sollte. Ob man sein Einkommen als Rapper dadurch steigert, dass man an Silvester mit einer Schreckschusspistole in die Luft schießt, weiß ich nicht. In Hamburg geht das vielleicht.

Verhandlungskultur

Quelle        :         Spiegel-online           >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben       —       Prozeß gegen Agenten vor dem Obersten Gericht
Am 24.6.1955 begann vor dem Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik in Berlin ein Prozeß gegen fünf Angeklagte, die vom RIAS zur Agententätigkeit für Spionageorganisationen angeworben wurden.

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Attribution: Bundesarchiv, Bild 183-31316-003 / CC-BY-SA 3.0

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Unten      —  Thomas Fischer auf der re:publica 2016

Ot – Eigenes Werk

Thomas Fischer (Jurist)

CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016

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