StaMi-Akten zu Stuttgart 21
Erstellt von Redaktion am Dienstag 30. August 2022
Anleitungen für die Zeugen
Wollte er den Bahnhof in das Rathaus holen?
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Stefan Mappus hat ausweislich neu eingesehener Akten seine Rolle beim „Schwarzen Donnerstag“ heruntergespielt, als er Ende 2010 vor dem Untersuchungsausschuss aussagte. Aber nicht nur der frühere CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs versuchte, die Wahrheit zu verschleiern.
Plausibel war die Lesart nie, wonach ausgerechnet der robuste Regierungschef, dem der eigene FDP-Justizminister Ulrich Goll den Spitznamen „Mappi-Schnappi, das Krokodil“ verpasst hatte, am 29. September 2010 lammfromm am Tisch in der Villa Reitzenstein gesessen hätte, um der Polizeiführung zu lauschen. Die Situation war angespannt: Durch den immer stärkeren Protest gegen Stuttgart 21 fühlte sich der CDU-Ministerpräsident unter Druck, Stefan Mappus sah sich von den Projektgegnern mit dem „Fehde-Handschuh“ konfrontiert und wollte unbedingt die Wahl im kommenden März gewinnen. Nun mussten die Baumfällarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten zur Einrichtung der Megabaustelle beginnen, doch der ursprüngliche Termin um 15 Uhr am 30. September 2010 war durchgestochen worden, die Gegner alarmiert. Um sich informieren zu lassen, „wie man mit dieser Situation umzugehen gedenke, habe ich die zuständigen Ressorts – das Innenministerium für die Polizei, das Umwelt- und Verkehrsministerium als verantwortliches Ministerium für Stuttgart 21 – zu einer Informationsbesprechung in das Staatsministerium eingeladen“, sagt Mappus in seiner Zeugenaussage im Landtag am 22. Dezember 2010. Und weiter: Er habe sich bewusst zurückgehalten und abschließend „nur gefragt, was denn jetzt gemacht wird“.
Nur gefragt? Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum brutalen, völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz sollte auch der Frage nachgehen, ob es stattdessen Versuche politischer Einflussnahme auf die Polizeiführung gab. Mappus hatte viele Gründe anzunehmen, dass seine vor dem Ausschuss präsentierte Version halten würde. SPD und Grüne, damals beide in der Opposition, wollten den Ministerpräsidenten gleich zum Auftakt der öffentlichen Vernehmungen Anfang November hören, die Regierungsparteien CDU und FDP setzten mit ihrer Stimmenmehrheit im Ausschuss allerdings durch, dass er erst als letzter in der achten Sitzung an die Reihe kam. Und in die ging er bestens präpariert durch seine Beamten im Staatsministerium (Siehe dazu in dieser Ausgabe auch „Gott sei Dank, Herr Pope“) und durch die Regierungsbeauftragten, die per Gesetz die Ausschussarbeit mitverfolgten, ihn aber regelmäßig mit immer neuen Vermerken und Notizen aus anderen Zeugeneinvernahmen fütterten.
„Die vorgeschlagenen Aussagen sind eine Anregung“
„Drehbücher à la Hollywood“ seien es, die die Beamten erstellten, so der ehemalige Richter Dieter Reicherter, dem vor kurzem Einsicht in die entsprechenden Dokumente des Staatsministeriums gewährt wurde (Kontext berichtete). Das Ziel der Autoren: Dem Chef klarzumachen, dass er seinen Part bei jenem Treffen mit der Polizeiführung harmloser beschreiben kann, als er war. Darunter dieser inzwischen mehrfach zitierte, fett gedruckte „Hinweis für MP“: „Ihr in der Sitzung gemachtes Angebot, ggf. selbst mit verschiedenen MP’s zu sprechen, um zusätzliche Kräfte aus anderen Ländern zu gewinnen, wurde bislang von keinem Zeugen der Besprechung thematisiert“ (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 8/000034). Das beweist, dass Mappus vor den Abgeordneten eben nicht alles sagte, was er wusste. Zugleich heißt es in den Dokumenten mehrfach: „Die vorgeschlagenen Aussagen sind lediglich eine Anregung. Sie spiegeln den Eindruck der bisherigen Zeugenaussagen wider. Entscheidend für eine wahrheitsgemäße Aussage sind ausschließlich Ihre eigenen Erinnerungen.“ Diese jedenfalls nicht zur Gänze zu bemühen, war Mappus geschmeidig genug.
Drehbücher finden sich in den Akten nicht nur für Mappus. Vom damaligen Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, gleich zweimal geladen, wird eine Aussage erhofft zur Bestätigung der Leseart, es habe keine politische Einflussnahme gegeben, so eine auf den 28. Oktober datierte Notiz: „Taktisch wäre es in unserem Sinn, wenn PP Stumpf nach Bekanntwerden des ursprünglichen Einsatzbeginns (um die Mittagszeit) bereits im PP Maßnahmen ergriffen hätte, um den Einsatz auf 10.00 Uhr vorzuziehen. (…) Dann wäre klar, dass PP Stumpf seine Linie von Anfang bis Ende durchgehalten hat“ (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 3/000128). Und in einer auf den 13. November datierten Notiz werden Vorschläge für die bevorstehende Vernehmung von Stumpf noch einmal konkretisiert: „PP könnte ggf. kritische Punkte, die aus den Akten (…) sowieso erkennbar sind, selbst ansprechen, um eine defensive Lage von vornherein zu vermeiden. Bsp.: „Ich hatte mich bereits vor dem Gespräch im Staatsministerium auf einen Einsatzzeitpunkt um 10.00 Uhr festgelegt (…)“ (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 1/000112). In seiner Aussage erinnerte sich Stumpf dann entsprechend.
Zeugen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen werden vor ihrer Aussage belehrt, dass sie die Wahrheit sagen müssen und nichts Erhebliches weglassen dürfen. Und dass auch eine uneidliche Falschaussage strafrechtlich relevant sein kann. Der Kurzzeit-Regierungschef für 13 Monate hätte gute Chancen gehabt, belangt zu werden, wäre seine deutlich aktivere Rolle – besagter Rundruf bei Kollegen in der Republik, um die Notlage zu beschreiben und Polizeikräfte zu erbitten – bei der Besprechung mit der Polizei publik geworden. Schon im Spätsommer 2012 werden im Staatsministerium die Sicherheitskopien von Mails von Mappus entdeckt. Doch dann kämpft er vor Gericht – schlussendlich erfolgreich – um die Löschung. Und fünf Jahre nach der Aussage ist die Sache verjährt.
Der grüne Amtschef und die Mappus-Anwälte
Hier scheint auch nur der Hintergrund Grün und er Orden Braun?
Die Akten, die Dieter Reicherter und der frühere Bruchsaler Grünen-Stadtrat und Transparenz-Spezialist Gert Meisel nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) vor bald zehn Jahren erstmals einzusehen begehrten, sind aber weiter vorhanden. Jedenfalls zeigt eine Mail vom November 2012 an jenen Beamten, der federführend war für die Vorbereitung von Mappus‘ Aussage am 22. Dezember, dass das inzwischen grüngeführte Staatsministerium von dem umfangreichen Material in der Registratur Kenntnis hatte. Im April 2013 wird dem Amtschef Klaus-Peter Murawski sogar vorgeschlagen, mit Mappus‘ Anwälten über Bande zu spielen: Ihnen soll das Einsichtsgesuch gerade mit Blick auf das noch offene Löschungsverfahren in der Erwartung vorgelegt werden, „dass die Anwälte die Herausgabe ablehnen werden“. Auf diese Weise werde „die Position des StM im Verwaltungs- und möglicherweise anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren nochmals stärker abgesichert“. Dabei war damals Reicherter und anderen schon längst bekannt, dass als intern eingestufte Unterlagen rund um den Untersuchungsausschuss aus Mappus´ Regierungszentrale auch an die CDU-Landtagsfraktion weitergeleitet worden waren.
Quelle : KONTEXT-Wochenzeitung-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Stefan Mappus spricht auf dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe
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Unten — Klaus-Peter Murawski (rechts) und Winfried Kretschmann, 2021