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Spekulationen – Hedgefonds

Erstellt von Redaktion am Sonntag 31. Januar 2021

Junge Zocker ziehen Hedgefonds – Spekulanten die Hosen herunter

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Von Urs P. Gasche 

Finanzprofessor Marc Chesney warnt schon lange vor den Risiken der Marktmanipulationen an den Börsen und fordert deren Regulierung.

Die großen Finanzkonzerne seien die Hauptakteure der Finanzmarktmanipulationen und des Wettens an den Börsen und würden für die reale Wirtschaft und die Demokratie eine echte Bedrohung darstellen, warnt Chesney. Diese Darstellung begründet er in seinem Buch «Die permanente Krise – Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie»*. Es sei dringend nötig, dass der Charakter dieses «Finanzcasinos» nicht vernebelt, sondern offengelegt werde, fordert Chesney.

Zu dieser Offenlegung haben jetzt unerwartet junge Spekulanten beigetragen, die sich auf Plattformen der Social Media absprachen und Wetteinsätze mächtiger Hedgefunds erfolgreich konterten. Diese hatten auf den baldigen Konkurs von Firmen wie beispielsweise der Videospielhandelsfirma Gamestop gewettet. Infolge der Käufe der jungen Zocker sollen verschiedene Hedgefunds wegen ihren Leerverkäufen insgesamt über fünf Milliarden Dollar verloren haben.

Jetzt plötzlich machte der Charakter des Wettcasinos der Börsen Schlagzeilen. Infosperber hat Professor Marc Chesney dazu befragt.

Infosperber: Der Tages-Anzeiger nannte die Kleinanleger eine «Horde» und einen «Internetmob», der die «Profianleger» zu Verlusten treibe. Inwiefern ist diese unterschiedliche Qualifikation gerechtfertigt?

Chesney: Schade, dass der Tages-Anzeiger Begriffe wie «Horde» und «Internetmob» nicht auch für die Hedgefunds benutzt hat.

Infosperber: Als die Kurse von beispielsweise Gamestop zu rasant stiegen, hat die US-Börse den Handel mehrmals gestoppt. Normalerweise wird der Handel gestoppt, wenn eine Aktie in kurzer Zeit zu stark fällt. Versuchte die Börsenaufsicht in diesem Fall, die grossen Finanzinstitute und Hedgefunds, die in Leerverkäufen investiert hatten, vor Verlusten zu retten?

Chesney: Das ist tatsächlich das Ziel der Börsenaufsicht: Die grossen Finanzinstitute und Hedgefunds, die leer verkauften, und die fast sicher waren, Gewinne auf Kosten der Kleinanleger zu machen, vor Verlusten zu retten. Um die Märkte zu stabilisieren, müsste man einfach alle Leerkäufe verbieten. Leider will die US-Börsenaufsicht SEC nichts davon wissen.

Infosperber: Die Börsenaufsicht SEC sowie Ausschüsse des US-Kongresses sollen jetzt versuchen, gegen das Eingreifen der ungebetenen Kleinspekulanten vorzugehen. Wäre dies gerechtfertigt?

Chesney: Eine unabhängige und ehrliche Börsenaufsicht sollte gegen alle Marktmanipulationen kämpfen und nicht nur gegen diejenigen von Kleinanlegern. Wir sind schon lange mit einer Finanzcasinowirtschaft konfrontiert. Mit ihren Manipulationen und Wetten erzeugen die Finanzmärkte riesige Systemrisiken für die Gesellschaft. In der Zeit des Covid-19, in der das Gesundheitspersonal viel Zeit, Energie und Mut im Kampf gegen die Verbreitung der Pandemie investiert, ist es skandalös und moralisch inakzeptabel, wenn versucht wird, von der Verbreitung der Pandemie zu profitieren, wie die Hedgefunds es machen. Denn diese Pandemie bringt viele Unternehmen in finanzielle Nöte, was Hedgefunds ausnützen, um auf deren Bankrott zu wetten. Das war beim Videospielhändler Gamestop wahrscheinlich geschehen.

Milliardenwetten ohne Risiko eines Totalverlustes

Am Börsencasino sind Grossbanken als Kreditgebende und als Aktionäre von Hedgefunds wesentlich beteiligt. Grossbanken könnten sich nur an diesem Finanzcasino beteiligen, weil «ihre Chefs davon ausgehen, dass die Bank für die Risiken nicht geradestehen muss», erklärt Chesney in der Neuauflage seines Buches*.

Wie damals im Jahr 2008 müssten die Steuerzahlenden auch heute noch in Not geratene Grossbanken retten. Der Staat könne eine UBS, deren Bilanzsumme im Jahr 2019 bei 137 Prozent des gesamten Schweizer Bruttoinlandprodukts lag, oder eine Credit Suisse, deren Bilanzsumme das BIP sogar um 14 Prozent übertraf, nicht fallen lassen.

Doch Vergleiche mit der Bilanzsumme würden völlig ungenügend anzeigen, wie gross das Systemrisiko einer Grossbank tatsächlich ist. Denn ihre hochriskanten Wettgeschäfte berücksichtigen die Grossbanken in ihren Bilanzen nicht mit ihren Nominalwerten. Mit sogenannten Derivaten erzielte allein die Credit Suisse im Jahr 2019 einen Nominalwert des Geschäftsvolumens von unglaublichen 20’460 Milliarden Franken. Das entspricht ungefähr 26-mal der CS-Bilanzsumme und 462-mal dem CS-Eigenkapital. Zum Vergleich: Der Wert dieser Produkte entsprach etwa 29,7-mal dem BIP der Schweiz und etwa einem Viertel der Weltwirtschaftsleistung.

Bei der UBS entsprach der nominale Wert der Derivate im Jahr 2019 20’800 Milliarden Franken, was dem 22-Fachen der UBS-Bilanzsumme und dem 435-Fachen des UBS-Eigenkapitals entsprach. Die allermeisten dieser Derivate werden ausserbörslich gehandelt. Wenn man diesen Handel einbezieht, erreichte das nominale Volumen 30-mal das Schweizer BIP und rund einen Viertel der Weltwirtschaftsleistung.

Weniger als 1 Prozent dieser astronomischen nominalen Werte würden realen Geschäften dienen, mit denen die Veränderung eines Kurses abgesichert wird. Die restlichen 99 Prozent seien Wetten einer Casino-Finanzwirtschaft sowie Marktmanipulationen, die der Realwirtschaft keinen Nutzen, sondern nur Gefahren bringen. «Wer kann da noch glauben, die Situation sei unter Kontrolle?», fragt Chesney.

«Niemand kann eine Autoversicherung abschliessen, ohne ein Auto zu besitzen»

Was den mächtigen Spekulanten mit ihren Milliarden auf den «Märkten» erlaubt ist, sei im normalen Leben nicht möglich, kommentiert Chesney in seinem Buch: «Niemand kann eine Autoversicherung abschliessen, ohne ein Auto zu besitzen … Man kann auch keine zehn oder hundert Versicherungen für das Auto des Nachbarn abschliessen in der Hoffnung, dass er einen Unfall hat, oder in der Absicht, das Auto zu manipulieren!»

Zu den «Wetten der Casino-Finanzwirtschaft» gehören nach Chesney auch Kombinationen von mehreren Derivaten, sogenannte «strukturierte Produkte», die so komplex sind, dass Bankkunden sie nur schwer verstehen. Manchmal gaukeln die Banken Produkte mit «100 Prozent Kapitalschutz» vor, obwohl es schon mehrfach zu absoluten Verlusten kam. Die Verpflichtungen, welche Banken mit strukturierten Produkten eingehen, sind astronomisch. Allein in der Schweiz waren es 2017 nach Angaben in Chesneys Buch 275 Milliarden Franken. Der Finanzprofessor sieht in diesen strukturierten Produkten «eine echte Gefahr für Privatanleger, Pensionskassen und Gemeinden» – und damit auch für die Demokratie.

Laut Ökonomen sollten die Finanzmärkte dafür sorgen, dass es zu einer optimalen Verteilung des Kapitals und der Risiken kommt. Werde aber das Kapital vor allem für Wetten anstatt für Investitionen eingesetzt, verliere es seinen produktiven Charakter. Die Finanzsphäre habe sich vom Geist des Unternehmertums entfremdet, sagt Chesney: «Statt der unsichtbaren Hand [des Marktes] agiert die Hand des Croupiers der Casino-Finanzwirtschaft, die den Einsatz für die Grossbanken und die Hedgefunds zusammenrafft.»

Konkrete Forderungen an die Politik

Vorschläge, um das unproduktive Wettcasino an den Börsen einzudämmen, haben Professor Marc Chesney und andere, die vor den Gefahren dieses systemgefährdenden Treibens warnen, schon lange formuliert. Doch die mächtige Lobby der Finanzkonzerne hat ein wirksames Eingreifen der Parlamente bisher verhindert. Im Folgenden lediglich ein paar ausgewählte Forderungen:

Keine Grossbank und kein Konzern darf «too big to fail» sein: Die grossen Risiken einer Pleite dürfen nicht mehr die Steuerzahlenden tragen. Bis das ungewichtete Eigenkapital von Grossbanken 25 Prozent der Bilanzsumme erreicht, dürfen sie keine Dividenden auszahlen. Denn solange Banken ein Zehn- oder Zwanzigfaches an Krediten schaffen können, als sie Geld haben, bleibt das Bankensystem instabil und eine Gefahr für die Realwirtschaft.
Die Finanzprodukte sollten, bevor sie auf den Markt kommen, zertifiziert werden, so wie dies bei anderen Produkten der Fall ist, wie zum Beispiel im Industrie-, Nahrungs- und Pharmasektor. Die Finanzüberwachungsbehörden sollten für die Vergabe solcher Zertifikate verantwortlich sein. Auf diese Weise würde die Verbreitung «giftiger» Produkte begrenzt.

Unkontrollierte Schattenbanken wie Hedgefunds sind strikte zu regulieren, damit Banken die Eigenkapital-Vorschriften nicht umgehen können: Über Schattenbanken laufen rund ein Viertel aller weltweiten Finanztransaktionen. Die Verschiebung von Risiken in die Schattenbanken sei «die grösste Gefahr für die Finanzstabilität», warnte Goldman-Sachs-Vizepräsident Gary Cohn.
Over-the-Counter-Transaktionen sollten verboten sein. Sie schaffen zusätzliche Risiken. Derivative Produkte sollten über organisierte Börsen mit zentraler Clearingstelle gehandelt werden, wo sie kontrolliert, registriert und öffentlich gemacht würden. So könnte man vermeiden, dass die Absicherung bestimmter Produkte zu Wetten auf den Zusammenbruch von Unternehmen wird (wie es beispielsweise bei CDS der Fall ist).
Kreditausfallversicherungen, sogenannte CDS, sind nur noch zuzulassen, wenn tatsächlich ein vorhandener Kredit versichert wird. Reine Wettgeschäfte, welche die grosse Mehrheit des CDS-Handels ausmachen, sind zu verbieten.
Das risikoreiche Investmentbanking ist in unabhängige juristische Personen zu verlagern. Der Eigenhandel, also Börsenspekulationen der Banken auf eigene Rechnung ist zu verbieten.
Für Privateinlagen von 100’000 CHF pro Bank ist eine Garantie zu gewähren, ohne die jetzige Obergrenze von insgesamt 6 Milliarden Franken.
Eine mögliche Alternative wäre die Stossrichtung der Vollgeldinitiative.

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