Spaniens gestohlene Babys
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 8. Februar 2018
Baby-Handel in der Ära Franco
Von Reiner Wandler
Sie liebte ihren Papa, dann starb er. Heraus kam: Er war nicht ihr Vater. Seitdem sucht Ascensión López nach der Wahrheit – so wie Tausende.
ALMERIÁ taz | Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, bekommt sie Angstzustände. „Jetzt ist es so weit! Das ist der Haftbefehl“, denkt Ascensión López dann. Sie sitzt in ihrem Haus im südspanischen Almería am Wohnzimmertisch und erzählt von einem langen Kampf, von Ängsten und Verzweiflung. Vor ihr liegen Ordner mit Dokumenten, die sie in den vergangenen Jahren mühsam zusammengetragen hat. „Ich bin mir mittlerweile sicher, dass ich ein gestohlenes Baby bin“, sagt die 53-Jährige.
Ascensión López hat Angst vor dem Gefängnis, obwohl sie kein Verbrechen begangen hat. Was sie getan hat: Sie forschte in ihrer Vergangenheit und machte öffentlich, was sie herausgefunden hatte. Sie ist überzeugt, dass sie 1964 von ihren Adoptiveltern in einem Krankenhaus in Sevilla gekauft wurde. Wer ihre eigentliche Mutter war, ob sie ihr weggenommen wurde oder ob diese in die Adoption eingewilligt hatte, López weiß es nicht.
Doch sie wird den Verdacht nicht los, eines der Opfer eines perfiden Menschenhandels zu sein, dessen Folgen Spanien bis heute umtreiben. „Bebés robados“ – „gestohlene Babys“ werden die Betroffenen genannt. Ihren Müttern, meist aus einfachen Verhältnissen, oft sehr jung und alleinstehend, wurde erklärt, ihre Kinder seien bei der Geburt verstorben. Dann wurden die Babys an reiche Familien verkauft. Das ging so seit Beginn der Franco-Diktatur und bis Anfang der 1990er Jahre.
Ende der nuller Jahre begann der spanische Star-Richter Baltasar Garzón in ersten Fällen zu ermitteln. Er ging davon aus, dass allein im Spanischen Bürgerkrieg und dem ersten Jahrzehnt der Franco-Diktatur rund 30.000 Kinder die Familie wechselten. Oft stammten die Kinder von inhaftierten Frauen der republikanischen Kämpfer, den Verlierern des Bürgerkriegs. Kirche und Diktatur übergaben sie regimetreuen Familien, um so eine nationalkatholische Erziehung sicherzustellen.
Mafiöse Verbindungen von Ärzten und Geistlichen
Was aus einer politischen Motivation heraus begann, ging auch nach dem Tod Francos 1975 weiter. Mafiöse Verbindungen aus Ärzten und Geistlichen machten aus dem Verkauf von Neugeborenen ein lukratives Geschäft. Verstrickt in die Machenschaften waren oft auch Nonnen, die vorgaben, „gefallenen Frauen“ helfen zu wollen. Insgesamt gehen Betroffenenorganisationen von bis zu 300.000 Kindern aus.
Ascensión López wirkt älter, als sie ist. 2013 berichtete sie im Fernsehen von ihrem Fall – und von ihrem Verdacht. Sie war nicht die Einzige, die mit ihrem furchtbaren Verdacht an die Öffentlichkeit ging. Das Fernsehen stürzte sich auf die Fälle; manchem „gestohlenen Baby“ und so mancher Mutter, die ihr Kind suchte, half dies: Sie fanden sich wieder. López hoffte, dass auch sie fündig werden könnte.
Die Nonne vom Orden der „Hijas de la Caridad“ arbeitete damals im Heim für Neugeborene des Krankenhauses in Sevilla. Baena soll, davon ist Lopez überzeugt, die Adoption eingefädelt haben.
Bei ihrem TV-Auftritt erwähnte Lopez auch den Namen Dolores Baena. Die Nonne vom Orden der „Hijas de la Caridad“ ist die Nichte ihres Adoptivvaters und arbeitete damals im Heim für Neugeborene des Krankenhauses in Sevilla. Baena soll, davon ist Lopez überzeugt, die Adoption eingefädelt haben. Nach der Ausstrahlung zeigte die Nonne López wegen Verleumdung an. Es sei alles mit rechten Dingen zugegangen, behauptete sie und gewann den Prozess 2015.
López wurde zu 40.000 Euro Entschädigung, 3.000 Euro Strafe und der Übernahme der Gerichtskosten verurteilt. Und wer nicht zahlt, muss in Haft. Im Falle von Ascensión López sind es fünf Monate: „Ich habe das Geld nicht. Ich bin seit Jahren arbeitsunfähig“, sagt sie. Ein Antrag auf Begnadigung, unterschrieben von 90.000 Unterstützern, wurde vom konservativen Justizminister im vergangenen November abgewiesen.
Sechzehn Tabletten nimmt sie täglich
Neben López, am Tisch im Wohnzimmer, lehnt ihr ständiger Begleiter, eine Krücke. Es geht ihr gesundheitlich nicht gut. Die Liste der Krankheiten, die sie plagen, ist lang. Zucker, Schilddrüse, chronischer Mangel an roten Blutkörperchen. Sechzehn Tabletten nimmt sie täglich.
Das Haus, in dem sie wohnt, ist ein einfacher Flachbau außerhalb der Stadt. Es liegt inmitten eines Meers aus Folienzelten, in denen hier in Südspanien das Gemüse für halb Europa angepflanzt wird. Das Land, das López einst bestellte, gehört ihr schon lange nicht mehr. Eine Scheidung nach einer Ehe voller häuslicher Gewalt, ihre Krankheiten und die fehlende Sozialhilfe haben sie in die Schulden getrieben. „Selbst mein Haus, das ich von meiner Adoptivmutter erbte, ist mit einer Hypothek belegt.“ Zwei ihrer drei Kinder leben noch bei ihr. Beide studieren, trotz ständiger Geldnot hat López sie dazu ermutigt.
Zu den Dokumenten, die López auf dem Wohnzimmertisch vor sich hat, zählen Auszüge aus dem Einwohnerregister, Unterlagen aus der Klinik, ein Teil der Adoptionsakten. Auf einigen Dokumenten, so auf einem Papier aus der Adoptionsakte, taucht der Name der Nonne auf. Warum hat sie diesen in der Fernsehdiskussion im Oktober 2013 öffentlich gemacht? „Ich habe den Namen der Klinik und den der Nonne genannt, in der Hoffnung, je mehr ich preisgebe, um so leichter ist es für meine richtige Mutter, mich zu erkennen“, sagt sie.
Ascensión López erinnert sich noch sehr gut an jenen Tag, als sie an ihrer Herkunft zu zweifeln begann. Sie war acht Jahre alt. „Ich kam von der Schule nach Hause und mein Vater war an einem Hirnschlag gestorben“, erinnert sie sich. Das Mädchen schloss sich weinend in ihr Zimmer ein. „Plötzlich ging die Tür auf. Eine mehr als zwanzig Jahre ältere Cousine stand vor mir und schleuderte mir ins Gesicht: Was heulst du? Der Mann hat doch gar nichts mit dir zu tun.“
Die Adoptiveltern waren damals 54 und 60 Jahre alt
Nichts mit ihr zu tun? Die Achtjährige war geschockt und begann zu fragen, bekam aber nur widersprüchliche Antworten, bis ihre Mutter schließlich die Adoption gestand. Sie hätten viel, viel Geld bezahlt, an die Kirche und an andere Stellen. 250.000 Peseten seien es gewesen; zu einer Zeit als ein Facharbeiter 5.000 bis 6.000 Peseten im Monat verdiente.
Lopez’ Adoptivmutter erzählte ihr, dass ebenjene Nonne damals bei ihnen zu Hause angerufen habe: „Richte deinem Mann aus, dass ihr nach Sevilla kommen sollt. Hier ist eine, die fällig ist“, soll die Nonne gesagt haben. „Viel mehr hat mir meine Mutter nie erzählt“, sagt López. Sie vermutet, dass sie auch gar nicht mehr wusste. „Mein Adoptivvater war sehr katholisch. Er fällte alle Entscheidungen allein.“
Eine Woche haben ihre Adoptiveltern – so konnte López es rekonstruieren – in Sevilla gewartet und sie dann mitgenommen. Ihre Adoptiveltern waren zu dieser Zeit 54 und 60 Jahre alt. „Weder damals noch heute lässt das Gesetz ein Paar in diesem Alter ein Baby adoptieren“, wundert sich López.
Der 7. Mai 1964, das ist ihr Geburtsdatum im Registerauszug, dessen Kopie López aufbewahrt. Eine andere Bescheinigung widerspricht dem allerdings. Demnach wurde López bereits am 5. Mai getauft. „Ich weiß also nicht einmal, wann mein Geburtstag ist“, sagt sie und schaut dabei auf die Dokumente, die sie immer wieder hin und her sortiert.
Unter ihrem Namen gab es keinen Eintrag im Register
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Oben — Carlos Galán de la Torre es recibido por el Jefe del Estado en el Palacio del Pardo por haber sido galardonado con Medalla de Oro en el XXI Salón Internacional de Invenciones de Bruselas
Description | Hôpitaux universitaires Virgen del Rocío, Séville |
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Author | Zeier Gregory |