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Sippenbekämpfung im TV

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 2. Februar 2019

Aufmarsch der Clan-Kriminalisten

FBI Anthony Casso, Anthony Baratta and Peter Chiodo of Lucchese crime family.jpg

Eine Kolumne von

Deutschland in Gefahr: An allen Ecken lauern Clans, die riesige Goldmünzen entwenden. Gut, dass das Thema endlich die angemessene Aufmerksamkeit bekommt.

Sie wissen, verehrte Leser, dass die arabischen Clans über die Deutschen gekommen sind wie die Finanzkrise II über die Mafia oder die Cum-Ex-Geschäfte über die Hells Angels. „Ein Müllwagenfahrer in einer westdeutschen Großstadt bittet einen Autofahrer, sein Auto an die Seite zu fahren, und wird unmittelbar zu Boden geschlagen“, veranschaulichte Herr Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, das Problem in der bemerkenswerten ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ am 24. Januar 2019. Viel länger hätte die Redaktion mit dem Thema auch wirklich nicht warten dürfen, denn praktisch alle Print- und Onlinemedien sind in den letzten Monaten mit Serien von „Clans in Deutschland“-Berichten durch und haben die Stimmungslage hergestellt, die eine kunstgerechte Talkshow-Panik ermöglicht.

Den aktuellen Schlusspunkt bildete insoweit das Stück „Wie die Clans nach Deutschland kamen“ von Christine Kensche in der „Welt“ vom 25. Januar. Es handelt von „dem Sohn eines berüchtigten Clans“, dem „Gangster mit den fettesten Autos“. Reporterin Kensche sprach mit ihm, denn er ist inzwischen Sozialarbeiter. Sie weiß, welche „Frage in seinem Kopf pochte, als sie ihn abführten“, und fühlt mit ihm, wenn er „spürte, wie das Nasenbein unter seiner Faust brach“. Das klingt stark nach Journalistenpreis!

„In Deutschland ist gerade Clansaison“ (Kensche); da darf Illner nicht fehlen. Ein Landesinnenminister (Herbert Reul, NRW), ein Justizsenator (Dirk Berendt, Berlin), ein Rechtsanwalt (László Anisic), ein Publizist (Ralph Ghadban), eine italienische Abgeordnete (Laura Garavini) sowie KHK Fiedler.

Über Berufsorganisationen von Polizisten ist im Allgemeinen nichts Negatives zu sagen. Allerdings muss gelegentlich angemerkt werden, dass die Funktionäre dieser Interessenverbände von Ausbildung und Kompetenz her nicht zwingend prädestiniert sind, sich in die Rolle von Rechtspolitikern hineinzuspreizen und das Fernsehvolk darüber zu belehren, welche Rechtspolitik „vergeigt“ und welche Gesetze erforderlich seien.

Nach Talkshow-Kriterien gelingt dies Herrn Fiedler aber durchaus erfolgreich: Sobald ein Ahnungsloser aus der Runde das Wort ergreift und die Kamera aufs iedlersche Mienenspiel zoomt, umspielt ein Hauch von Verachtung den gespitzten Mund, und die rechtspolitischen Botschaften des Kommissars werfen gefühlte Schatten auf den entkräfteten Innenminister von NRW, der Herrn Fiedler hinterherhechelt wie ein Streetworker dem Jargon der Street: Grau ist alle Theorie, aber Herbert Reul packt jetzt an. Herr Fiedler kann das gerade noch so durchgehen lassen. Für alle, die es nicht gesehen haben, ist die ZDF-Mediathek zu empfehlen. Die „Bild“-Zusammenfassung „Maybrit Illner knöpft sich Clan-Anwalt vor“ vom 25. Januar kann das Erleben nicht ersetzen.

Themenumriss

Illner, Anmoderation: „Drohung, Erpressung, Gewalt, und vor Gericht dann ein Heer von Anwälten. Kann der Staat einen Normalbürger da schützen? Für viele der Kriminellen sind Drogen, Schutzgeld und Raub das Alltagsgeschäft. Skrupel kennen sie nicht. Wie groß ist die Gefahr, die von diesen Clans ausgeht?“. Nicht schlecht! Vier mit Vorurteilen und Suggestiv-Bildern aufgeladene Aussagesätze plus eine fast sinnfreie Suggestivfrage in 30 Sekunden. Eigentlich könnte man jetzt umschalten, denn das Ergebnis des investigativen Forschens steht schon fest.

Aber: Bezahlt ist bezahlt; die Produktionsfirma und wir müssen noch 55 Minuten durchhalten. Also folgt jetzt der Einspielfilm: „Raub, Erpressung, Mord – kriminelle arabische Clans auf dem Vormarsch.“ Animation: Zwei stilisierte Kalaschnikows schießen auf eine Deutschlandkarte, dazu Schussgeräusche aus dem Computerspiel. „Manche Bezirke in deutschen Großstädten sind fest in ihrer Hand… Mittlerweile verstecken sich kriminelle Clans nicht mal mehr. Im Sommer 2018 kommen Tausende zur Beerdigung des Clanchefs Nidal R. Ein Aufmarsch der organisierten Kriminalität vor laufenden Kameras.“

Interessant! Erste Fragen: Was bedeutet „Vormarsch“? Wo genau marschieren die „Clans“ voran: In der Wirklichkeit oder in der Presse? Und woran merkt man das? Was ist überhaupt ein „Clan“? Wie kann sich ein Clan verstecken? Wie kann es sein, dass „die organisierte Kriminalität“ aufmarschiert, das ZDF Tausende von Verbrechern filmt und keiner wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) angezeigt oder verurteilt wird? Illner: „Über wie viele Kriminelle reden wir? Wie groß ist die Gefahr, die von dieser Gruppierung (?) ausgeht? Reul: „Wir reden von Tausenden.“

Illlner fragt Garavani: „Erlebt Deutschland jetzt (?) mit dieser sogenannten Clan-Kriminalität etwas, was Italien schon seit Jahrzehnten kennt?“ Garavini: „Das kann man so nicht sagen.“ Na gut, einen Versuch war’s wert.

Problem

Zeit, die Sache mit ein bisschen Substanz anzureichern. Illner gibt einen Überblick über den Vormarsch: „Nun schießen die nicht nur gegenseitig auf sich und sind gewalttätig. Sondern sie machen auch spektakuläre Raubüberfälle. In Berlin stehen gerade junge Männer vor Gericht, die eine Riesengoldmünze gestohlen haben, und das war nur der letzte spektakuläre Fall in einer entsprechenden Reihe.“

Nun ist, um das „Schießen auf sich“, den Mord, die Erpressung und den Vormarsch zu zeigen, eine unbewiesene Anklage wegen Einbruchdiebstahls ersichtlich kein guter Beleg. Egal: Frau Illner verkündet das Ergebnis der Beweisaufnahme im Goldmünzen-Verfahren schon mal vorab; dem zuständigen Justizsenator Berendt ist das aber keinen Einspruch wert. Zwar ahnt jeder Zuschauer, der kürzlich einen Kugelschreiber aus dem Büro oder ein Handtuch aus dem Hotel gestohlen hat, dass das Stehlen mit dem Begriff „Raubüberfall“ nicht wirklich gut beschrieben ist. Illner ist aber guten Mutes und präsentiert die „entsprechende Reihe“ in einem weiteren Einspielfilm:

  • Januar 2009: Raubüberfall im KaDeWe. „Die Spur führt zu zwei Brüdern einer arabischen Großfamilie. Die eineiigen Zwillinge können nicht überführt werden.“ Ein Super-Beweis durch ein Verfahren ohne Beweis.
  • Oktober 2014: „Spektakulärer Einbruch in einer Berliner Sparkasse. Die Täter werden verhaftet. Die Beute von neun Millionen Euro bleibt verschwunden. Letztes Jahr beschlagnahmte die Polizei daher 77 Immobilien eines libanesischen Clans.“ Wieder daneben: „Die Beschlagnahme eines Grundstücks …wird durch ihre Eintragung ins Grundbuch vollzogen“, lautet § 111c Abs. 3 Satz 1 StPO. Die Anordnung erfolgt durch Gerichtsbeschluss. Die Polizei beschlagnahmt keine Immobilien.
  • März 2017: „Einbrecher rauben (!) eine 100 Kilo schwere Goldmünze im Wert von 3,7 Mio. Euro aus dem Bode-Museum. Vier Angeklagte stehen zurzeit vor Gericht. Drei von ihnen gehören zu einem arabischen Clan.“ Raub ist das Wegnehmen einer fremden beweglichen Sache mit Gewalt gegen Personen oder durch Drohung gegen Leib oder Leben (§ 249 StGB). Die Münze wurde, wie jeder weiß, nicht geraubt, sondern heimlich gestohlen (§ 242 StGB). Und ein Schuldspruch ist bislang nicht ergangen.

Diese Reihe besteht also aus zwei Diebstählen und einem Raub in zehn Jahren. Zwei der drei Taten sind unaufgeklärt, in einem Fall wurde ein Täter verurteilt. Ein ziemlich schwaches Bild für eine „Serie (von) Mord, Erpressung, Raub“. Einige unaufgeklärte Gewaltverbrechen werden nicht erwähnt; die Lücke füllt man mit einem Tötungsdelikt der italienischen Mafia in Duisburg aus dem Jahr 2007. Was die „50 kriminellen Clans“ aus NRW damit zu tun haben, bleibt ein Rätsel.

Der „kriminelle Clan“

Ein „Clan“ ist eine soziale Struktur. Man kann sie als „System“ erklären, als ethnologisches Phänomen, als anthropologische Kategorie, und natürlich auch als kriminologisches Problem. Jede dieser Beschreibungen kann für sich durchaus sinnvoll sein. Das ändert nichts daran, dass es bei der Kriminalität um einzelne Menschen geht, nicht um Sippen. Damit ein ganzer Clan (als solcher) das Attribut „kriminell“ verdient, muss mehr geschehen als Straftaten einzelner und (rechtmäßige) Zeugnisverweigerungen von Angehörigen (gem. § 52 StPO). Der Begriff „kriminell“ ist, wenn er nicht für eine Tat, sondern für Menschen verwendet wird, schon für sich problematisch. Nur in wenigen Fällen schwerer Persönlichkeitsstörungen ist „kriminell sein“ ein persönliches Charaktermerkmal.

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Ansonsten gilt: Personen begehen Straftaten, mal mehr, mal weniger oft. Jeder (!) hat in seinem Leben schon Straftaten begangen, die teilweise mit Höchststrafen bis zu zehn Jahren bedroht sind: Betrug, Diebstahl, Körperverletzung, Steuerhinterziehung, Nötigung, Beleidigung usw. Dennoch möchten die meisten nicht gern ihr Leben lang öffentlich als „Kriminelle“ bezeichnet werden. Ob es ein sinnvolles Bemühen um Sozialisierung und Erziehung ist, 8- bis 16-jährigen Mädchen und Jungen in Berlin, Dortmund und anderswo dreimal wöchentlich per Zeitung und TV mitzuteilen, sie seien Teile eines „kriminellen Clans“, könnten sich die Integrationsfreunde in den Redaktionen und Polizeipräsidien einmal überlegen, finde ich.

Der „Clan“, wie er von den Medien vorgeführt wird, ist eine überaus schlichte, auf wenige Merkmale reduzierte Struktur: Verwandtschaftlicher Zusammenhang, ausländische Herkunft (wahlweise arabisch, libanesisch oder kurdisch), soziale Randständigkeit. Mit Strukturen wie Mafia-„Familie“ oder Rocker-Gang hat er nur entfernt zu tun. Mafia-Familien sind kriminelle Wirtschaftsorganisationen, deren Geschäftsgegenstand und/oder Geschäftsmethode kriminelle Handlungen sind. Sie sind nicht auf Verwandtschaft gegründet. Rocker-Gruppierungen dagegen sind nicht per se auf kriminelle Handlungen, sondern auf das demonstrative Ausleben einer Subkultur ausgerichtet.

Quelle      :      Spiegel-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben     —          FBI Anthony Casso, Anthony Baratta and Peter Chiodo of Lucchese crime family

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Inten         —        Origins of the Sicilian Cosa Nostra

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