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Sie hatte eine Mission

Erstellt von Redaktion am Freitag 16. Mai 2014

Erinnerung an Camille Lepage

BÜRGERKRIEG Die Fotojournalistin Camille Lepage wurde in Zentralafrika tot aufgefunden. Erinnerung an eine mutige Frau, die mit Herz und Kamera den Konflikt dokumentieren wollte

VON SIMONE SCHLINDWEIN

Als der Radiomoderator sagte, „eine französische Journalistin wurde in der Zentralafrikanischen Republik tot aufgefunden“, wusste ich es sofort: Es war Camille Lepage. Mein Herz stockte. Ich prüfte die Nachricht im Internet, ging auf ihre Facebook-Seite. Ich hatte recht. Kollegen posteten dort bereits: „Rest in Peace“. Ich weinte. Tränen tropften auf meine Computertastatur. Ihre Facebook-Wall war bislang ein von ihr sorgfältig geführtes Tagebuch eines brutalen Krieges, der da im Herzen des afrikanischen Kontinents unbemerkt vor sich ging. Jetzt wurde sie zum virtuellen Grabstein einer der mutigsten Fotografinnen, die ich kannte.

 Ihr letzter Facebook-Eintrag war vom 6. Mai. Sie schrieb aus einer Kleinstadt im Westen des Bürgerkriegslandes – mitten aus dem Niemandsland, wo sich bislang keine Nichtregierungsorganisation und nicht einmal die afrikanischen oder französischen Eingreiftruppen hinwagten. Camille war allein unterwegs, mit dem Motorrad. Sie schrieb, dass die muslimischen Séléka-Rebellen sich in den Büschen versteckten und Massaker begingen. Sie berichtete von einem Dorf, in welchem über 150 Menschen getötet worden waren. Gräueltaten, von welchen nicht einmal die UNO Kenntnis hatte. Camille war die einzige Zeugin, was dort im Busch tatsächlich vor sich ging. Wenig später war sie tot.

Man hatte ihre Leiche am Dienstag auf einem Lastwagen entdeckt. Zufällig. Ihre weiße Haut stach hervor. Sie lag da zwischen weiteren fünf Leichen. Darauf saßen eine Handvoll Kämpfer der christlichen Anti-Balaka-Milizen, die sich seit Dezember mit dem muslimischen Séléka-Rebellen einen blutigen Krieg liefern. Französische Soldaten hatten den Lastwagen gestoppt. Nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, aus welchem Camille das Massaker gemeldet hatte, rund 70 Kilometer nordwestlich von Bangui.

Sie war überall im Land bekannt

Es ist bislang nicht klar, wie sie getötet wurde. Es hatte Kämpfe gegeben in dieser Gegend. Sie war mit den Anti-Balaka-Milizionären „embedded“ unterwegs gewesen. War sie im Kugelhagel ausversehen getroffen worden oder hatte man sie gezielt ermordet? Es klingt makaber, dass ich mich in diesem Moment dafür interessiere, wie sie starb. Doch in einem Bürgerkrieg wie diesem, in welchem so viel bestialische Gewalt ausgeübt wird, macht dies einen Unterschied.

Camille hatte selbst so viele Fotos geschossen von Leichen mit verstümmelten Gliedmaßen, von jungen Männern, die mit abgetrennten Köpfen Fußball spielen, von Kannibalen, die in ein abgetrenntes Bein hineinbeißen wie in eine Schweinshaxe. So zu sterben wünscht man keinem, vor allem nicht der zierlichen Camille.

Sie war so jung. Gerade einmal 26 Jahre. Sie war hübsch, mit großen Augen, nicht zu bändigenden langen Locken und einem Lachen, das selbst in diesem Elend und Kriegsgebiet noch ansteckend war. Mit ihrer Lebensfreude und ihrer Kamera konnte sie ganze Kinderscharen im Flüchtlingslager zum Kichern und Glucksen bringen. Camille war überall im Land bekannt und auch sie kannte fast jeden.

Camille arbeitete seit Dezember als freie Fotografin in Zentralafrika. Die kleine Französin war gerade mit ihrem Journalismus-Studium fertig. Sie hatte sich auf die Fahnen geschrieben, diesen grausamen Konflikt von A bis Z zu dokumentieren. Sie hatte sich in Bangui fest einquartiert. Während wir Kollegen nach ein oder zwei Wochen wieder abreisten und wieder unserem normalen Leben nachgingen, blieb Camille. Ihre Kamera macht sie zur Zeugin von gewaltigen Verbrechen, gar von einem Völkermord. Sie hatte eine Mission.

Klick für Klick zählte sie die Toten

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Firmino Cachada

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