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An die Papaya, fertig,

Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 13. Mai 2018

Schwangerschaft abbrechen!

Von Dinah Riese

Angehende Ärzt*innen üben während des Studiums die verschiedensten medizinischen Eingriffe – Abtreibungen aber nicht. An der Berliner Charité zeigen Gynäkologinnen, wie es geht.

Es spritzt, als die junge Frau die gebogenen Arme der schmalen Zange in das Fleisch der Papaya senkt. Mit einem lauten „Klack“ rastet das Instrument ein. Die Medizinstudentin guckt etwas unsicher zu der Ärztin neben ihr, als ihr Kommilitone einen dünnen Metallstab dicht über dem Strunk der Papaya ansetzt und ihn in die Frucht hineindrückt. „Leg deinen Finger auf den Stab, etwa hier“, sagt Christiane Tennhardt. Ihre Brille baumelt an einem dünnen Bändchen vor ihrer Brust, als sie den Finger auf eine Stelle im oberen Drittel des Stabs legt. „Damit baust du eine Barriere und kannst die Frau nicht verletzen. Sonst perforierst du am Ende noch die Gebärmutterwand.“

Christiane Tennhardt ist Gynäkologin. Die beiden Angewiesenen sind Teil einer Gruppe von etwa 20 Medizinstudierenden aller Semester, die an diesem Montagabend in einem Seminarraum der Berliner Universitätsklinik Charité lernen wollen, wie man eine Schwangerschaft abbricht. Dass sie einen der häufigsten chirurgischen Eingriffe in der Gynäkologie an Papayas üben, hat nicht nur mit der einem Uterus ähnelnden Form der Frucht zu tun: Die Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sind kein Bestandteil des Medizinstudiums an der Charité – Europas größter Uniklinik. Und so üben die angehenden Mediziner*innen den Eingriff in ihrer Freizeit statt in einer Pflichtveranstaltung. An selbst mitgebrachtem Obst und unter der ehrenamtlichen Anleitung erfahrener niedergelassener Ärztinnen. „Lernt, was die Uni euch nicht lehrt“, steht auf den Plakaten, die den Weg in den Seminarraum weisen. Einen Leistungsnachweis erwartet hier niemand.

Zwanzig Minuten vorher. Es knistert und raschelt an den mit schwarzen Müllsäcken abgeklebten Tischen, als die Studierenden zu Beginn des Workshops ihre Papayas vorbereiten und die medizinischen Instrumente auspacken. In der hinteren Ecke des Raums hängen Flyer, auf denen „My body: My choice“ steht, oder: „We trust women“. Tennhardt und ihre Kollegin Gabriele Halder geben Instruktionen für die Vorabuntersuchung: Immer zwei an einer Frucht, einer hält, einer untersucht. Arztkittel trägt an diesem Abend niemand, auch die Ärztinnen sind in sommerlicher Freizeitkleidung erschienen. Und auch der kleine Raum mit den Tischreihen und dem Whiteboard lässt eher an wortreiche Seminare denken denn an medizinische Übungen. Allein das silberne Glänzen der Instrumente und das klinische Grün des Papiers, in das sie eingewickelt sind, erinnern an Krankenhaus.

Halder hebt eine Frucht von der Größe eines Brötchens in die Höhe. „Ihr geht hier mit zwei Fingern in die Scheide und ertastet den Muttermund“, sagt sie und legt ihre Fingerkuppen an die Spitze der Papaya. In der Tat erinnert die Frucht aus der Familie der Melonenbaumgewächse mit ihrer Form, dem runden Hinterteil und dem spitzer zulaufenden Strunk an einen Uterus. „Papayas bieten sich außerdem an, weil sich die Kerne absaugen lassen und ihre Beschaffenheit das gefühlvolle Hantieren bei einem Abbruch nachempfindbar macht“, sagt Halder. „Wenn man die Instrumente zu weit oder zu kräftig einführt, kommen sie hinten wieder raus. Das kann bei einer Gebärmutter auch passieren.“

Bevor die Studierenden tatsächlich loslegen, erhalten sie einen Crashkurs in der Anatomie des kleinen Beckens – also jenes Teils des Beckens, der Uterus, Eileiter und Eierstöcke beziehungsweise die Prostata beinhaltet – und über die verschiedenen Methoden und Risiken bei Schwangerschaftsabbrüchen.

File:Papaya.jpg

Es ist bereits das vierte Mal, dass der Workshop in den Räumen der Charité stattfindet. Organisiert hat ihn die Gruppe Medical Students for Choice, die sich für reproduktive Rechte und gegen die strafrechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt. „Wir wollen, dass jede und jeder im Studium sich mindestens einmal grundlegend mit Schwangerschaftsabbrüchen auseinandersetzt und sich eine eigene Meinung dazu bildet“, sagt Alicia Baier. Die Medizinstudentin im neunten Semester hat die blonden Haare zu einem Knoten zusammengebunden, ihr Blick erfasst den ganzen Raum, kontrolliert, ob alles läuft, wie es soll.

Baier hat die Medical Students for Choice Ende 2015 mit gegründet. Jetzt steht sie mit zwei anderen Mitgliedern der Gruppe vor den Studierenden, die sich konzentriert über ihr Obst beugen. Alle drei tragen T-Shirts, auf denen ein stilisierter Uterus seine Eierstöcke in Siegerpose in die Höhe reckt. „Es gibt ein einziges Seminar, in dem der Schwangerschaftsabbruch thematisiert wird“, sagt Baier. Das ist im neunten Semester, und eigentlich geht es um Pränataldiagnostik – also Untersuchungen am Fötus, die unter anderem der Früherkennung von Fehlbildungen oder möglichen Krankheiten oder Beeinträchtigungen dienen. Eine „ungute Verbindung“ nennt sie diese Konstruktion im Curriculum – denn sie suggeriere, dass Behinderung und Abtreibung natürlicherweise zusammengehörten.

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Schweigemethode

File:Toi Toi Dixi Toilette.JPG

Von Dinah Riese und Hanna Voß

„Schmuddelecke“ – dieses Wort fällt immer wieder, wenn man mit Ärzt*innen spricht, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Damit meinen sie nicht nur das gesellschaftliche Stigma, mit dem Abtreibungen auch im 21. Jahrhundert immer noch belegt sind, oder die offenen Anfeindungen selbsternannter Lebensschützer*innen. Auch unter Kolleg*innen werde oft mit Naserümpfen reagiert, wenn es um das Thema gehe.

Eine entsprechend unbedeutende Rolle spielen Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland – zumindest, wenn es um Lehre und Forschung geht. Dort kommt er kaum vor – und das, obwohl er trotz sinkender Fallzahlen zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in der Gynäkologie gehört. Etwas mehr als 100.000 Abtreibungen fanden in Deutschland im Jahr 2017 statt.

Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch gibt es derweil keine. Ein Umstand, den Pro Familia bereits 2014 in einem Rundbrief kritisiert hatte. In Deutschland fehle es an „Standards oder Leitlinien zur fachgerechten Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“, heißt es in dem Papier. Zumindest in Teilen können deutsche Mediziner*innen auf Leitlinien gynäkologischer Fachgesellschaften etwa in den USA, Großbritannien, Kanada oder auch der WHO zurückgreifen – komplett übertragbar sind diese aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen und Gesundheitssysteme aber nicht. Zudem sind sie nur auf Englisch verfügbar.

Quelle    :       TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle     :

Oben     —      Demonstration gegen den § 218 in Göttingen, 1988

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Unten      —      Dixi-Toilette, fotografiert in Heidelberg (Baden-Württemberg, Deutschland)

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