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Schreckgespenst – das Geld

Erstellt von Redaktion am Sonntag 8. November 2020

Das Schreckgespenst – Die Geldpolitik

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Von  Adam Tooze | The Guardianon

Übersetzung: Carola Torti

Die Gefahr einer Deflationsspirale ist real. Wird nun ein radikaler Politikwechsel der Zentralbanken die Weltwirtschaft revolutionieren?

Geht die Vorherrschaft des US-Dollars zu Ende? Und stehen wir angesichts rasant wachsender Staatsausgaben und enormer Defizite kurz vor der großen Inflation? Die exorbitanten Ausmaße der Interventionen in den Finanzmärkten, die Corona notwendig gemacht hat, und die alarmierende Polarisierung der US-Politik lassen derartige Fragen plausibel erscheinen.

Dabei sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass noch im März die ganze Welt nach Dollars rief. Statt der realen Gefahr steigender Inflation stehen die Zentralbanken – im Gegenteil! – derzeit vor dem Problem, wie eine Deflationsspirale vermieden werden kann. Fallende Preise könnten katastrophale Folgen haben, weil sie Kreditnehmer unter Druck setzen – wenn Immobilienpreise so stark fallen, dass der Wert der Immobilie auf einmal niedriger ist als die Restschuld gegenüber der Bank. Sinkende Preise führen zu einem Teufelskreis: Käufe werden aufgeschoben, weil erwartet wird, dass die Preise weiter fallen, was wiederum zum Sinken der Nachfrage und dementsprechend weiteren Preissenkungen führt.

Schon jetzt sind als Reaktion auf die Gefahr einer Deflation Veränderungen im Gange: Kein dramatischer Zusammenbruch, sondern eine Reihe von subtilen, aber wichtigen Anpassungen in der Politik der Zentralbanken.

Das Modell der Zentralbankpolitik, das derzeit abgelöst wird, entstand im Kampf gegen die Inflation in den 1970ern. In diesem Modell bediente sich eine unabhängige Zentralbank des Werkzeugs von Zinssätze, um die Inflation unter zwei Prozent zu halten. Wenn die Arbeitslosigkeit „zu stark“ zurückging und die Preisinflation sich beschleunigte, erhöhte die Zentralbank den Zinssatz. Grundgedanke dabei war es, die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer*innen in Schach zu halten. Dass sich Zentralbanken auf der ganzen Welt kollektiv diesem Mantra anschlossen, war einer der Pfeiler der neoliberalen Ära.

Das Problem anhaltend niedriger Inflation tauchte zuerst in Japan in den 1990ern auf. Damals war es noch eine Ausnahme. Dann jedoch erschütterten die Ereignisse im Jahr 2008 die Finanzsysteme in Europa und den USA. Die Zentralbanken reagierten mit enormen Anleihenkaufprogrammen, bekannt als quantitative Lockerung. Das half zwar, den Zusammenbruch des Finanzsystems abzuwenden, führte jedoch auch zu siechend schwachem Wachstum und Preisen, die an der Kippe zur Deflation entlangschrammten. Die Nachfrage in der Wirtschaft war schlicht zu gering. Dies galt es zu kompensieren, und nachdem der anfängliche Enthusiasmus für Austeritätspolitik nachgelassen hatte, begannen die Zentralbanker*innen in Europa, den USA und Japan stattdessen höhere Staatsausgaben zu fordern.

Nachdem sie jahrelang auf Anleihenkäufe gesetzt hatte, schwenkte die japanische Zentralbank 2016 auf eine Politik der „Zinskurvensteuerung“ um. Die Bank setzte sich zum Ziel, die Rendite zehnjähriger japanischen Staatsanleihen nicht über Null steigen zu lassen. Die Idee dahinter war es, auf diese Weise niedrige Zinsen für Kredite zu garantieren, was wiederum Darlehen und Investitionen ankurbeln sollte. Dadurch gelang es, das Schreckgespenst der Deflation zu vertreiben. Die Wachstumsraten blieben jedoch mäßig. Anfang des Jahres, als der Corona-Schock einen Höhepunkt erreichte, entschied sich die australische Zentralbank dafür, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen.

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) setzte Zinskurvensteuerung zuletzt 1940 ein, als es darum ging, die Schuldenberge des Zweiten Weltkriegs zu verwalten. Es ist bezeichnend für die jetzigen Zeiten, dass in diesem Sommer Gerüchte aufkamen, sowohl die Fed als auch die Bank of England wollten dem Vorbild der Australier folgen. Am Ende taten sie es nicht. Aber die Fed verkündete in den vergangenen Wochen ihre eigene Mini-Revolution.

Die US-Zentralbank änderte zwar nicht ihr Hauptziel, Preisstabilität und möglichst niedriger Arbeitslosigkeit gleichzeitig zu erreichen, aber sie kündigte doch an, nicht mehr präventiv die Wirtschaft bremsen zu wollen, selbst wenn es auf dem Arbeitsmarkt eng wird. Zudem will sie ihr Inflationsziel von zwei Prozent künftig nur mehr als durchschnittlichen Richtwert behandeln. Angesichts vieler Jahre mit einer niedrigen Inflation könnte die Fed dementsprechend jetzt eine Zeit lang höhere Inflation tolerieren, um die Differenz auszugleichen. Grundsätzlich geht die Fed davon aus, dass die Arbeitnehmer*innen deutlich weniger Verhandlungsmacht als in den 1970ern haben und das Risiko einer Inflationsexplosion deshalb gering ist.

Auch die EZB experimentiert

Durch die Koppelung der Zinssätze an den Dollar führte diese Ankündigung zu einem Wertverlust der US-Währung. Generell ist ein schwacher Dollar gut für die Weltwirtschaft. Es hilft denen, die in Dollars verschuldet sind und denen, die auf Basis von Dollarpreisen handeln. Aber es setzt Europa, das seine Exporte zu Euro-Preisen verkauft, unter Druck. Lange Zeit konnte die EU darauf zählen, dass die Sorgen über die Finanzkrisen in Griechenland und Italien den Wert des Euro niedrig hielten. Aber seit 2020 geht diese Rechnung nicht mehr auf. Die politischen Krisen in den USA stehen dem Erfolg der Europäer gegenüber, einen Finanzdeal ausgehandelt zu haben. Das hat den Euro in die Höhe getrieben, drückt die Exporte, während durch die Senkung der Preise von Importen nach Europa das Deflationsrisiko wächst.

Die Euro-Statue mit zwölf Sternen - panoramio.jpg

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat bis heute weder auf die Kontrolle der Zinskurve gesetzt noch ihre Inflationsdefinition verändert. Aber auch sie wagt gerade ein radikales Experiment. Im Gegensatz zur US-Wirtschaft, in der die Unternehmen sich durch Anleihen finanzieren, finanzieren sich Unternehmen in Europa vor allem durch Darlehen bei Banken. Die EZB hat einen neuen Weg gefunden, die Wirtschaft zu stimulieren, indem sie einen gestaffelten Zinssatz einführt. Wenn Banken an Firmen Geld leihen, können sie das jetzt mit Geldern aus dem sogenannten LTRO-Programm (für ‚Gezielte Langfristige Refinanzierungsgeschäfte‘) tun, das die EZB ihnen anbietet, damit sie Geld verleihen können. Diese Subventionierung von Bankkrediten hat zwar nicht ausgereicht, um die Gefahr der Deflation zu bannen, aber sie hat zumindest erreicht, dass der Kreditfluss nicht zusammengebrochen ist.

Quelle       :       Der Freitag       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —      To commemorate the launch of the Euro 20 years ago, Parliament will host a ceremony on Tuesday at 11.30, opened by EP President Antonio Tajani and followed by speeches by Jean-Claude Juncker, Mario Draghi, Mário Centeno, Jean-Claude Trichet and Roberto Gualtieri, Chairman of Parliament’s Economic and Monetary Affairs Committee. There will also be an exhibition on the Euro within the premises of the European Parliament. Read more: <a href=“http://www.europarl.europa.eu/news/en“ rel=“noreferrer nofollow“>www.europarl.europa.eu/news/en</a> This photo is free to use under Creative Commons license CC-BY-4.0 and must be credited: „CC-BY-4.0: © European Union 20XY – Source: EP“. (<a href=“https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/“ rel=“noreferrer nofollow“>creativecommons.org/licenses/by/4.0/</a>) No model release form if applicable. For bigger HR files please contact: webcom-flickr(AT)europarl.europa.eu

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