Schaltet die Schweiz ab?
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 1. März 2018
Rundfunkgebühren in der Schweiz
Von Anne Fromm
Die Schweiz stimmt bald über die „Billag-Gebühr“ ab. Erstmals könnte ein europäisches Land seinen öffentlichen Rundfunk abschaffen.
CHUR/ZÜRICH taz | Es ist Montag, der 5. März 2018. „Grüazi miteinandr“, grüßt der Nachrichtensprecher im Radio. „Die Mehrheit der Schweizer hat gestern beschlossen, die Gebühr für Funk und Fernsehen abzuschaffen. Zur Stunde berät der Bundesrat, wie es für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, kurz SRG, nun weitergeht.“
In Bern tritt der Bundesrat zusammen. Die Aufregung ist groß. Für das, was jetzt ansteht – die Abwicklung des öffentlichen Rundfunks –, gibt es keine Vorlage. Es ist noch nie in Europa passiert.
In der SRG-Zentrale in Bern herrscht Chaos. Während sich die 6.000 Mitarbeiter fragen, wie lange ihr Arbeitgeber ihnen noch Gehälter zahlen kann, beraten die vier Generaldirektoren in einer Telefonkonferenz, wie sie den Konkurs vermeiden könnten. Die Kolleginnen und Kollegen in den anderen europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern sind schockiert.
Die AfD-Bundestagsfraktion in Berlin dagegen twittert freudig: „Gute Nachrichten aus der Schweiz: Die Rundfunkgebühr fällt weg. Jetzt muss Deutschland nachziehen. #staatsfunk #GEZabschaffen“. Auch in Frankreich, Dänemark, Tschechien, Polen, Österreich und Holland frohlocken die Rechtspopulisten.
Wie es so weit kommen konnte
All das ist nur ein Szenario. Aber eines, das Realität werden könnte, wenn die Schweizer am 4. März für NoBillag stimmen. Die Initiative will, dass der Staat keine Rundfunkgebühren mehr erheben und keine eigenen Radio- und Fernsehstationen betreiben darf.
Auch in Deutschland ist die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen in den vergangenen Jahren lauter geworden: Als der Ukrainekrieg eskalierte, schimpften manche Linke, ARD und ZDF berichteten zu russlandkritisch und Nato-freundlich. Im Sommer 2015 schrien Rechte, ARD und ZDF seien zu flüchtlingsfreundlich und blendeten Probleme aus.
Mit der AfD sitzt nun eine Partei im Bundestag, die den Öffentlich-Rechtlichen vorwirft, sie würden „Fake News“ verbreiten. Und die es zu ihren politischen Zielen zählt, die Rundfunkgebühr abzuschaffen.
Am Beispiel der Schweiz lässt sich verstehen, wie es so weit kommen kann, sich ein Diskurs so zuspitzen kann, dass der öffentliche Rundfunk in seiner Existenz bedroht ist.
„Ich sehe nicht ein, warum ich für etwas zahlen soll, was ich nicht nutze“, sagt Florian Maier. Vier Wochen vor der Abstimmung sitzt er in einem Café im Züricher Hauptbahnhof. Er ist 29 Jahre alt, hat in Peking BWL studiert. In seinem Kapuzenpulli und den ausgebeulten Jeans sieht er aber nicht aus wie der klassische Betriebswirt.
Maier hat den Text geschrieben, über den die Schweizer abstimmen. Er schaue kein Fernsehen, höre kein Radio, sagt er. Er lese Zeitung, Neue Zürcher und Frankfurter Allgemeine.
Maier ist Jungfreisinniger, also Mitglied der jungen Liberalen. Das hört man auch, wenn er spricht: Er redet viel vom freien Markt, von der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, von Überregulierung in den Medien und im Gesundheitswesen. Klassisch liberale Themen.
Dennoch: Der Mutterpartei FDP sind die Jungfreisinnigen mittlerweile zu radikal. Selbst die FDP hat ihre Mitglieder aufgerufen, gegen die Initiative zu stimmen. Die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) unterstützt als einzige Partei die Initiative.
Radio- und Fernsehmarkt vollständig liberalisieren
Maier spricht langsam, kurze, präzise Sätze. Er erzählt, wie alles anfing. Mit zwei Parteifreunden kam er von einer Vorstandssitzung, für ein Bier wollten sie in eine Kneipe. Müsste man nicht, fragte einer, die Biersteuer abschaffen? Maier und seine Mitstreiter waren zu der Zeit noch Studenten, das Geld oft knapp. Maier finanzierte sein Studium mit „Glück an der Börse“, wie er es nennt. „Griechische Staatsanleihen“, sagt er dazu heute und grinst. „Danke, Deutschland.“
Aber die Biersteuer, das ist nicht viel Geld. Gut 25 Franken zahlen Schweizer Brauer auf 100 Liter Bier. Deswegen waren sich Maiers Parteifreunde einig: Das wäre kein großer Wurf. „Was uns wirklich mehr Geld bringen würde, wäre, die Billag-Gebühr abzuschaffen“. Billag, das ist das Unternehmen, das in der Schweiz die Rundfunkgebühren einzieht. Und so entstand an diesem Novemberabend 2013 die Idee zu NoBillag.
Die Studenten gründeten eine Facebook-Gruppe, innerhalb kürzester Zeit wurde diese zur meistgelikten politischen Gruppe der Schweiz. Die ersten Umfragen im vergangenen Herbst bescheinigten dem Projekt Erfolg. Eine Mehrheit gab an, für eine Abschaffung zu stimmen. Mittlerweile hat sich das umgekehrt: Laut der aktuellsten Erhebung wollen nur noch 39 Prozent mit Ja stimmen. Aber mit Umfragen ist das ja so eine Sache.
Maier und seine Freunde wollen den Radio- und Fernsehmarkt vollständig liberalisieren. Die Senderechte sollen künftig versteigert werden. Jeder, der das Geld hat, soll sich so seine eigene Radio- oder Fernsehstation aufbauen können. Firmen wie Google und Facebook könnten investieren, Medienunternehmen aus dem In- und Ausland, Multimillionäre, Populisten. Es wäre das Ende des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz.
Fernsehen in den vier Amtssprachen
Nein, Maier widerspricht. Er glaubt nicht, dass der Schweizer Rundfunk am Ende wäre. „Auch die SRG könnte sich auf die Senderechte bewerben. Das würde sie zum Privatsender machen. Und die Schweizer würden eine Menge Geld sparen.“
Tatsächlich ist der Schweizer Rundfunk der teuerste der Welt. 451 Franken zahlt jeder Haushalt im Jahr, gut 400 Euro. In Deutschland sind es 210 Euro im Jahr. 17 Radio- und 7 Fernsehprogramme betreibt die SRG, für gerade mal 8 Millionen Einwohner. Das ist viel, liegt aber auch daran, dass sie in allen vier Schweizer Amtssprachen sendet: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Kann dieses aufwendige Programm anders finanziert werden? „Die SRG muss sich ein neues Geschäftsmodell überlegen. Abonnements verkaufen, Pay-TV werden oder sich stärker über Werbung finanzieren“, sagt Maier.
„Das wird nicht funktionieren“, sagt Laura Zimmermann. Sie ist Maiers Gegenspielerin, dabei kommen beide aus derselben Denkschule. Auch Zimmermann ist eine junge Liberale, 26 Jahre alt, Juristin, promoviert an der Uni Zürich. Sie ist Präsidentin der Operation Libero, einer liberalen politischen Bewegung.
Zimmermann ist das Gesicht der aktuellen Kampagne gegen die Abschaffung der Billag. Innerhalb kürzester Zeit ist sie zum Medienprofi geworden, sitzt auf Podien und in Fernsehstudios. NoBillag sei ein „Anschlag auf die Demokratie“, sagt sie immer wieder. Die Operation Libero befinde sich „im Krieg“ mit der NoBillag-Initiative.
Journalistische Brache
An einem Dienstagabend vier Wochen vor der Abstimmung steht Zimmermann in einem Großraumbüro in einem Kulturzentrum in Zürich. Der Stammtisch der Operation Libero findet hier statt. Zimmermann begrüßt ihre Mitstreiter mit Pathos: „Als Verfassungspatrioten ist es unsere Pflicht, für den öffentlichen Rundfunk zu kämpfen. Ein gesundes Mediensystem gehört zur Grundversorgung einer Demokratie.“
Viele neue Gesichter sind gekommen, sie wollen ihren Rundfunk retten. Zimmermann liefert ihnen dafür Argumente. Leidenschaftlich wirbt sie für die Medienfreiheit im Land, führt jeden Gedanken bis ins Detail aus. Sie tänzelt immer wieder von einem Fuß auf den anderen, ihre Hände hält sie zur Merkel-Raute geformt.
„Information und Journalismus funktionieren nicht im freien Wettbewerb“, sagt sie. Es ist ihr wichtigstes Argument, das sie mehrfach wiederholt. Der Schweizer Medienmarkt sei zu klein und nicht attraktiv für Werbetreibende: ein Land mit vier Sprachen, das zu 80 Prozent aus Tälern und Bergen besteht.
Schon jetzt fließt ein großer Teil des Werbebudgets der Schweizer Firmen an Google und Facebook. Für klassische Medien bleibt immer weniger – und nicht genug, um sich allein dadurch zu finanzieren, glaubt Zimmermann. „Wenn wir die Gebühren streichen, stirbt die SRG. Was dann kommt, wäre eine journalistische Brache.“
Das deckt sich mit der Vermutung vieler Medienökonomen. Die Wissenschaftler, die sich öffentlich zu NoBillag geäußert haben, gehen davon aus, dass die SRG abgewickelt werden müsste, wenn die Abschaffung der Gebühr beschlossen würde. Belastbare Studien gibt es nicht, dafür aber ein Land, das als einziges weltweit seinen öffentlichen Rundfunk bereits abgeschafft hat: Neuseeland.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Deutsch: Alphornbläser der Musikkapelle Schattwald auf dem Dorfplatz neben der Jakobskapelle in Grän-Haldensee
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