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RENTENANGST

Sascha Lobos Meinung

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 31. Oktober 2019

So können auch Sie zum Dumpfbürger werden

File:Abfalleimer als Wahlurne.JPG

Eine Kolumne

Sie glauben, dass es nicht darum geht, was für die Gesellschaft gut ist, sondern was für Sie gut ist? Dann hat unser Kolumnist etwas für Sie: Eine Anleitung, wie Sie die liberale Demokratie zerstören können.

23,4 Prozent sind für einen Faschisten schon gar nicht schlecht. Aber wenn Sie, geschätztes Publikum, die freie und offene Gesellschaft wirklich vernichten möchten, dann reicht das natürlich nicht. Dann brauchen Sie mehr. Nicht nur mehr Prozente, sondern vor allem mehr von einer ganz besonderen Substanz: der dumpfen Bürgerlichkeit nämlich, dem bösen Zwilling der aufrechten Bürgerlichkeit.

Faschisten gewinnen selten allein, sie brauchen Sympathisanten, Verbündete und Verharmloser. Und dazu taugen auch Sie – wenn Sie sich endlich zur Dumpfbürgerlichkeit bekennen. Ob in Gesprächen in sozialen Medien, in Leitartikeln oder in der Kaffeeküche im Büro.

Nur zu, es geht ganz leicht, denn vor Ihnen haben schon viele diesen Weg beschritten. Die dumpfe Bürgerlichkeit hat sich wie ein, na ja, Nebelteppich im Land ausgebreitet. Bitte begreifen Sie diesen Text als Leitfaden der Dumpfbürgerlichkeit. Schließlich lässt sich jede zivilisatorische Errungenschaft ins Giftige wenden.

Und das ist das Generalrezept zur Zerstörung der liberalen Demokratie: die Umdeutung bürgerlicher Werte und Positionen in Richtung egozentrischer Dumpfheit. Dabei müssen Sie für jeden sinnvollen Aspekt der Bürgerlichkeit eine oberflächlich ähnliche Entsprechung finden, die den bürgerlichen Fundamentalwert der Menschlichkeit durch sein Gegenteil ersetzt. Das geht leichter, als man befürchtet, probieren Sie es doch selbst aus!*

Mäßigung wird zu Lethargie

Das wesentliche Merkmal der Bürgerlichkeit ist die Mäßigung. Die dumpfe Bürgerlichkeit macht daraus Lethargie. Der Unterschied ist, dass Mäßigung eine aktive Entscheidung ist, die manchmal gezielt nicht getroffen wird. Zum Beispiel, wenn es um die Verteidigung der liberalen Demokratie geht, also der einzigen Staatsform, in der aufrechte Bürgerlichkeit existieren kann.

Die lethargische Dumpfbürgerlichkeit hingegen lässt alles geschehen, solange sie selbst nicht betroffen ist. Oder präziser: sich nicht betroffen fühlt. Denn in der dumpfbürgerlichen Welt gerinnt alles zum Ich-Gefühl, selbst die messbare Realität. Wenn sich also das im Erdgeschoss brennende Haus für ihn gar nicht warm anfühlt, fragt der Dumpfbürger auf der Dachterrasse lautstark und rhetorisch, ob das von der Feuerwehr verspritzte Wasser nicht mehr schade als nutze. Konkret müssen Sie den Kampf gegen Extremisten selbst als Extremismus brandmarken.

Anstand wird zu „Political Correctness“

Mit dem Kampfbegriff „Political Correctness“ verwandeln Sie die bürgerliche Tugend des Anstands in ein egozentrisches Monster. Wer „Political Correctness“ in verächtlichem Sinn sagt, macht seinen eigenen Gefühlsmaßstab zum Mittelpunkt der Welt: Ich entscheide, was herabwürdigend ist und was nicht.

Das N-Wort ist dann eine liebgewonnene Tradition, gegen die drei Ihnen persönlich bekannte schwarze Menschen gar nichts haben, hoho, wohingegen „Kartoffel“ und „weißer, alter Mann“ höchst rassistische Beleidigungen sind.

Das wird einfacher, wenn Sie Sprache nicht etwa als fluides Kulturkonstrukt begreifen, das Realität gleichzeitig abbildet und prägt, sondern sich Sprache als Denkmal vorstellen. Und zwar als Denkmal von Ihnen selbst. Denn das Geheimnis der richtigen, also dumpfbürgerlichen Anwendung von „Political Correctness“ ist, jede eigene Empfindung als unhinterfragbaren „gesunden Menschenverstand“ zu betrachten und alle anderen Empfindungen als übertrieben, hysterisch oder humorlos zu verwerfen.

Moral wird zu Hypermoral

Quelle       :       Spiegel-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —         Abfallbehälter mit Aufkleber „Deine Wahlurne – Bitte Wahlzettel gleich hier einwerfen […]“ – Schlagwöter: Wahlboykott oder Politikverdrossenheit), gesehen in München-Schwabing

Author User:Mattes      /  Aource    :    Own work

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Unten          —        Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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