Sahra macht es kompliziert:
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 12. April 2021
Sahra Wagenknecht führt die NRW-LINKE in den Bundestagswahlkampf
Quelle: Scharf — Links
Von Edith Bartelmus-Scholich*
Auf einer Hybrid-Veranstaltung hat die LINKE.NRW heute ihre Landesliste zur Bundestagswahl bestimmt. Dabei blieben die VertreterInnen zuhause an ihren Rechnern und führten eine digitale Vorwahl durch. Die Kandidierenden und der Landesvorstand trafen sich in Essen, damit die Bedingungen für alle Kandidierenden gleich waren. Morgen muss dann die Liste noch per Urnenwahl bestätigt werden.
Im Vorfeld der Listenaufstellung hatte es in der Landespartei heftige Kritik an der erneuten Kandidatur von Wagenknecht auf Platz 1 der Liste gegeben. In den letzten Jahren hatte sich Wagenknecht in ihrem Wahlkreis ebenso wenig blicken lassen wie in ihrem Düsseldorfer Kreisverband. Während des letzten Jahres hatte sie auch ihre Abgeordneten-Tätigkeit sehr zurückgefahren. Zu Sitzungswochen war sie oft nicht mehr nach Berlin gefahren und an Fraktionssitzungen nahm sie auch überwiegend nicht mehr teil. Sie war während dieser Zeit aber als Publizistin und Influenzerin tätig.
Noch weit mehr Kritik entzündete sich an den politischen Positionen und den Stilmitteln von Wagenknecht. Mit AUFSTEHEN hatte sie 2018 eine Sammlungsbewegung gestartet, die Parteienlandschaft links von der Mitte verändern sollte. Dies gelang nicht, wohl aber geriet das Projekt zu einer innerlinken Sammlung um Wagenknecht und weitere linke Abgeordnete. Dieser sich formierende Flügel ist heterogen, aber insgesamt am rechten Rand der Partei angesiedelt. Wagenknecht gewöhnte sich an, nicht mehr mit der Partei direkt in deren Gremien zu kommunizieren, sondern nur noch über die (bürgerlichen) Medien.
Ursprünglich aus der Kommunistischen Plattform kommend hatte Wagenknecht sich in den letzten Jahren auf einen zunehmend rechten Kurs begeben. Ihr gerade erschienenes Buch „Die Selbstgerechten – Mein Gegenprogramm – Für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (1) rechnet nicht nur mit der gesellschaftlichen Linken ab, sondern umreißt auch ein eigenes „linkskonservatives“ Programm, welches auf den Werten Nation, Leitkultur und Leistungsgesellschaft fußt. Die in diesem Buch aufgestellten Thesen befeuerten den Streit um die Spitzenkandidatur von Wagenknecht noch einmal sehr.
Auf der LandesvertreterInnenversammlung (LVV) gab es zwei GegenkandidatInnen zu Sahra Wagenknecht. Schon länger bekannt war die Kandidatur der Gewerkschafterin Angela Bankert aus Köln. Spontan entschloss sich noch die junge queere Klimaaktivistin Hannah Harhues aus Münster zu kandieren. Harhues konfrontierte in ihrer Vorstellungsrede Wagenknecht mit Aussagen aus deren Buch „Die Selbstgerechten“ und vermittelte der LVV, wie dieses Buch in Bewegungszusammenhängen wirken wird. Bankert stellte dem rechtssozialdemokratischen Ansatz von Wagenknecht einen antikapitalistischen, bewegungsorientierten entgegen. Wagenknecht hielt eine Rede in der sie sich als missverstandenes Opfer einer verleumderischen Kampagne stilisierte und zahlreiche Aussagen aus ihrem neuen Buch relativierte. Darüber hinaus machte sie der Versammlung vollmundige Versprechen für einen fulminanten Wahlkampf. Niemand hinterfragte dabei, weshalb sie diesmal noch nicht einmal mehr einen Wahlkreis übernimmt, sondern nur den Listenplatz 1 beansprucht.
Schließlich wählte die LVV Wagenknecht mit 61% zur Spitzenkandidatin. Eine Debatte über ihre Positionen hatte die LVV zuvor noch mit Mehrheit abgelehnt. Von den 19 Fragen, die die VertreterInnen ihr gern gestellt hätten, wurden drei ausgelost. Mit dem Ergebnis von 61% erreichte sie bei ihrem vierten Wahlantritt in NRW einen Tiefpunkt. Im Vergleich zur Listenaufstellung 2017 hat sie knapp 20% Zustimmung verloren, im Vergleich zu 2013 sogar knapp 30%.
Da die LVV nicht ganz repräsentativ für die Landespartei ist, weil nur Mitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit, die mindestens 18 Jahre alt sind, VertreterInnen werden können, kann aus dem Ergebnis geschlossen werden, dass die Partei in NRW in etwa zwei gleich große Lager gespalten ist. Die weiteren Wahlergebnisse auf der LVV unterstützen diese Annahme. Breit getragen wurden nur die Kandidaturen der bisherigen MdB Matthias W. Birkwald (Listenplatz 2 / 84%), Kathrin Vogler (Listenplatz 5 / 72%) und Friedrich Straetmanns (Listenplatz 10 / 71%). Bemerkenswert ist hierbei, dass sich auch diese MdB integrativ verhalten. Die bekanntesten KandidatInnen der sog. Wagenknecht-Flügels z.B. Sevim Dagdelen und Christian Leye erhielten noch schlechtere Ergebnisse als Sahra Wagenknecht.
Die Partei hat in NRW nun das Problem nach dieser LVV, wo eine starke Minderheit bei der Vergabe der Listenplätze überhaupt nicht berücksichtigt wurde, die Wahlkampffähigkeit herzustellen. Hinzu kommt, dass die Entscheidung in NRW auch den Wahlkampf im gesamten Bundesgebiet beeinträchtigen wird. Das Echo über die Sozialen Medien von BewegungsaktivistInnen und jungen Linken ist katastrophal. Viele junge Mitglieder kündigen an die Partei zu verlassen.
Direkt nach Bekanntwerden der ersten Textauszüge aus Wagenknechts neuem Buch „Die Selbstgerechten“, zeichnete sich zudem schon ab, wie der Wahlkampf mit Wagenknecht als Spitzenkandidatin in NRW und ausstrahlend auf das gesamte Bundesgebiet verlaufen wird. Das Wagenknechtsche Gegenprogramm in „Die Selbstgerechten“ passt nämlich so gar nicht zum Programm der Partei DIE LINKE. Völlig zu Recht fragen daher JournalistInnen schon jetzt, welches Programm denn die Kandidatin vertritt, das eigene oder das ihrer Partei DIE LINKE. Dieses Thema ist nun bis zum Wahltag gesetzt und die Glaubwürdigkeit der Partei leidet darunter.
Das aufziehende Desaster hat der Landesvorstand der Partei DIE LINKE. mit zu verantworten. Starrsinn und politische Dummheit der Landesvorstandsmehrheit haben nämlich eine Lösung verhindert, die das erwartbar schlechte Wahlergebnis hätte abwenden können.
Edith Bartelmus-Scholich, 10.4.2021
Die Autorin ist Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE. NRW
(1) „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht: Eine Streitschrift für den „Linkskonservatismus“
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Grafikquellen :
Oben — Als Gründerin der Kommunistischen Plattform wurde sie einst bekannt –
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Unten — Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht. Leipziger Parteitag der Linkspartei 2018. 1. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE. Vom 8. bis 10. Juni 2018. Tagungsort: Leipziger Messe, Congress Center Leipzig.
Donnerstag 15. April 2021 um 7:48
Als stiller Mitleser juckt es heute in den Fingern:
Sahra Wagenknecht zeigt in ihren Interviews, dass sie jedes Gefühl für die Partei verloren hat.
Fundamental mit Aufstehen gescheitert, übersieht ihr eigenes Scheitern, treibt Keil weiter in der PDL, Gauland wir jubeln, kommt über die eigene Selbstgerechtigkeit nicht heraus …
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-mosaik/audio-umstrittenes-neues-buch-von-sahra-wagenknecht-100.html