Sacre-Coer sehen und sterben
Erstellt von Gast-Autor am Dienstag 4. Februar 2014
Lars Kraume Film „Meine Schwestern“
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Autor: Hans-Günther Dicks
Datum: 03. Februar 2014
Mit den Happyends im Film ist es eine vertrackte Sache. Das Kino als Wohlfühlunterhaltung liebt sie, „don´t worry, be happy“, weil sie helfen, die Zuschauer mit etwas Glücksgefühl in die Welt zu entlassen. Diese aber hat in der Realität nur einen begrenzten Vorrat an glücklich endenden Geschichten, und gerade die, „die das Leben schrieb“, vertragen oft kein Happyend. Die in Lars Kraume „Meine Schwestern“ zum Beispiel, zu der sich der Regisseur durch den frühen Herztod seines Bruders anregen ließ. Für das Happyend-Dilemma fand er eine so simple wie elegante Lösung. Er tut, was den Rezensenten seines Films gewöhnlich zu tun verboten ist – er verrät den Schluss seiner Geschichte gleich vorneweg. Auf einer Bahre, bedeckt mit einem Tuch, wird da mit geübten Handgriffen eine Leiche in das Regal einer Leichenhalle geschoben, deren Stimme uns aus dem Off von ihrem Leben und ihrem Ende berichtet: Wegen eines schweren Geburtsfehlers von den Ärzten schon als Baby fast aufgegeben, ist sie sogar 30 geworden, hat aber dann eine komplizierte Herzoperation nicht überlebt.
Linda hieß, nein, heißt sie, denn nun führt Kraumes Film uns zurück in die letzten Wochen ihres Lebens, die sie in Vorahnung des Ausgangs mit ihren beiden Schwestern verbringen will, und zwar im Nordseedorf Tating, wo die Familie oft Urlaub gemacht hatte. Katharina, die älteste und dreifache Mutter, ist wenig begeistert von Lindas Idee, willigt aber doch ein, als Linda gemeinsam mit Clara, der Jüngsten, reisefertig an ihrer Tür klingelt. Als Stille, Nordseeluft und alte Urlaubserinnerungen nicht mehr ausreichen, die düsteren Gedanken zu verscheuchen, macht sich das Trio auf zu einer Tante ins bunt-muntere Paris, obwohl Lindas Ohnmachtsanfälle die Freude am Zusammensein immer öfter trüben. Doch als Linda von einer Party ausreißt und auf der großen Treppe hinauf nach Sacre-Coeur zusammenbricht, ist die Heimreise zur Operation unaufschiebbar…
So bekommt der in seiner Unerbittlichkeit schockierende Filmbeginn den Charakter von Befreiung, macht die nachfolgende Gelöstheit im Erzählstil erst möglich und jede falsche Rührseligkeit obsolet. Ruhige Totalen leerer Nordseestrände, die Nostalgie im Dorf ihrer Kindertage, in dem die Zeit still zu stehen scheint, und kurz darauf die pulsierende Metropole Paris mit Touristenattraktionen und buntem Lichtermeer, von Kameramann Jens Harant ohne aufgesetzte Mätzchen eingefangen, all das spiegelt das Wogen der Emotionen, die Katharina und Clara ebenso bewegen wie die quasi mit dem Tod groß gewordene Linda. Was wir darüber hinaus über die Auswirkungen von Lindas Krankheit auf ihre gesamte Familie erfahren müssen, vermitteln knappe Andeutungen in den Dialogen: Das Sorgenkind Linda hat der älteren Katharina allzu früh ihre Jugend geraubt, und auch Clara musste mit dem zufrieden sein, was an Zuwendung für sie übrig blieb.
Der erwähnte dramaturgische Kniff allein hätte freilich kaum ausgereicht, „Mein Schwestern“ zu einem der gelungensten deutschen Filme des vergangenen Jahres zu machen, der nach dem Berlinale-Start 2013 nun endlich auch die Kinos erreicht. Aber in Jördis Triebel (Linda), Nina Kunzendorf (Katharina) und Lisa Hagmeister (Clara) fand Kraume die kaum zu übertreffende Idealbesetzung des Trios, das alle Stimmungsumbrüche zwischen vager Hoffnung, trotzigem Humor, lautem Trubel und stiller Nachdenklichkeit umso glaubwürdiger verkörpern kann, da alle drei ihre Figuren gemeinsam mit dem Regisseur schon in der Drehbuchphase entwickeln konnten. Ein leider viel zu selten erprobtes Verfahren, das bald Nachahmer finden sollte, denn der so erzielte Gewinn an fast dokumentarischer Realitätsnähe ist unübersehbar. (Dass die Männerfiguren, vor allem Stephan Grossmann als Katharinas Ehemann, deutlich schwächer konturiert sind, war vielleicht Absicht, schmälert Kraumes Leistung jedenfalls nur marginal.) Wen „Fack ju Göhte“ und ähnlich pubertäre Volksverblödungen nicht endgültig aus dem Kino vertrieben hat, der sollte sich „Meine Schwestern“ nicht entgehen lassen.
Der Film kommt am 6. 02. in die Kinos
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Grafikquelle : Raoul Reinert (Produzent), Lars Kraume (Regisseur) Deutsche Akademie für Fernsehen – Symposium und Preisverleihung in Köln