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Feuer Sachsen+Brandenburg

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 28. Juli 2022

Deutschland wird zum Waldbrandland

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Die Bürger werden von der Politik Verraten und für Dumm verkauft

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Große Brände werden in Zeiten der Klimakrise zur neuen Normalität. Dagegen müssen wir als Gesellschaft eine Feuerkultur entwickeln – und wir brauchen eine politische Antwort.

Auf einer Aussichtsplattform auf einem Berg stehe ich. Mein Blick wandert den Hang herab über den verkohlten Boden. Er ist von verbrannten Vegetationsresten bedeckt. Langsam hebe ich den Blick, sehe verbrannte Bäume. Leichte Irritation, dass an manchen noch Blätter hängen. Doch auch die sehen verbrannt aus.

Mein Blick schweift langsam weiter, ich erkenne, dass Rauchschwaden in der Luft hängen, was ich schon zuvor anhand des Geruchs erahnte. Immer höher schaue ich, und es entfaltet sich eine Höllenlandschaft. Es wirkt nicht real, eher wie eine gigantische Katastrophenfilmkulisse. Vernebelt vom Rauch verbrannter Bäume, Pflanzen, Tiere reiht sich Hügelkette an Hügelkette hintereinander, jede einzelne ist bewaldet, oder treffender: war bewaldet.

Denn die Bäume sind allesamt verbrannt. Da ist einfach nichts mehr, nichts außer Baumskeletten und Rauch in der Luft. Anders als frischer Brandrauch schmerzt er jetzt nicht mehr in Nase und Rachen, rund zehn Tage, nachdem die letzten größeren Feuer erloschen sind. Aber ich nehme eine Art olfaktorisches Echo der beißenden Schwaden wahr, meine Nase erinnert sich an den aggressiven Rauch eines noch brennenden Feuers einige Tage zuvor.

Mein Blick führt in die Ferne, ein, zwei, drei, vier, fünf Reihen von Hügeln, alles verbrannt. Bis zum Horizont lässt sich kein Flecken ausmachen, wo die Feuer nicht gewütet hätten. Es fühlt sich an, als sei hier zwar eine besonders eintönige Form der Apokalypse geschehen, aber doch eine Apokalypse. Ich habe diese Momente auf einem kurzen Video festgehalten; es gibt einen ungefähren Eindruck.

Deutschland steuert auf ein Brandrekordjahr zu

Die Szene ist Anfang 2020 in Australien aufgenommen, als ich zu den damaligen Jahrhundertbränden reiste, die wir – eine Pandemie und einen europäischen Angriffskrieg später – am anderen Ende der Welt praktisch vergessen haben. Meine Reise hatte damals den Grund, dass mich solche Großbrände faszinieren, ein Satz, der zugegebenermaßen klingt wie »ich höre gern Musik«. Aber das, was ich dort beobachten konnte, und auch die Gespräche mit Betroffenen helfen mir, die derzeitigen Brände besser einzusortieren.

Der Grund, weshalb ich meine australischen Recherchen aufschreibe, gehört zu den unterschätzten Konsequenzen der Klimakatastrophe: Deutschland wird jetzt zum Waldbrandland. Das sagt Waldbrandexperte Somidh Saha vom Karlsruher Institut für Technologie . Diese Einschätzung folgt dem Forschungsprojekt »Pyrophob« , das in Brandenburg untersucht, wie sich »Wälder gegen Brände und Klimawandel wappnen« können. Dabei geht es auch darum, wie sich Wälder nach einem Waldbrand erholen können, hier hat die Forschung allerdings einen Rückschlag erlitten – denn ein großer Teil der Forschungsfläche ist kürzlich erneut verbrannt .

Ganz Europa brennt derzeit, Deutschland steuert auf ein Brandrekordjahr zu. Australien ist nach Meinung von Fachleuten schon sehr lange ein Wald- oder Buschbrandland. Ein deutlicher Hinweis ist einerseits die uralte, kluge Brandkultur der indigenen Bevölkerung. Und andererseits gibt es in Australien viele pyrophile Pflanzen wie etwa Banksien . Das sind Bäume, die Feuer für die Vermehrung gut gebrauchen können. Die äußere Schicht ihrer Zapfen verbrennt, darunter aber ist ein Stoff, der das Innere mit den Samen vor der Hitze schützt.

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Nach dem Feuer öffnen sich die Samenkapseln, oft beim ersten Regen, der auf den verbrannten Zapfen trifft. Weil Australien schon so lange Waldbrandland ist, kann man die dortigen Erkenntnisse nur in Teilen auf Deutschland übertragen. Aber manches kann man eben doch lernen.

Die Überromantisierung der Natur

Die vielleicht wichtigste Lehre ist, dass die Überromantisierung der Natur, die in Städten noch stärker wirkt als auf dem Land, völlig fehl am Platz ist. In Australien hat die aus Europa mitgebrachte weiße, rassistische Arroganz lange Jahre dazu geführt, dass die alte Feuerkultur der Aborigines verachtet wurde . Sie wurde ersetzt durch die Bekämpfung des Feuers ohne jede Differenzierung, weil in den weißen Köpfen Feuer etwas ausnahmslos Böses, Schlechtes, Bedrohliches war.

Brandbekämpfungsstrategien in Australien eine Rolle gespielt. Dabei ist die gezielte Zerstörung der Natur ein wichtiger Teil des langfristigen Schutzes. Regelmäßige, kontrollierte und zu bestimmten Zeiten absichtlich gelegte Brände verhindern, dass zu viel brennbares Unterholz entsteht.

Die Überromantisierung der Natur und speziell des Waldes ist auch eine urdeutsche Haltung, sie geht leider oft einher mit dem völligen Ignorieren der Regeln eines Ökosystems und wird ergänzt durch ökonomische Gier und Kurzsicht. Aus diesen Gründen wurde über Jahrzehnte in einigen Teilen Deutschlands eine Art monokultureller Blitzwald etwa aus Kiefern geschaffen, der besonders schnell wächst . Aber eben auch besonders heftig brennt und darüber hinaus noch anfälliger ist für Schädlinge.

Quelle      :          Spiegel-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Beispielfoto  –  Northwest Crown Fire Experiment, Nordwest-Territorien, Kanada

(Foto mit Genehmigung des USDA Forest Service verwendet.) – Bunk S: Welt in Flammen. PLoS Biol 2/2/2004: e54. doi:10.1371/journal.pbio.0020054.g001

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Unten      —       Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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