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Russland 
und Ukraine

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 7. Oktober 2015

Russland 
und Ukraine – Mythen und Propaganda

 von Tim Neshitov

Beide Seiten bedienen sich militant hysterischer Töne, um den Gegner zu diffamieren. Mit der Lebensrealität auf der Krim oder in Kiew hat das wenig zu tun. Und auch die historischen Tatsachen sind anders, als die Täter-Opfer-Propaganda glauben machen will.

Die Moskauer Zeitung Nesawissimaja Gaseta (Unabhängige Zeitung) veröffentlichte im Dezember letzten Jahres einen langen, grundsätzlichen Aufsatz über die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine. Der Verfasser des Textes war Dmitri Medwedjew, Ministerpräsident der Russischen Föderation.

Der Schlüsselbegriff dieses Artikels, der allerdings nur einmal auftaucht, lautet „Neokolonialismus“. Das Wort bezieht sich, wie zu erwarten, nicht auf die Politik des Kreml gegenüber der Ukraine, auf die Annexion der Krim oder das künstlich erzeugte, blutige Chaos im Donbass. Nein, als Neokolonialismus bezeichnet Medwedjew die Wirtschaftspolitik der EU gegenüber der Ukraine.

„Unter dem Deckmantel ‚europäisch fairen Wettbewerbs‘ wurden einseitige Vorteile für europäische und eng mit ihnen verbundene ukrainische Unternehmen durchgedrückt“, schreibt Medwedjew. „Die Europäische Union braucht die Ukraine vor allem als Quelle einiger Rohstoffe. Und zweifelsohne auch als Absatzmarkt für europäische Unternehmen. Die Struktur des Außenhandels der Ukraine mit der EU sieht so aus: Der Großteil der Einfuhren entfällt auf Konsumgüter (wie Lebensmittel, Medikamente, Autos, Elektrogeräte, Haushaltsgeräte), bei den Ausfuhren dominieren dagegen Rohstoffe.“

Den Beginn des europäischen Neokolonialismus in der Ukraine datiert Medwedjew auf das Jahr 2009. „Viele Probleme der Ukraine begannen just in dem Augenblick, als sich die Kiewer Führung unter dem Einfluss westlicher Partner anschickte, über eine Verringerung der berüchtigten Abhängigkeit von Russland zu reden.“

Das klingt zunächst wie eine Salve aus der Propagandakanone, was im Grunde auch stimmt. Aber dieser Aufsatz bietet zugleich eine gute Gelegenheit, die langfristige Sicht von Med­wedjew auf die Ukraine zu verstehen. Und da man dem Ministerpräsidenten angesichts der politischen Machtverhältnisse in Moskau keine unabhängige geostrategische Sichtweise zutrauen sollte, dürfte es sich zugleich um die Ansichten Wladimir Putins handeln.

Faschistischer Putsch oder Maidan-Revolution

Medwedjews Text ist allerdings ruhig im Ton und um Sachlichkeit bemüht, was ihn angenehm von Putins schroffen Auftritten unterscheidet, die auf ein intellektuell anspruchsloses Binnenpublikum abzielen. Und erst recht von der militanten Hysterie des staatlichen Fernsehens, das dem Westen mit atomaren Schlägen droht und Geschichten erfindet, die sich als Lügen entpuppen – wie etwa die vom Martyrium eines russischen Kindes, das angeblich von ukrainischen Schergen gekreuzigt wurde.

Der Aufsatz mit dem Titel „Russland und die Ukraine: Leben nach neuen Regeln“ erfindet keine Geschichten, er beschränkt sich lediglich darauf, Tatsachen zu unterschlagen, die nicht ins Bild passen. Etwa dass die Struktur des Außenhandels Russlands mit der EU nicht viel anders aussieht als die der angeblich von Brüssel kolonisierten Ukraine: Auch Russland kauft Konsumgüter und verkauft Rohstoffe.

Dennoch: Der Artikel trommelt nicht zum Krieg und schlägt eher melancholische Töne an. Die große Schwester blickt enttäuscht auf den kleinen, undankbaren Bruder, dem sie nur Gutes getan hat und der nun doch dem feinen europäischen Herrn hinterherläuft, weil der Herr ihm eine Wurst gezeigt hat, aus der Ferne.

„Die beste Art, zu zeigen, dass wir in Russland die Ukraine als souveränen Staat respektiert haben und weiterhin respektieren, ist die Anerkennung der Tatsache, dass die Ukraine das Recht hat, die Wahl zu treffen, die sie getroffen hat“, schreibt Medwedjew. „Aber die Ukraine darf nicht vergessen, dass jede Wahl vor allem eine große Verantwortung ist. In der satten europäischen Zukunft muss man viel arbeiten und nicht bloß herumhüpfen. Wenn ihr ‚wie in Europa‘ leben wollt, dann lernt erst einmal, eure Schulden zu begleichen. Zuerst die russischen.“ Gemeint sind damit die Gasschulden, die der russische Energieriese Gazprom auf mehr als 5 Milliarden Dollar beziffert.

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Russland und Ukraine

Quelle: le monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Author Petar Milošević

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