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Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 16. November 2017

100 Jahre nach Lenin klingt das Wort „Sozialismus“ wieder fortschrittlich

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Lenin Karikatur

Schlagloch von Mathias Greffrath

Als ich ihn da liegen sah, habe ich gedacht: hoffentlich bleibt er noch lange frisch. Ich möchte, dass meine Urenkel ihn auch noch sehen.“ Sommer 1990 vor dem Lenin-Mausoleum: Die Sowjetunion löste sich mehr oder weniger geräuschlos auf, und Abdulljina Jewjassina war mit ihren beiden Enkeln aus Tadschikistan angereist. „Wir verehren unseren Lenin sehr“, sagte sie und ihre stählernen Zahnkronen blitzten, „wir haben unser Leben lang hart gearbeitet.“ Tanja, meine Dolmetscherin, war frisch getauft, aber noch nicht bibelfest, bekreuzigte sich mal so rum und mal so rum. „An irgend etwas muss man glauben“, lächelte sie. Später zeigte mir ihre alte Tante die „Knochen vom Pferd des heiligen Georg“ und seufzte: „Wir haben viel gesündigt. Uns nicht taufen lassen. Nun warten wir auf ein neues Geschlecht von Menschen. Im neuen Jahrhundert wird es kommen.“

An irgend etwas muss man glauben – in der Schule lernten wir, der Kommunismus sei eine „Ersatzreligion“. 25 Jahre nach meinem Besuch im Lenin-Mausoleum ist die Einheit von Altar und Thron, Pardon: Präsidentensessel wieder hergestellt, jeden Tag werden drei Kirchen in Russland gebaut, die alten mit Spenden der neuen Oligarchen frisch vergoldet, Nikolaus II. ist als Märtyrer heiliggesprochen, die Kirche so reaktionär wie im 19. Jahrhundert.

Für Lenin war die Religion nichts als Ersatz: „geistiger Fusel“, von den Herrschenden ausgeschenkt, damit die Beherrschten stillhalten. Der antireligiöse Terror im Bürgerkrieg kostete Tausende von Priestern, die sich der Enteignung der Kirchengüter widersetzten, das Leben. Aber Lenins vulgärmaterialistischer Furor war selbst in der Partei umstritten. Philosophen wie Luna­tscharski, der spätere Kommissar für Volksaufklärung, und Wissenschaftler wie Bogdanow, der die proletarische Kulturbewegung gründete, sahen in den religiösen Erzählungen einen Schatz vorratio­naler Menschheitshoffnungen, und Gorki übersteigerte die Religionskritik des 19. Jahrhunderts zur Vergottung der kreativen Kräfte des Volkes. „Die gottlose und antichristliche Idee des Kommunismus wird von religiösen seelischen Energien getragen“, schrieb der christliche Existenzialist Nikolai Berdjajew, der als Reaktionär 1922 aus Russland ausgewiesen wurde. Er biete eine „ganzheitliche Weltauffassung“, die sich „der ganzen Seele des Menschen bemächtigt und in ihr den Enthusiasmus und den Willen zum Opfer“ auslöse. Gerade deshalb sei er eine „Mahnung an die unerfüllte christliche Aufgabe und Pflicht“, denn „nichts widerspricht dem Geist des Christentums mehr als der Geist der kapitalistischen Gesellschaft“.

Quelle    :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafokquelle    :    Mausoleum Lenin außen/ Wikipedia / Alex Zelenko – „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ in Version 2.0 (abgekürzt „CC-by-sa 2.0“) veröffentlicht.

 

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