Richter Ade – Th. Fischer
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 27. Dezember 2017
„Die SPD hat den Löffel längst abgegeben“
Interview: Der Vorsitzende Thomas Fischer verlässt den Bundesgerichtshof. Er beendete auch seine kontroverse Kolumne bei ZEIT Online. Rastlos und streitbar bleibt er
Dieser Text ist eine lange Version des Interviews „Noch kein Urteil“ aus der Ausgabe 27/2017
Die Hitze steht über Baden-Baden, als Thomas Fischer mich in seinem Arbeitsbereich neben seinem Wohnhaus an einem malerischen Hang mit Blick auf die Stadt empfängt. Eine Woche zuvor sagte Fischer unseren Termin spontan ab. Thomas Fischer war der erste Richter, der sich einen Vorsitz am Bundesgerichtshof mittels Konkurrentenstreitverfahren erkämpfte. Mit seiner rekordvedächtigen Kolumne bei ZEIT Online zettelte er nicht nur um Fragen des Sexualstrafrechts hitzige Diskussionen an. So episch und assoziativ in seinen Kolumnen, so fomuliert er auch im Interview – und schweift dennoch nie wirklich ab. Zwischendrin serviert Fischer selbst Kaffee und Kuchen.
der Freitag: In unserem Vorgespräch sagten Sie, Sie kämen grad vom Supermarkt. Haben Sie getauscht: BGH–Vorsitz gegen Haushaltsvorsitz?
Thomas Fischer: Ich bin seit jeher ein ständiger Besucher von Supermärkten und Lebensmittelgeschäften, kaufe gern ein, koche gern und bin auch sonst im Haushalt tätig.
Bei wem bestehen Sie darauf, Sie mit Prof. anzusprechen?
Ich bin ja kein echter Professor, sondern nur ein Honorarprofessor. Nicht nur deshalb bestehe ich darauf überhaupt nicht. Höchstens im Ausnahmefall bei solchen Menschen, die ihrerseits darauf bestehen, dass ich sie so nenne.
Zu welcher Tageszeit arbeiten Sie?
In der Regel beginne ich um sieben Uhr morgens und höre in den letzten Jahren nicht mehr nach 20 Uhr auf.
Was zeichnet Ihren Arbeitsraum aus?
Die Nähe zu meinem Garten und die gleichzeitige Nähe und Entfernung zu meiner Wohnung. Und der Umstand, dass ich mir ihn so eingerichtet habe, wie es für meine Arbeitsbedürfnisse am besten ist. Er gefällt mir.
Reagieren die Menschen in der Öffentlichkeit auf Sie und wenn ja, in welcher Distanzlosigkeit?
In keiner Distanzlosigkeit. Ich erlebe gelegentlich, dass mich Menschen in der Öffentlichkeit erkennen, und sich dann irgendwie äußern.
Mit oder ohne Rechtsfragen?
Regelmäßig ohne Rechtsfragen. Das Erkennen ist in der Regel sehr freundlich und beschränkt sich auf das Anfertigen von Selfies oder die Bitte um Autogramme. Ich habe da keine schlechten Erfahrungen.
Sie sind wahrscheinlich der einzige Richter, der Autogramme gibt.
Ich kann das nicht beurteilen. Ich tue es jedenfalls.
Haben Sie eine abstrakte oder auch konkrete Bedrohung durch Ihr öffentliches Tun erlebt?
Ja.
Wie sah die aus?
Sage ich nicht. (Überlegt) Sagen wir es so: Ich habe in einer gewissen Weise zu gewissen Themen eine Vielzahl von ekelhaften, beleidigenden oder auch bedrohlichen E-Mails gekriegt, und darunter waren auch solche, die unangenehm waren. Mehr gibt es darüber nicht zu sagen.
Wie wurden Sie Herr der E-Mail-Fluten?
Durch das Betätigen der Löschtaste.
Der Soziologe Heinz Bude spricht von Dienstleistungsproletariat, der Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier von der Abkopplung des untersten Gesellschaftsdrittels. Heutige Paketzusteller gehören durch Lohndumping, Akkordarbeit und Stückzahlvergütung dazu. Wie bewerten Sie ihren alten Beruf als Paketzusteller?
Die Arbeitsbedingungen der Paketzusteller haben sich in den vergangenen 40 Jahren massiv verschlechtert. Diese Entwicklung hat schon in den 70er Jahren begonnen, zunächst bei den privaten Anbietern. Ich selbst war Arbeiter bei der damaligen Bundespost, viele Kollegen waren damals auch noch im Beamtenverhältnis tätig. Ich kann mich erinnern, dass ich etwa 1.100 DM netto verdient habe.
Die negativen Folgen der Agenda 2010 stehen in ihrer Blüte, sagen Sie. Wie beurteilen Sie Schröders Leistung als Sozialdemokrat?
Ich habe nicht die geringste Veranlassung, irgendjemandes Leistung als Sozialdemokrat zu beurteilen oder die Leistung der Sozialdemokratie insgesamt. Diese politische Organisation hat ihren Löffel bereits vor langer Zeit abgegeben.
Wird der einzelne zu einem unternehmerischen Selbst?
Naja, er bildet es sich es jedenfalls ein, oder es wird ihm eingeredet, oder es bleibt ihm nichts Anderes übrig.
Arbeiter zum Freiwild erklärt
Welches davon ist die beste Lösung – unter den schlechten?
Die letzte. Es bleibt ihm nichts Anderes übrig. Das bedeutet, er hat die Chance, es anzunehmen oder nicht, es zu ändern oder nicht. Die Begrifflichkeit „Unternehmerisches Selbst“ ist ein reiner Euphemismus. Selbstverständlich wird nicht jeder Tagelöhner, weil man ihn zum Freiwild erklärt, zum Unternehmer, zur Ich-AG. Man kann zu jedem sagen: Du bist jetzt freischaffender Unternehmer, du hast keinerlei (Ab-)Sicherung mehr, keinerlei Garantien für dein Leben, und was morgen ist, weiß man heute nie. Das ist natürlich reine Ideologie. Die Welt besteht nicht aus einer unendlichen Vielzahl mächtiger Einzelunternehmern, sondern aus immer weniger mächtigen Unternehmen und immer mehr ohnmächtigen Einzelnen.
Warum haben Sie auch Soziologie studiert?
Weil es mich schon immer interessiert hat und ein extrem interessantes Fach ist. Es bietet Zugang zu Methoden, soziale Wirklichkeit objektiv zu erkennen und zu beurteilen.
Ein russisches Sprichwort sagt, eine Krawatte sei ein Reisepass für Arschlöcher. Die Krawatte haben Sie als Richter a.D. abgelegt, aber das Hemd ist oft bis oben hin zu: Ein Ausdruck Ihrer Reserviertheit?
Nein. Das ist Zufall.
Wenn Sie Ihr Radio einschalten, was hören wir?
Deutschlandfunk oder Deutschlandfunk Kultur.
Sie sprechen in einer Kolumne von Bionade–Redaktionen, Giovanni di Lorenzo beschreibt 2014 seine Redaktion als zu homogen, bestehend aus zartfühlenden Wesen des rot-grünen Milieus. Sind Ihnen die Redaktionen zu weich?
Nein, mit weich und hart oder Bionade und Coca-Cola hat das nichts zu tun.
Warum schreiben Sie es dann?
Ich weiß gar nicht, dass ich das jemals geschrieben haben könnte, will es aber natürlich nicht ausschließen. Die Redaktionen sind nicht zu weich, sie sind entweder gut oder schlecht, kompetent oder inkompetent, selbstbeweihräuchernd oder selbsterfüllend oder offen. Es gibt qualitative Ansprüche in Redaktionen und Qualitätsmerkmale, und die sind von der Frage des Inhalts nicht wirklich abhängig.
Lesen Sie den Freitag?
Nein.
Welche Zeitungen lesen Sie dann?
Ich lese jeden Morgen die Süddeutsche Zeitung, sonntags die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und jede Woche die halbe ZEIT und sonst nichts Nicht-juristisches. Für den ganzen Text der ZEIT jede Woche fehlt einfach die Zeit.
Lesen Sie Print oder Digital?
Print. Ich lese außerdem noch ungefähr zwanzig Fachzeitschriften und einen Haufen anderes Zeug und sämtliche BGH-Entscheidungen. Aber das spielt hier keine Rolle.
Ist Siegmund Gottlieb, der vor kurzem pensionierte BR-Chefredakteur, ein komischer Kauz?
Nein, nein. Herrn Gottlieb habe ich zuletzt vor ein paar Monaten getroffen in Berlin. Ich habe ihn mal als „Gott des Heißluftföns“ oder als „schönste Fönfrisur seit Siegfried und Roy“ bezeichnet, aber solche Gags sind natürlich nichts Persönliches. Ich habe nichts gegen Herrn Gottlieb persönlich. Er ist ein meinungsstarker Mensch. Was mich immer etwas gestört hat war, dass er auch dann eine Meinung vortäuscht, wenn er gar keine hat.
Ist er somit meinungs- und/oder ahnungsstark?
Die Differenzierung will ich jetzt nicht so nachvollziehen. Er ist jetzt pensioniert, und damit soll´s dann auch gut sein. Er hat mich in einer Vielzahl von Fällen stark genervt.
Er konstatiert im Gespräch mit Gerhard Schröder, die Welt sei elf Jahre nach dessen Kanzlerschaft aus den Fugen geraten.
Das ist belanglos. Das sind nur Floskeln, die nichts bedeuten und nichts verursachen sollen.
Warum suggeriert man damit Menschen, es würde wirklich schlimmer werden?
Naja, das sind halt Stimmungen. Die Medienwelt, insbesondere diese Fernsehwelt, lebt in hohem Maße davon, Stimmungen zu simulieren und hieraus wieder Stimmungen zu generieren. Man muss nur zwei Tage hintereinander Nachrichtensendungen auf mehreren Kanälen verfolgen und vergleichen, dann weiß man, dass der Anteil an relevanten Informationen außerordentlich gering ist und eine unglaubliche Menge von Stimmungen und Zuständen durch Gestik, Darstellung, Wortwahl einfach nur simuliert wird. Dadurch entsteht eine Wirklichkeit eigener Art, die dann wiederum Reaktionen des Publikums erzeugt, auf die dann wieder geantwortet wird, als ob dadurch bewiesen sei, dass genau das erforderlich ist, was man vorher suggeriert hat. Das ist eine schreckliches Ping-Pong-Spiel, das aber von den Machern dieser Medien im hohen Maße durschaut und gerade deshalb gemacht wird.
Ahnungslose Talkgäste
Wieso enttarnen sich Talkgäste häufig als hilflos und ahnungslos?
Wir leben heute mit Wirklichkeiten, die sich immerfort ständig neu als extrem aktuell und ganz neu beweisen oder behaupten müssen. Inhaltlich hat das keinen Background und ist inkompetent. Der einzelne Talkshowgast hat mit der Medienwirklichkeit nichts zu tun. Er ist ein Objekt dieser Medienwirklichkeit, wird benutzt, vorgeführt – wie viele jede Woche.
Brauchen wir noch Talkrunden?
Das ist eine gute Frage! Die bloße Kritik an der medialen Darstellung der Wirklichkeit ist die eine Seite, die andere ist, dass man sich fragt, was die Alternative sein soll. Wir leben in einer Zeit, in der es mehrere Antworten darauf gibt. Es gibt z.B. die Antwort der sogenannten Populisten – ein sehr merkwürdiges Schimpfwort übrigens, dessen Berechtigung ich teilweise bestreite. In Form von AfD oder Pegida, die sagen, man muss nur die angeblich wahre Meinung des Volks, das Stammtischgerülpse und Geschrei nach vorne bringen, dann wird die Wahrheit sich enthüllen. Man müsse nur allen zu jeder Zeit gestatten, alles zu sagen. Das ist auch die Ideologie des Internets, in der behauptet wird, man brauche Eliten nicht mehr, wir brauchten keinen mehr, der die Wirklichkeit strukturiert, steuert und vordenkt, sondern wir sollten alles herausschwätzen, und aus dem Durchschnitt der allesamt gleichberechtigten Äußerungen entstehe die wahre Demokratie. Das stimmt, wie man immer mehr erkennt, vermutlich eher nicht. Auch da kommt es darauf an, qualitative Strukturen zu setzen und zu steuern. Wie das geschehen soll, ist eine sehr komplizierte Frage. Sie muss auf der einen Seite diese Mechanismen durchschauen und darf auf der anderen Seite sich nicht als Zensurbehörde, nicht als inhaltliche Qualitätssicherungsanstalt aufführen, wie es die Massenmedien der alten Kultur (Fernsehen, Rundfunk) vielfach getan haben.
Meine eigene Behörde ist Feindesland, sagt Fritz Bauer in „Der Staat gegen Fritz Bauer“: War das für Sie am Ende Ihrer BGH-Tätigkeit auch so?
Die Frage ist insoweit etwas schief, da es nur wenig Grund oder Anlass gibt, aus dem ich mich mit der Position von Fritz Bauer vergleichen sollte. Es unterstellt eine inhaltliche Stellung, an der ich mich nicht messen will.
Waren Sie zum Schluss unbeliebt im Senat oder der Cafeteria?
Das ist nun das andere Extrem: Unbeliebt sind viele, sowohl im Senat als auch in der Cafeteria. Und das sind weiß Gott nicht nur Menschen, die sich öffentlich äußern oder Kritik üben. Unbeliebtheit oder Beliebtheit ist keine Kategorie, in der man denken oder Interviews geben sollte.
Das warme Gefühl der Gemeinsamkeit
Mobbing macht krank.
Ja. Das ist aber letztlich eine sekundäre Frage. Ich bin innerhalb des BGH auf vielfältige Kritik gestoßen, die überwiegend in merkwürdig persönlicher Weise formuliert wurde. Erstaunlich und bezeichnend: Vielfach wurde diese Kritik gerade auch von Menschen getragen und in skurriler Weise „gelebt“, mit denen ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesprochen und die mich niemals irgendetwas gefragt haben. Es reicht solchen Menschen aus, wenn jemand, der ihnen als „wichtig“ gilt, berichtet, jemand anderes habe gesagt, dass eine dritte Person nichts tauge. Da geht es nicht um die Sache, sondern nur um das warme Gefühl der Gemeinsamkeit.
Aber das ist ganz normal, oder sagen wir: erwartbar. Jeder, der in einer solchen hermetischen Organisation sachliche Kritik an Strukturen statt an Personen übt, wird immer wieder als rein persönlich motiviert dargestellt und denunziert. Jede Kritik, die schmerzhaft ist, wird als persönliche Wichtigtuerei, jede Reaktion, die auf Ausgrenzung erfolgt, als schwächliches Beleidigtsein dargestellt: Wenn man sich nicht wehrt, ist man ein Schwächling oder überführt. Wenn man sich wehrt, ist man ein Rechthaber. Es geht aus Sicht der Mehrheit in einer solchen Krise angeblich niemals um die Sache. Sondern die Organisation versucht immer, die Diskussion um die Sache zu vermeiden und auf die Person zu konzentrieren. Diese Person ist ein Außenseiter, ein Wichtigtuer, ein Nestbeschmutzer. Selbst wenn es so wäre, würde das ja an der Sachkritik gar nichts ändern. All das ist ja tausendmal analysiert und beschrieben worden. Beim BGH gibt es wahrscheinlich mehr Menschen mit Großem Latinum und Geigenunterricht als in der Durchschnittsbevölkerung, aber keinesfalls mehr souveräne Menschen, eigenständige Charaktere oder mutige Geister.
Man kann das eine Weile mehr oder weniger gut aushalten, je nach persönlicher Konstitution. Das spielt aber letzten Endes keine Rolle. Es geht mir insoweit auch keineswegs darum, dass ich Recht und andere Unrecht haben sollen. Dass jede Person über Schwächen und Fehler verfügt, ist klar. Es geht nicht um die Gegenüberstellung von strahlenden Helden und einem dunklen Reich des Schattens und der Bedrückung. Es geht um substantielle, inhaltliche, möglicherweise schmerzhafte Kritik an einer verfestigten Struktur, die so auf ihr pures Funktionieren konzentriert ist wie beispielsweise der BGH in Strafsachen. Darauf wird immer mit einem Maximum an Repression, Ausgrenzung oder Zurückweisung reagiert. Das Problem solcher Strukturen ist ja gerade, dass nicht die Sache diskutiert wird, sondern die angebliche Unerhörtheit, sie als fragwürdig und diskussionsbedürftig darzustellen. Das ist ein Risiko, das man einkalkulieren muss und das ich bewusst auf mich genommen habe.
Ein eklatantes Beispiel dafür ist meine anhaltende Kritik an der durch pure Überlastung und Konfliktscheu verursachten Entscheidungskultur des so genannten „Vier-Augen-Prinzips“, was ja nur eine absurde Verniedlichung des Vorgangs ist, dass die Mehrheit derjenigen, die über die Rechtsmäßigkeit eines Urteilstextes entscheiden, diesen Text in 90 Prozent der Fälle gar nicht liest – einfach weil man sonst die Arbeit nicht schafft und es deshalb für legitim hält. Wenn man das öffentlich und nicht nur wie üblich beim Kaffeetrinken tut, wird man von Wichtigheimern und Kollegialitäts-Feierern im Innern und von ahnungslosen Verlautbarungs-Journalisten als „umstrittener Außenseiter“ dargestellt.
Sie konnten im Gericht nicht so gut arbeiten. Sagt das mehr über Sie oder das Gericht aus?
Weder noch. Das ist einfach nur eine Frage des Vergleichs gerichtlicher Arbeitszimmer zu meinem häuslichen Arbeitszimmer. Mit „im Gericht arbeiten“ ist nur die räumliche und sachliche Umgebung gemeint.
Warum ist auf Ihrer Website Ihre Position als Vorsitz des 2. Strafsenats mit zwei Quellenangaben hinterlegt?
Die Quellen beziehen sich auf zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, die auf das relativ öffentlichkeitswirksame erste erfolgreiche Konkurrentenstreitverfahren am BGH verweisen.
Was andere nun nachmachen.
Ob Nachmachen oder nicht: Jeder Bürger in unserem Staat – Richter sind ja auch ihrerseits Bürger und Grundrechtsträger – hat das Recht, sich gegen Entscheidungen der Obrigkeit zu wehren, die er oder sie für rechtswidrig hält. Wenn jemand den Eindruck hat, bei Beförderungen oder Ausschreibungen aus rein persönlichen Gründen benachteiligt, übervorteilt oder rechtswidrig behandelt und zurückgesetzt zu werden, muss er die Möglichkeit haben, sich dagegen zu wehren. Ob man das ständig in Anspruch nimmt, wie bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, ist Geschmackssache. Dass man meinte und durchzusetzen versuchte, beim BGH, dem obersten Gerichtshof der Bundesrepublik, dürfe das aus kosmetischen Gründen nicht sein, weil dadurch das so genannte „Ansehen des Gerichts“ leiden könne, war natürlich eine alberne Vorstellung. Bei allen anderen obersten Bundesgerichten sind Konkurrentenstreitigkeiten übrigens seit vielen Jahren durchgeführt worden. Dafür sind die Verwaltungsgerichte ja da. Ich habe mich gegen zwei offenkundig rechtwidrige, willkürliche Beurteilungen gewehrt und habe in beiden Verfahren gewonnen. Damit ist die Sache dann auch erledigt. Erstaunlicherweise hat das offenbar einen Bann gebrochen, so dass andere Kollegen von diesem selbstverständlichen Recht nun auch Gebrauch machen.
Was ist die Person Fischer ohne die Funktion?
Das ist eine letztlich komplizierte Frage. Was ist die Funktion des Interviewers, ohne dass er Journalist ist? Was ist die Funktion von Beckenbauer, ohne dass er Fußballer ist? Ich weiß es nicht. Das sind doch zwei verschiedene Dinge, die sich in einer Weise ergänzen, die nur schwer voneinander zu trennen ist.
Das Innehaben von Macht fällt weg, wenn die Funktion endet. Wenn die Person sich darauf beschränken würde, Macht zu haben, dann wäre das traurig. Viele Menschen erleben das subjektiv, die ihre Macht verlieren und nur noch aus dem Off reden können: Politiker, Anwälte, Chefredakteure, Unternehmensvorstände. Wer sich damit noch nicht beschäftigt hat, kann einem leidtun. Es gibt Menschen, die darunter sehr leiden und nicht wissen, was sie tun sollen. Letztlich ist das eine sehr alberne Sichtweise auf sich selbst und die Welt. Denn die Dinge und Bedeutungen sind vergänglich, und Privilegien hängen mit der Funktion zusammen, das ist klar. Man muss sich rechtzeitig damit beschäftigen.
Man kann andererseits nicht von sich selbst abstrahieren: Ich bin der, der ich bin, aber ich bin dies auch ohne alles, was ich in der Welt bin. Das geht nicht. Das wäre eine sehr starke und ein bisschen lächerliche Vereinfachung. Man muss mit beidem gleichzeitig zurechtkommen und eine Verbindung schaffen zwischen der substantiellen Persönlichkeit und den Erfahrungen, also mit dem, was man in der Außenwelt erreicht, angestrebt, erreicht und auch nicht erreicht hat, wie man kritisiert wurde. Das ist eine Aufgabe, die sich jedem Menschen stellt.
Für ungeeignet erklärt
Quelle : Der Freitag >>>>> weiterlsen
————————————————————————————————————————-
Grafikiquelle : Thomas Fischer auf der re:publica 2016