Rezo und die Folgen
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 19. Juni 2019
Konservative Katastrophenkaskaden
Er hat die Haare schön !
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Konservativ zu sein, ohne sich öffentlich zur Knalltüte zu machen, ist heute schwerer als je zuvor. Danke, Internet.
Der Frühling 2019 ist das Fukushima der Konservativen im Internet, eine Verkettung von Unglücken, Katastrophen und Fehlleistungen, die anmutet wie ein Naturschauspiel, aber menschengemachte Gründe hat. Allein in den vergangenen zehn Tagen geschah Folgendes nur rund um den YouTuber Rezo, der in der digitalöffentlichen Selbstzerstörung des Konservatismus die Rolle des blauhaarigen Tsunamis übernommen hat und sie glänzend fortführt:
- Der konservativen Landwirtschaftsministerin fliegt ein Twitter-Video mit einem Nestlé-Chef um die Ohren, als Rezo drunterkommentiert, dass er exakt so eine Veröffentlichung als Werbung kennzeichnen müsste.
- Ein konservativer Bundesminister deutet eine hanebüchene Verschwörungstheorie über Rezo an, die ursprünglich von einer rechtsextremen Internetseite stammt.
- Ein konservativer Großkommentator der „FAZ“ teilt das irreführende, absurde Anti-Rezo-Video eines antisemitischen, homophoben Islamisten unter Applaus konservativer Bundestagsabgeordneter.
Das Gegenteil von „einen Lauf haben“ ist „einen Einlauf kriegen“, und der kommt verlässlich durch die sozialmediale Öffentlichkeit. In der üblichen Mischung aus giftigem Spott und plakativer Fassungslosigkeit wird den konservativen Fehlleistern widersprochen. Deren Reaktionen machen alles noch schlimmer, weil sie zu oft von Realitätsverlust, Bockigkeit und maximaler Herablassung zeugen.
Der „FAZ“-Redakteur sagt erst, dass Rezo für einen Werbekonzern Wahlwerbung gemacht habe. Dann behauptet er, er habe nicht gesagt, dass Rezo für einen Werbekonzern Wahlwerbung gemacht habe. Wie soll man jemanden, der im Netz so kommuniziert, in anderen Medien ernst nehmen? Ausgangspunkt war wohlgemerkt, dass der Profijournalist glaubte, eine der Grundtugenden des Journalismus, Quellenrecherche nämlich, in sozialen Medien nicht anwenden zu müssen. Was wie eine wirre Anekdote scheint, taugt doch als Schlüssel zum Verständnis der konservativen Katastrophenkaskade.
Die digitale Vernetzung hat den klassischen Konservatismus in eine umfassende Krise gestürzt. In einer Zeit des extrem schnellen, tiefgreifenden Wandels ist es schwerer als je zuvor, zu bewahren, ohne sich öffentlich zur Knalltüte zu machen. Zu leicht entlarvt sich dabei, dass ein guter Teil des konservativen Beharrens auf Werten doch nur das Festhalten an lieb gewordenen Gewohnheiten und Privilegien war.
Bizarro-bigotte Selbstwidersprüche
Die Ära der sozialen Medien aber ist eine ungünstige Zeit für Bigotterie, ständig wird man vom Digitalpöbel mit seinen eigenen Aussagen von früher konfrontiert oder gar selbst an den proklamierten Werten gemessen. Man kann dann nach trumpscher Manier entweder in eine Parallelrealität wechseln. Oder man verheddert sich in bizarro-bigotten Selbstwidersprüchen.
Ein Geist aus der Flasche der CDU
Dann fordern Konservative die Transparenz von politischen Akteuren im Netz, obwohl sie seit Jahren ein Lobbyregister verhindern, also Transparenz von der Union nahestehenden politischen Akteuren. Dann werden von einer Unionsfrau (in der Digitaldebatte im EU-Parlament) die „rücksichtslosen kapitalistischen Großkonzerne“ übel gescholten, während keine Partei rücksichtsloser Großkonzernpolitik macht als die Union.
Oder, um es mit der twitternden Privatgelehrten Christina Dongowski zu sagen: „Rezo und die anderen YouTuber*innen, die jetzt politisch unterwegs sind, sind wohl die ersten jüngeren Menschen, die von der CDU wegen wirtschaftlichen Erfolgs gedisst werden.“
Fußpilz im Auenland
Dass solche Bigotterien so bestürzend offensichtlich zutage treten und die Reaktionen so unterhaltsam hilflos ausfallen, beschädigt den konservativen Markenkern des 20. Jahrhunderts – autoritäre Souveränität – stark. Am meisten leiden darunter übrigens diejenigen, die sich bereits der notwendigen Metamorphose des Konservatismus unterzogen haben. Es gibt sie ja, die Leute, die sinnvolle konservative Positionen übertragen haben ins 21. Jahrhundert. Sie dringen bloß zu selten öffentlich durch, weil abwägende, produktive Selbstzweifel in der Sensationalisierungsmaschine moderner Medien so gut ankommen wie Fußpilz im Auenland.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
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