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RENTENANGST

Der Rentenschock

Erstellt von Gast-Autor am Dienstag 6. September 2011

Der Rentenschock

Die ARD meldete in ihrem Morgenmagazin am 01. September 2011 die Nachricht vom „Rentenschock“. Die moderierenden Nicht-Rentner des Magazins berichteten, dass die Renten in den kommenden 14 Jahren um 10 Prozent sinken würden. Sie hatten auch gleich einen „Experten“ bei der Hand, der die Kürzung der Renten mit dem demographischen Wandel unserer Gesellschaft begründete: „Immer weniger junge Beitragszahler der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) müssen immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren.“

Der „Experte“, ebenso wie die beiden Moderatoren, merkten den Unsinn nicht, den sie zum abertausendsten Mal der Öffentlichkeit darboten. Doch auch durch die tausendfach wiederholte Präsentation wird die Meldung nicht richtiger. Denn wenn es stimmt, dass in Deutschland etwa zwei bis drei junge Versicherte einen Rentner finanzieren, finanzieren in Staaten, wie beispielsweise Indien, 40 junge Inder einen Rentner. Logischerweise müssten also die Renterinnen und Rentner in Indien – oder anderen Ländern mit einer hohen Jugendquote – eine um das Zwanzigfache höhere Rente kassieren und ein Leben in schwelgendem Luxus führen. Das ist aber offenbar nicht der Fall. Die Geschichte vom demographischen Wandel ist somit Quatsch – und dem „Experten“ mangelt es an Urteilskraft – was bei Kant nichts anderes als Dummheit heißt.

Im Übrigen leben die Rentnerinnen  und Rentner in Deutschland seit Jahren im Renten-Dauerschock. Dass der Kaufwert ihrer Renten sinkt, erfahren sie real seit Jahren. Die Senkung der Renten hat jedoch ganz andere Ursachen als die, die uns die Politik, die Wirtschaft und die Medien weismachen. Und das aus verschiedenen Gründen. Zum Ersten glichen weder die Rentenerhöhungen der vergangenen 15 Jahren noch die Renten-Nullrunden dieser Jahre die Preiserhöhungen der Grundlebensgrundlagen annähernd aus.  Zum Zweiten wissen die Rentnerinnen und Rentner der GRV, dass die Rentenbeiträge, die sie für ihren Lebensabend im Generationsausgleich eingezahlt haben, durch gesetzgeberische Manipulationen zweckentfremdet worden sind. Sie wissen, dass bereits während der ersten Wirtschaftskrise der Jahre 1966 bis 1968 runde 500 Milliarden Mark (250 Milliarden Euro) aus ihrer damals prallgefüllten Rentenkasse entwendet und zur Wirtschaftsförderung eingesetzt wurden. Sie wissen, dass sie mit ihren  gesetzlichen Beiträgen im Generationenverbund die Krise der 70iger Jahre finanzierten und dass ihre Kassen geplündert wurden, um die enormen Lasten der Frühverrentungscampagne (runde 200 Milliarden Euro) und der Wiedervereinigung Deutschlands (ebenfalls bisher rund 200 Milliarden Euro) auszugleichen. Sie wissen, dass sie mit ihren Beiträgen die Kosten für die Kriegsfolgelasten, für Kindererziehungszeiten usw. seit über 50 Jahren mitfinanzieren. Dies sind aber Aufgaben, die von der gesamten Bevölkerung zu tragen wären, auch von den Beamten, Ärzten, Richtern, Freiberuflern und all jenen, die Einkommen jenseits der Beitragsbemessungsgrenze und der Pflichtversicherungsgrenze beziehen.  Alles in allem dürfte der Staat bei den  Beitragszahlern der GRV mit 2 Billionen Euro (2.000.000.000.000,00 Euro) in schuldnerischer Verpflichtung stehen. Es ist an der Zeit, dass diese Gelder durch eine stattliche Rentenerhöhung und durch Senkung der Beiträge an die Beitragszahler der GRV zurückgezahlt werden. Gleichzeitig müssen die Beitragsbemessungsgrenze und die Pflichtversicherungsgrenze radikal beseitigt und muss die Bürgerversicherung eingeführt werden.

In der Rentendokumentation des ADG ist zu lesen:  „Wer weiß heute noch, dass der Gesetzgeber 1955 im Zusammenhang mit der Umstellung der Rentenversicherung vom Kapitaldeckungs- zum Umlageverfahren die Rückzahlung seiner Schulden, die er bei den Rentenversicherungsträgern hatte, mit der Begründung verweigerte, dass der Bund ja sowieso Steuermittel zur Verfügung stellt, wenn die Beiträge zur Finanzierung der Renten nicht ausreichen sollten? Das waren immerhin etwa 14,5 Mrd. Mark, bei einem Haushaltsvolumen 1956 von etwa 30 Mrd. Mark“ (Quellen: Bundestagsdrucksache 1659, S. 67; Die Angestellten-Versicherung 1956, Heft 1,S. 1).

Weitere Eingriffe in die Rentenversicherung, bis hin zur Rente mit 67, programmieren eine Absenkung des Nettorentenniveaus von ehemals 70 auf 48 Prozent. Die 48 Prozent vom früheren Netto gelten aber auch nur für diejenigen, die 45 Versicherungsjahre schaffen. Der Durchschnittsverdiener, der ab 2030 in Rente geht, muss nach heutigem Rechtsstand 37 Jahre Beiträge gezahlt haben, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu kriegen. Wer nur 80 Prozent vom Durchschnittseinkommen verdient – das betrifft vorrangig Frauen – für den werden das 42 Jahre. Und dabei erzielt bereits ein Drittel der Beschäftigten in Westdeutland Einkommen von weniger als 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes. Schon heute liegen die Rentenzahlbeträge im Westen bei 90 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer unter der Armutsgrenze.

Ein weiterer wesentlicher Grund für die Kürzung der Renten ist folgender: Der Anteil der Rentenausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) war bis in die späten 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts  relativ stabil. Bis dahin kompensierte die allgemeine Wohlstandsentwicklung sowohl den demografischen Wandel als auch die Fortschritte in der Rente. Das begründet die Annahme, dass ein Reformmodell, dass die Einnahmen an die allgemeine Wohlstandsentwicklung ankoppelte, den gesellschaftlichen Fortschritt und den demografischen Wandel auch in Zukunft kompensieren würde. Eine Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) war also nicht notwendig, weil die Ausgaben explodierten, sondern wegen der Verteilungsverhältnisse.

Diese Verteilungsverhältnisse wurden 1998, mit der Wahl Gerhard Schröders zum Bundeskanzler, auf den Kopf gestellt. Mit seiner Wahl endete die allgemeine Wohlstandsentwicklung abrupt. Die Sozialdemokratie verriet ihre eigenen Kinder. Gleichzeitig wurden die Gewinne der Großverdiener und der Unternehmen von nun an stetig geringer besteuert. Die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer. Allein durch die Halbierung der Körperschaftssteuer schenkte die Schröderregierung den großen Konzernen jährlich 102 Milliarden Euro, von der Herabstufung des Spitzensteuersatzes auf 41 Prozent, von der Befreiung von der Erbschaftssteuer sowie vom Verzicht auf die Vermögenssteuer gar nicht zu reden. Vom ersten Jahr der Rot-Grünen-Regierung an verzichtete der Staat auf gesicherte Einnahmen von jährlich nahezu 200 Milliarden Euro, die nun – mit verheerender Wirkung – den Wohlhabenden auf die Bankkonten flossen. Gezielt wurde der Staat auf diese Weise in die  Armut gezwungen. Und nur in dem ihnen durch ganz bestimmte Interessengruppen die bewusst herbeigeführte Geldknappheit des Staatswesens „überzeugend“ dargestellt wurde, konnten die sozialdemokratischen Abgeordneten dazu gebracht werden, den Sozialabbau, den sie ansonsten wohl kaum widerspruchslos hingenommen hätten, zu akzeptieren. Diese Richtung, nämlich dass die Reichen reicher wurden und die Armen ärmer, hat sich bis heute nicht verändert – und noch immer verrät die Sozialdemokratie ihre Kinder.

Die „Experten“ heutzutage fallen durch Mangel an Urteilskraft, sprich Dummheit, auf. Deswegen ist es nicht erstaunlich, wenn die „Experten“ der Propaganda auf den Leim gehen und glauben, dass das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Jungen und Alten irgendwelche Aussagen über die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung erlaubt. Den einzigen Schluss für die Rentenfinanzen, den man aus den demographischen Prognosen ziehen kann, ist, dass zukünftig für die Versorgung der Altersbevölkerung mehr Geld aufgewendet werden muss als bisher.

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Grafikquelle   :    Wikipedia
Source     It’s all about love
Author     Candida Performa

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