Regimewechsel –was sonst?
Erstellt von Redaktion am Samstag 2. April 2022
Jetzt ist die Stunde der Klima-und Friedensdiplomatie
Wo sollten die „Diplomaten“ denn gefunden werden – auf diesen Müllhaufen der Politik?
Von Claus Leggewies
Die einzige Lösung für einen dauerhaften Frieden ist ein Regime Change in Russland. Dieser muss zugleich den Übergang in eine postfossile Weltwirtschaft einleiten.
US-Präsident Joe Biden wird gerade für einen Satz mit Kopfschütteln bedacht, der richtiger und wahrer gar nicht sein könnte: Bleibt Wladimir Putin an der Macht, wird die Welt keine Ruhe haben. Putin darf auch sein eigenes Land nicht länger in den Abgrund führen, er kann niemals der Verhandlungsführer über eine „Friedenslösung“ mit und in der Ukraine sein, er gehört vielmehr vor ein Kriegsverbrechertribunal, und die Milliarden, die er mit seinen Spießgesellen zusammengerafft hat, müssen für Reparationszahlungen reserviert sein.
Das sei naiv? Ja sicher, und zwar im Sinne von Immanuel Kants Definition von Naivität als „Ausbruch der der Menschheit ursprünglich natürlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur gewordene Verstellungskunst.“ Verstellung war und ist das Kennzeichen aller Verhandlungs- und Kooperationsangebote, die dem Diktator auch nach dem 24. Februar 2022 unterbreitet wurden. Sie entspringen einer sich „realistisch“ nennenden Denkschule der Internationalen Politik, die selbst nach Putins Großangriff auf die institutionellen Grundlagen unserer Weltordnung geostrategische „Realitäten“ wie Russlands Großmachtanspruch anzuerkennen bereit ist.
Regime Change ist diesem Denken der Gottseibeiuns. Was Biden reklamiert hat, ist übrigens nicht einmal das. Er hat lediglich die Auswechslung der Spitzenposition im Kreml beschworen, also einen Regierungswechsel. Regimewechsel wäre allein die tiefgreifende Demokratisierung der Russischen Föderation, die neben freien und fairen Wahlen die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien, der Wissenschaft und Kunst beinhaltete – Elemente, die nach der oberflächlichen Demokratisierung Russlands nach 1991 allesamt wieder unterdrückt worden sind. Eine per Wahlentscheid ermittelte Mehrheit erschien ausreichend, und darauf berufen sich alle anderen Autokraten, die es Putin nachgetan haben, um ihren Demokraturen den Anschein von Legitimität zu geben. „Kompetitiver Autoritarismus“ ist der Fachterminus für diesen Taschenspielertrick lupenreiner Demokraten.
Regimewechsel waren in der Geschichte an der Tagesordnung und sie hatten stets zwei Seiten: den Druck von außen und den Wandel von innen. Ein Regimewechsel, dem wir Heutigen übrigens unsere ganze physische und politische Existenz verdanken, war 1945 Resultat einer kriegerischen Intervention der Antihitlerkoalition, die völlig konträre Weltanschauungen vereinte. Regime endeten auch infolge kontinuierlicher Sanktionen, wie das Apartheid-Regime in Südafrika, welche wiederum die innere Opposition stärkten. Häufig wechselte ein Regime unter dem Druck der Straße, wie zuletzt und allzu rasch konterkariert im „Arabischen Frühling“. Schon der Zusammenbruch der Sowjetunion, der bedeutendste Regimewechsel nach 1945, war Folge eines breiten zivilen Ungehorsams – und zwar in der ČSSR und in Polen. Die folgenden Majdan-Aufstände und bunten Blumen-Revolutionen sind das eigentliche Motiv von Putins vermeintlich irrationalem Handeln. Eher die Ausnahme sind schließlich Regimewechsel durch friedliche Wahlen, deren Ergebnisse von den Herrschenden hingenommen werden – das hofft man jetzt in Ungarn, bald in der Türkei und demnächst in Brasilien zu erleben.
In der etablierten Diplomatie und Politikwissenschaft sind Regimewechsel verpönt, weil sie eine Einmischung in „innere Angelegenheiten“ eines anderen Staates darstellen und gegen das im Völkerrecht geheiligte Prinzip der nationalen Souveränität verstoßen. Verpönt sind sie auch, weil sie allzu oft ein schieres imperialistisches Machtstreben verbrämten; die vom CIA unterstützten Staatsstreiche in Lateinamerika sind Legion, ebenso die von der Sowjetunion und dem postsowjetischen Russland inszenierten Machtwechsel und der von der VR China erzwungene Regimewechsel in Hongkong. Unter solchen Vorzeichen ist Regimewechsel selbstredend verwerflich, denn es ging – idealtypisch in dem von Moskau veranlassten Februarumsturz 1948 in der Tschechoslowakei und in dem von den USA und Großbritannien 1953 orchestrierten Putsch gegen die progressive Regierung Mohammed Mossadeghs im Iran – allein darum, frei gewählte Regierungen durch Diktatoren wie den Schah und die stalinistische Gottwald-KP in Prag zu ersetzen. Ein Tiefpunkt war der von den USA unterstützte Sturz der frei gewählten Regierung Salvador Allendes in Chile 1973, mit Tausenden von Ermordeten und Zehntausenden von Gefolterten.
Man sieht: Regimewechsel sind ein zweischneidiges Schwert. Die realistische Schule der Internationalen Beziehungen führt pragmatische Argumente an, wenn sie Interventionen von außen ablehnt. Das aktuelle Standardbeispiel ist Afghanistan: Selbst wenn man den Sturz der Taliban normativ und moralisch für richtig hielt – er hat eben nachweislich nicht funktioniert. Die Taliban sind erneut an der Macht und können ihr als Gottes Auftrag deklariertes Teufelswerk fortsetzen. Das andere Beispiel eines erfolglosen Regime Change war die (übrigens auch von den größten Falken in den USA nie ganz offen geforderte) Absetzung Saddam Husseins im Irak, die den Mittleren Osten in ein riesiges Chaos stürzte. Daraus hat der Mainstream der Internationalen Beziehungen ein regelrechtes Axiom gemacht, wie zuletzt der Chicagoer Politologe Alexander Downes in seinem Buch „Catastrophic Success. Why Foreign-Imposed Regime Change Goes Wrong“ von 2021. Downes hat darin 120 Fälle von außen bewirkter Ablösungen von Regierungschefs zwischen 1816 und 2011 analysiert, doch dieser Statistik fehlt der normative Rahmen, der die Dynamik, Legitimität und Qualität des jeweiligen Regime Change einfängt. Besonders entkernt und objektivistisch sind solche Analysen, wenn der Übergang von Diktatur in Demokratie (und vice versa) neutral als „Transition“ charakterisiert wird.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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