Regierende + ihre Lakaien
Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 6. Juni 2021
Das Bürgertum und seine Diener
Niedrig Löhnerinnen für die Dumpfbacken ?
Von Christoph Bartmann
Lieber outsourcen als selbst kochen und putzen. Neben der digitalisierten Welt entsteht eine neue Klasse unterbezahlter Helfer.
Die großen Lieferplattformen mit ihren Essen-Bestell-Apps, mit ihren unter Dauerstress stehenden Fahrrad-„Ridern“ und der hart am Mindestlohn liegenden Bezahlung, haben den schlechten Ruf, den sie verdienen. Unlängst präsentierte die ZDF-„Heute Show“ die hässliche Fratze des Kapitalismus in ihrer zeitgemäßen Variante. Böse Business-Nerds gab es da zu sehen, die wie Galeerenkapitäne ihre Kuriere zu immer mehr Tempo antrieben. Die Branche hat es offenbar nicht nötig, ihrem schlechten Image entgegenzutreten.
So verkündete die Deutschlandchefin des Marktführers Lieferando, Katharina Hauke, schon im letzten Dezember, die Pandemie habe ihre Firma „um ein Jahr nach vorne gebracht“. Dem Geschäftsmodell „Essenslieferung per App“ konnte kaum etwas Besseres passieren als der monatelange Stillstand von stationärem Handel und Gastronomie. Folgt man der Managerin, dann war Lieferando in der Krise sogar der Nothelfer der leidenden Gastro-Branche.
Gegen eine Provision von 13 bis 30 Prozent hätte man Pizzerien, Burgerbrater und Thai-Küchen fit gemacht für eine postpandemische Zukunft, in der sowieso nur überlebt, wer liefern kann. Die Anbieter digitaler Dienstleistungen sind oft Monopole, manchmal auch Duopole oder Oligopole. Die finanzstärkste Organisation mit dem teuersten Marketing und dem schnellsten Wachstum verdrängt rasch die schwächere Konkurrenz vom Markt. Das hat modellhaft der Aufstieg von Amazon gezeigt.
Neuerdings muss Lieferando in Deutschland Wettbewerb fürchten. Der Rivale Delivery Hero drängt auf den Markt (zunächst nach Berlin, andere Großstädte sollen folgen), soll hier aber, warum auch immer, Foodpanda heißen. Wolt ist schon da, Uber Eats wird bald folgen. Und das ist nur ein Sektor im rapide wachsenden plattformgetriebenen Liefergeschehen.
Kinderbetreuung per App bestellen
Es gibt auch Phänomene wie Hello Fresh mit seinen Kochboxen, die vorbereitete Zutaten für ein bestimmtes Rezept liefern, oder Gourmetbox, die auf vorgekochte Sterneküche zum heimischen Aufwärmen setzen. Neue Lieferdienste, so etwa die aggressiven Gorillas, mischen mit lokalen Mikrodepots („Dmarts“) gerade den Lebensmittelhandel auf. „Gorillas existiert, um dir sofortigen Zugang zu deinen Bedürfnissen zu ermöglichen“, teilt Kağan Sümer, der „CEO of Gorillas“, in einem Firmenmanifest kategorisch mit.
Andere Plattformen haben sich auf die Onlinevermittlung von haushaltsbezogenen Dienstleistungen spezialisiert. Die vertrauenswürdige und sozialversicherte Reinigungskraft finden wir über Helpling („flexibel arbeiten, flexibel leben“). Die Kinder- oder auch die Haustierbetreuung kann man in die Hände von Yoopies legen. Betreuungs- und Begleitdienste für ältere Menschen bietet Careship an.
Was die Buchung solcher Dienste per App so verlockend macht, ist nicht nur der Komfort der Dienstleistung selbst, sondern schon der Komfort ihrer Anbahnung, das Reibungslose und angenehm Unpersönliche der Transaktion. All diese neuen Plattformgeschäfte verkaufen, so Joseph Vogl in „Kapital und Ressentiment“, „Autofahrten ohne den Besitz von Fahrzeugen, Unterkünfte ohne Immobilienbesitz, Raumpflege ohne Putzeimer, Mahlzeiten ohne Küchenmobiliar oder Flugreisen ohne Wartung und Betrieb von Flugapparaten“.
Was lehren uns diese neuen Geschäftszweige? In dieser digitalen Servicewelt werden nur einige wenige Gründer reich. Ihr Personal dagegen besteht überwiegend aus schlecht bezahlten und prekär beschäftigten Fußsoldaten. Manche fühlen sich deshalb an feudalistische Zeiten erinnert. Ein Feudalherr bot einst seinen Vasallen gegen militärische Treue ein Stück Land, das diese dann wiederum mithilfe unfreier Bauern ausbeuteten.
Es mag stimmen, dass Plattform-Oligarchen die Aristokraten von heute sind, aber die von ihnen „ausgebeuteten“ Leichtlohnbelegschaften sind weder Vasallen noch Knechte. Es handelt sich vielmehr um Servicekräfte, die ihrerseits gern konsumieren. Sie bringen einer teilweise besserverdienenden Kundschaft das Essen an die Tür. Sie können sich aber auch selbst eine Pizza von Lieferando leisten. Die Lieferdienste haben ein entspanntes Verhältnis zum Kunden und zur Kundin:
Schlemmen am Onlinebuffet
Niemand muss hier reich oder schön sein, man braucht nur ein Smartphone und die richtige Postleitzahl – und außerdem einen Hunger, der durch Selbsteinkaufen, Selbstkochen oder auch nur durch den Gang zum lokalen Falafelshop nicht zu stillen ist. Die neuen Plattformgeschäfte sind, wenn man so will, eine Dienstleistungsrevolution von oben, von digitalen Erfindern, die nichts entwickeln wollen als den Schlüssel zu unserem Konsum.
Wir Konsumenten sind eingeladen, nach Herzenslust am Onlinebuffet zu bestellen. Bei den Produzenten, in den Restaurants also, wird abkassiert, die Lieferanten selbst werden knappgehalten, und die Beute machen – nicht die Plattformen, sondern wahrscheinlich nur genau eine, während alle anderen Digital-Entrepreneure sich die nächste Geschäftsidee ausdenken müssen. Das Risiko der Plattformmacher ist also, anders als bei den Feudalherren vergangener Tage, groß.
Es handelt sich hier nicht um Territorialherren, sondern um Abenteurer, um Glücksritter. Auch Firmen, die wie Gorillas mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar als „Einhorn“ gefeiert werden, leiden an oder kokettieren mit hohen Anfangsverlusten. Noch hat die digitale Lieferindustrie keine Gewinne erzielt. Aber das ist egal, so lange die Investoren glauben, dass die Zukunft rosig ist.
Wie kann es weitergehen mit den Lieferplattformen, angesichts einer Situation, in der sich der Widerwille bei Kunden, Produzenten und Beschäftigten mehrt? Zwei Szenarien zeichnen sich ab, die sich nicht gegenseitig ausschließen müssen. Gemäß der Logik des „Winner takes all“ wird es zu einem noch heftigeren Verdrängungswettbewerb kommen, an dessen Ende das Unternehmen mit den größten Kapitalreserven und der aggressivsten Marketingstrategie übrig bleibt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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