Rechtsruck in Italien
Erstellt von Redaktion am Montag 3. Oktober 2022
Das Land ist hoffnungsvoll verloren
Wir sehen aus den Parteien die Leute, welche gezeigt werden und nur Schrott abliefern. Doe entsprechenden Antworten zeigt diese Kolumne auf.
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Die Wahl in Italien zeigt: Der Faschismus ist nicht vorbei. Er ist wie ein Schwelbrand, der auch in Demokratien jederzeit auflodern kann.
Mein Vater war Argentinier, aber er hat, bevor er mit etwa 30 Jahren nach Deutschland kam, einige Zeit in Italien gelebt. Er hat dieses Land geliebt, er hat die deutsche Staatsbürgerschaft später hauptsächlich angenommen, um irgendwann einmal in Italien leben zu können. Er hat in der Widersprüchlichkeit Italiens seine eigene gesehen; er glaubte, eine »italienische Seele« als Essenz der europäischen Zivilisation erkannt zu haben und folgte in vielen, manchmal merkwürdigen Dingen dieser Erkenntnis. Weshalb er mich mithilfe einer großen Zahl italienischer, speziell neapolitanischer Sprichwörter erzog: »Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.« Oder: »Wer wartend lebt, stirbt scheißend.« Es gibt schlechtere Erziehungsleitlinien. Allerdings auch bessere.
Auf einer anderen, politischen Ebene verstand mein Vater die Abgründe Italiens, weil das Land ähnlich wie sein Geburtsland Argentinien die gleiche, große, katastrophale Plage mit sich herumtrug und noch trägt: das wuchernde, fast alles durchdringende Krebsgeschwür der mafiösen Korruption. Den Unterschied zwischen beiden Ländern skizzierte er so: »Was Korruption angeht, ist Argentinien hoffnungslos verloren. Italien ist hoffnungsvoll verloren.« Über das für Boomer zweifellos lustige Wortspiel hinaus verstand ich nie so genau, was er damit sagen wollte, und er war kein großer Erklärer in eigener Sache. Aber jetzt hat Italien eine faschistische Partei gewählt , eine rechte Koalition, und »hoffnungsvoll verloren« trifft es auf eine merkwürdige Art.
Die größte Gefahr ist die Verharmlosung
Leider bezieht sich das »hoffnungsvoll« neben der notorischen Kürze der durchschnittlichen Regierungszeiten in Italien allein auf das Korrektiv der EU. Weil Italien Geld und Unterstützung aus Brüssel braucht und diese Abhängigkeit einen gewissen Druck zulässt. Hoffentlich. Jedenfalls bezieht sich das »hoffnungsvoll« nicht auf den häufig zu lesenden Glauben, es werde schon nicht so schlimm kommen, nicht so heiß gegessen wie gekocht, die Rechten würden am Ende doch auf magische Weise vernünftig und so fort. Das ist aus meiner Sicht gar kein sinnvolles Kriterium. Und der Grund dafür heißt Faschismus.
Manche Leute legen mit klug konstruierten, sinnvoll klingenden Argumenten dar, dass man im Kontext der italienischen Politik eigentlich »Postfaschismus« sagen müsse. Das finde ich auf mehreren Ebenen schwierig. Wie man zum Beispiel an »Postmaterialismus« oder »Postkolonialismus« erkennen kann, dient die Vorsilbe »Post-« nicht selten einer nachfolgenden Gegenbewegung. Das ist bei der Partei Fratelli d’Italia sehr eindeutig nicht der Fall. Wenn man von dieser Partei und ihrer Anführerin Giorgia Meloni spricht, ist die größte Gefahr – die auch in Deutschland Wirkung entfalten kann – die Verharmlosung. Im Begriff Postfaschismus schwingt irgendwie falsch beruhigend mit, der Faschismus sei vorbei.
Das ist er nicht.
Man muss Faschismus als ständigen, unlöschbaren Schwelbrand in liberalen Demokratien begreifen, der jederzeit auflodern kann und deshalb unablässig eingedämmt werden muss. Das ist – zugegeben – nicht unbedingt einer der gängigen Faschismustheorien entnommen. Es ist aber eine Sichtweise, die nicht nur die Wahl in Italien erklärt, sondern auch die Gefahr in vielen anderen Ländern, nicht zuletzt Deutschland.
Es gibt verschiedene Gründe, warum dieser Schwelbrand quer durch Europa und auch in den USA kokelt und mancherorts aufflammt. Viele dieser Gründe fußen etwas vereinfacht auf einer simplen Wahrheit: Die westlichen, liberalen Demokratien wurden auf den gesellschaftlichen Fundamenten von rassistischen, antisemitischen Patriarchaten errichtet, und die verschwinden nicht, weil jemand eine Verfassung einführt.
Jeder Aspekt des rassistischen, antisemitischen Patriarchats hat dabei eine konkrete, nachvollziehbare Funktion:
- Der Rassismus dient der Konstruktion eines »Wir gegen die«.
- Der Antisemitismus entspricht der Sündenbock-Funktion.
- Die reproduktionsradikale Ideologie des Patriarchats dient der Vermehrung und damit der Ausweitung des Machtbereichs.
Ein Regelwerk für den Kampf
Wenn in diesen liberalen Demokratien schwerwiegende Probleme auftreten oder ausreichend viele Leute das glauben, blitzen die vordemokratischen Überreste oft hervor. Der heutige, modernisierte 21st-Century-Faschismus unterscheidet sich zwar vom Ur-Faschismus , wie Umberto Eco ihn genannt hat. Aber wie sein Vorgänger baut auch der moderne Faschismus auf diesem Fundament.
Feiern nicht alle Parteien ihre, auf dieser Welt, ihre gewählten Idioten im gleichen Maße ??
Faschismus ist im Kern ein Regelwerk für den Kampf. Jeder ideologische Quadratzentimeter des Faschismus, die Helden- und Führerverehrung, die Anbetung der Stärke, der damit einhergehende Hass auf alles Schwache, die Übervereinfachung der Welt, der oft antiintellektuelle Irrationalismus, die Ablehnung der Vielfalt, Meinungspluralität und -freiheit, der Nationalismus, der Traditionenkult und so fort: Faschismus verwandelt eine Gesellschaft in eine Kampfmaschine.
Dabei geht es beim modernen Faschismus nicht zwingend um Krieg, wie es beim Ur-Faschismus der Fall war, jedenfalls nicht um die klassische Definition von Krieg. Das kann zwar der Fall sein, wie man beim in Europa gegenwärtig einzigen faschistisch zu nennenden Staat, Russland, erkennen kann. Aber der Kampf des heutigen, modernen Faschismus gilt einem vermeintlichen Feind im Innern, nämlich der freien, vielfältigen und offenen Gesellschaft. Also dem präzisen Gegenteil des rassistischen, antisemitischen Patriarchats. Dessen Wiedererrichtung ist das Ziel der heutigen faschistischen Bewegungen.
Der heutige Faschismus europäischer Bauart will nicht akzeptieren, dass eine Vielzahl gesellschaftlicher Regeln zwar tradierte, aber letztlich ausgedachte Vereinbarungen sind und nicht unumstößliche, naturgegebene Wahrheiten: Heiraten können nur ein Mann und eine Frau, es gibt nur zwei Geschlechter, Männer müssen hart sein und Frauen Mütter, das einzig sinnvolle Moral- und Wertesystem ist das Christentum, Vermischung von Kulturen ist schlecht und gefährlich und so weiter.
Die Wahlgewinnerin Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia hatte nach eigener Aussage »ein entspanntes Verhältnis zum Faschismus«. Deutlicher kann das Bekenntnis einer Spitzenpolitikerin gegen eine liberale Demokratie kaum ausfallen. Das übersetzt sich in ihre Politik und Kommunikation.
Meloni benutzt bei ihren Reden zum Beispiel ein wiederkehrendes, gut funktionierendes, manchmal variierendes rhetorisches Element, die Ja-Nein-Gegenüberstellung. Zum Beispiel so : »Ja zur natürlichen Familie, Nein zur LGBTQ-Lobby. Ja zu christlichen Prinzipien, Nein zu islamistischer Gewalt. Ja zu sicheren Grenzen, Nein zu Masseneinwanderungen. Ja zu unseren Mitbürgern, Nein zur internationalen Finanzwelt. Ja zur Unabhängigkeit der Völker, Nein zu den Bürokraten in Brüssel.«
Es finden sich allein in dieser Passage viele der Kennzeichen einer faschistischen Welthaltung, allerdings durchaus elegant und verharmlosend eingebaut. Trotzdem lassen sie sich gut dechiffrieren.
Es beginnt mit der Behauptung der ausschließlichen Natürlichkeit der (patriarchalen Norm-)Familie, wodurch eine Unnatürlichkeit von LGBTQ-Personen und ihren Verbindungen unterstellt wird. »Unnatürlich« ist eine der ältesten Erzählungen, mit der Gewalt gegen geschlechtliche und sexuelle Minderheiten gerechtfertigt und angefacht wird. Dass christlichen Prinzipien nicht etwa muslimische Prinzipien gegenübergestellt werden, sondern islamistische Gewalt, ist ein so schlichter wie infamer Trick. Die »internationale Finanzwelt« ist in verschiedenen Abwandlungen der rechtsextremen Welt ein antisemitischer Begriff, dahinter steckt die Wahnidee, reiche und mächtige Hintermänner steuerten im Rahmen einer Verschwörung die Welt.
Bei der Integration gibt es tatsächlich große Probleme
Die Ablehnung der Bürokraten in Brüssel schließlich hängt ganz unmittelbar auch damit zusammen, dass der ungarische Autoritär Viktor Orbán Melonis Vorbild ist – und der beginnt zu spüren, dass Brüssel im Zweifel bereit ist, mit seinem Geldfluss erhebliche Macht auszuüben. Schon ist in der Diskussion, das viele Geld, das Italien dringend von der EU braucht, an Bedingungen zu knüpfen. Zum Beispiel an den Erhalt des Rechtsstaats, dessen Existenz Rechtsextremen und erst recht Faschisten stets ein Dorn im Auge ist.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen :
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Grafikquellen :
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