Rechter Anschlag in Hanau
Erstellt von Redaktion am Freitag 21. Februar 2020
„Wir haben Angst gehabt“
Aus Hanau und Berlin Christian Jakob und Christoph Schmidt-Lunau
Die Stadt Hanau ist im Schockzustand: Viele BewohnerInnen haben die Opfer des Terroranschlags gekannt. Eindrücke am Tag eins nach der Tat.
Die Shishabar Midnight ist auch am Donnerstagvormittag weiträumig mit Flatterband abgesperrt. Dutzende Polizeibeamte und die Spurensicherung sind vor Ort, viele Einsatz- und Rettungsfahrzeuge.
Am Heumarkt, einer kleinen Nebenstraße in der Hanauer Innenstadt, reihen sich Sportbars, Wettbüros und Spielhallen aneinander. Kadir Köse, 38 Jahre alt, betreibt hier die Rabbit Bar, keine hundert Meter vom Tatort entfernt. Er hat die tödlichen Schüsse in der Nacht gehört.
„Ich bin raus, um nachzusehen, was los ist, dann bin ich zurück, um meine Kunden zu warnen.“ Weg von den Fenstern, habe er gerufen und die Tür abgeschlossen. Seine Bar war zu diesem Zeitpunkt voll, es lief das Champions-League-Achtelfinale Leipzig gegen Tottenham. Auf der Straße gegenüber liegt eine reglose Gestalt.
Gegen 22 Uhr hat hier der 43-jährige deutsche Hanauer Tobias R. in der Shishabar Midnight auf Menschen geschossen. Dann fährt er weiter zum Kurt-Schumacher-Platz im Hanauer Stadtteil Kesselstadt, wo er erneut mehrere Menschen angreift. Insgesamt ermordet er neun Menschen, später wohl noch seine Mutter.
„Gogo hat Pech gehabt“
„Wir haben Angst gehabt“, sagt Köse. „Gott sei Dank ist er nicht zu mir gekommen.“ Er zeigt WhatsApp-Fotos von Opfern, kennt deren Namen. „Der ist tot, der ist schwer verletzt“, sagt er. Die jungen Männer blicken fröhlich und selbstbewusst in die Kamera. Einer der Toten war Köses Kumpel. Der Wirt zeigt dessen Bild. „Gogo hat viel Pech gehabt. Er ist von einem Bus schon mal überfahren worden. Er ist bei einer Messerstecherei verletzt worden. Er hat alles überlebt. Wir haben schon immer Witze gemacht…“, sagt er und ringt um Fassung.
Der Spuk am Mittwochabend sei vorbeigewesen, als ein Mann mit schwarzem Pulli und Kapuze die Bar verlassen habe, erzählt Köse. Da ist der Täter wohl zum nächsten Tatort gefahren. Auf den rassistischen Hintergrund der Tat angesprochen, wird er laut und beklagt die Parolen der AfD. „Da werden solche Sprüche gemacht, dann kocht es so hoch! Und die AfD kommt trotzdem auf 16 Prozent.“ Das mache ihn „fassungslos“.
Bilar Yıldız steht am Rand des Heumarkts. Er hätte eigentlich in dieser Nacht in der Arena Bar arbeiten sollen, die das zweite Ziel des Attentäters war. Wegen einer Schulterverletzung habe er sich krankmelden müssen. Ein Kumpel sei eingesprungen. Yıldız zeigt dessen Anruf auf seinem Handy. Kurz vor Mitternacht sei der eingegangen. „Er hat sich unter den Tischen versteckt, aber trotzdem einen Schuss abbekommen und musste ins Krankenhaus“, berichtet Yıldız.
Vor drei Jahren haben migrantische Gruppen in Hanau das Bündnis „Solidarität statt Spaltung“ gegründet. Zuletzt trafen sie sich am vergangenen Mittwochnachmittag um 17 Uhr im DGB-Haus am Freiheitsplatz. „Wir haben die Newroz-Feier und die Wochen gegen Rassismus im März vorbereitet“, sagt Newroz Duman vom kurdischen Verein in Hanau. Es zog sich bis in den Abend, dann gingen sie gemeinsam etwas essen, im Argana, einem marokkanischen Restaurant am Heumarkt, direkt neben der Rabbit Bar.
E wie Einzeltäter
Einige, die in der Runde saßen, hätten noch Witze aus der letzten Folge der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ über rechte Netzwerke erzählt: „Stefan E. – E. wie Einzeltäter.“ E. ist der mutmaßliche Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke aus Kassel.
„45 Minuten später ist es passiert, genau auf der anderen Straßenseite“, sagt Duman. „Es“ – das ist der rechtsextreme Anschlag mit der zweithöchsten Opferzahl in der Geschichte der Bundesrepublik. Am Donnerstag meldete sich das Internationale Auschwitz Komitee zu Wort. Auschwitz-Überlebende in aller Welt würden in den mutmaßlichen Morden eine neue Demonstration der Macht rechtsextremen Hasses sehen, „der immer alltäglicher wird und überall auftreten kann“, so Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Komitees.
„Jeder kann Auschwitz heute in seine eigenen Hände nehmen.“ Terroristische Einzeltäter seien in der „virtuellen Welt des rechten Hasses bestens vernetzt“ und sähen sich von Parteien wie der AfD „getragen“. Sie würden zeigen, „wie einfach es mittlerweile geworden ist, Andersdenkende und Anderslebende hinzurichten“. Der Staat scheine hierfür nicht gewappnet zu sein.
Das sieht Newroz Duman genauso. Am nächsten Vormittag steht sie in den Räumen des kurdischen Vereins in der Aschaffenburger Straße in Hanau. 200 Menschen sind gekommen, es ist eine improvisierte Trauerfeier und gleichzeitig der Versuch, überhaupt zu verstehen, was passiert ist. „Einige von uns sind zur Polizei gegangen, aber die geben uns keine Informationen. Es ist das totale Chaos“, sagt Duman. Bei einigen der Opfer soll es sich laut Informationen der taz um folgende Personen handeln: Ferhat U., 17 Jahre, Gökhan G., Ende 30, beide mit kurdischen Wurzeln, ein weiterer junger Kurde, Serhat, 28 Jahre, mit türkischen Wurzeln, sowie eine junge, in Deutschland geborene Romni namens Mercedes. „Über den Rest wissen wir noch nichts“, sagt Duman. Am Abend soll es eine Trauerfeier geben.
Unter den Opfern: ein Nachbar
Auch Eren Okcu vom Internationalen Kulturzentrum Hanau e. V. war am Mittwochabend beim „Solidarität statt Spaltung“-Treffen und später im Argana. Einer der Toten ist sein Nachbar, mit zwei weiteren war er persönlich bekannt. Noch in der Nacht hat ihn der Mitarbeiter eines Dönergrills angerufen. Der liegt genau gegenüber der Shishabar Midnight, dem ersten Tatort. Der Mann hatte den Anschlag beobachtet. Am Vormittag ist Okcu am Tatort. Er ist aufgebracht.
„Es sind Leute von AKP-nahen türkischen Zeitungen gekommen, die haben die Menschen gefragt: ‚Hier werden Muslime angegriffen, wie finden Sie das?‘ “ Okcu ärgert das. „Ich hab denen gesagt, sie sollen aufhören, zu spalten. Es waren auch Nichtmuslime dabei.“
Auch Hagen Kopp hatte am Abend mit in der Runde gesessen. Es war „kein Zufall“, dass der Anschlag in Hanau stattfand. „Das ist der ärmste und migrantischste Teil vom Rhein-Main-Gebiet“, sagt er. Seit vielen Jahren lebt Kopp in Hanau, ist hier politisch aktiv. Eine auffällige Naziszene gebe es aktuell hier nicht, sagt er. 2018/19 hatte ein 46-jähriger Frankfurter jedoch versucht, Brände in verschiedenen linken Orten in der Region zu legen.
Zuletzt traf es am 21. Dezember 2019 das autonome Kulturzentrum Metzgerstraße in Hanau, das Kopp mitaufgebaut hat. Der Täter war unmittelbar nach der Tat von Besuchern gestellt und der Polizei übergeben worden. „Die haben den einfach wieder laufen gelassen“, erinnert sich Kopp. „Die Polizei hat da eine unfassbare Rolle gespielt.“
Leiche im Mercedes
Der zweite Tatort liegt an einem tristen Parkplatz im Stadtteil Kesselstadt, fünf Autominuten entfernt. Auch hier, rund um die Arena-Bar, ist am Donnerstagvormittag alles weiträumig abgesperrt. Unter einem Zelt der Feuerwehr steht ein Mercedes mit einer Leiche auf den Sitzen. Am Rand steht eine Gruppe junger Männer. Zwei von ihnen kämpfen mit den Tränen. Einer will reden.
„Wir haben Angehörige und engste Freunde verloren, alles ganz gute Jungs“, sagt er. Nur zehn Minuten vor den tödlichen Schüssen habe er selbst den Kiosk verlassen. Die ersten Meldungen über den Täter verwirren ihn. „Er ist Rechtsextremist, heißt es, aber in seinem Video redet er dauernd von Amerika. Das verstehe ich nicht. Irgendwann werden wir die Wahrheit erfahren“, sagt er noch und wendet sich wieder seinen Freunden zu.
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Rechtsextremistischer Terror in Hanau
Riss im Selbstbild
Schland –
in dem sich Politiker – Innen gegenseitig die Stiefel rein lecken ?
Kommentar von Stefan Reinecke
Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt. Im Angesicht des Rechts-Terrors aber wird klar: Alle Bekundungen sind zu wenig.
Die Bundesrepublik hat ein freundliches Bild von sich selbst entworfen. Sie ist aus der Geschichte der NS-Gewalt klug geworden, fest im Westen vertäut und weitgehend gewappnet gegen die autoritäre Verführung, die derzeit global an Boden gewinnen. Wir hingegen sind fast streberhaft bemüht, einen liberalen, weltoffenen Eindruck zu machen.
Diese Erzählung war schon immer zu glatt, zu nett, zu sehr von Selbstlob getränkt. Jetzt ist sie ein Grund, warum es so schwierig ist zu begreifen, was offenkundig ist: Es gibt einen rechtsterroristischen Angriff auf die Republik, eine blutige Spur, die von den Morden des NSU über den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag auf die Synagoge in Halle bis zu den Toten in Hanau reicht. Dieser rechte Terror ist ein tiefer Kratzer im netten Bild der Bundesrepublik als Hort von Vernunft und Zivilität. Weil die rechten Morde dazu nicht passen, fällt es enorm schwer, die Angriffe so ernst zu nehmen, wie sie sind.
Mag sein, dass diese Schwerfälligkeit durch die Art des Terrors begünstigt wird. Die Angriffe gelten, anders als die der RAF, nicht den Spitzen des Staates, und es gibt auch keine Kommandozentrale, die die Taten plant. Der rechte Terror ist diffuser, unberechenbarer. Beim NSU waren überzeugte Nazis am Werk. In Hanau mordete ein Rechtsextremist, der mannigfache paranoide Vorstellungen hatte. Doch so diffus und spontan ist die rechtsterroristische Gewalt gar nicht. Sie zielt auf ein Feindbild: alle, die nicht deutsch aussehen.
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Grafikquellen :
Oben — City sign HANAU am Main
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2.) von Oben — Hanau – Freiheitsplatz
Author | Schildkröte92 |
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Unten — Ханау – родина сказочников братьев Гримм.