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Rebellion auf Okinawa

Erstellt von Redaktion am Sonntag 4. Oktober 2015

Die japanische Insel wehrt sich
gegen eine große neue US-Militärbasis

von Gavan McCormack

Der Streit um Okinawa gehört zu den eher unbekannten globalen Konflikten. Dabei ist er alles andere als neu: Seit nunmehr 18 Jahren blockieren die Inselbewohner den Plan, im Distrikt Henoko auf der Hauptinsel Okinawa eine neue Basis für die U.S. Marines zu bauen. Für den japanischen Regierungschef Shinzō Abe hat das Projekt höchste Priorität.

In Washington bekam Abe im April viel Beifall, als er sich zu den „gemeinsamen Werten“ Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte bekannte. Doch für die Okinawer klingt das Bekenntnis hohl. Sie mussten immer wieder erfahren, dass gegenüber den Ansprüchen des US-Militärs ihre verfassungsmäßigen Rechte nicht zählen. Einen Monat nach Abes USA-Reise fuhr Takeshi Onaga, der Gouverneur der Präfektur Okinawa, nach Washington und machte klar, dass die lokale Bevölkerung den Bau einer neuen Militärbasis nicht hinnehmen würde.

Die Inselgruppe Okinawa ist Teil der Ryūkyū-Inseln, die sich über 1000 Kilometer zwischen den japanischen Hauptinseln bis fast nach Taiwan erstrecken (siehe Karte). Aus chinesischer Sicht bilden sie eine maritime „große Mauer“, die den Zugang zum offenen Pazifik kontrolliert. Daher ist der völkerrechtliche Status der Gruppe für ganz Ostasien ein wichtiger geopolitischer Faktor. Die Inseln waren jahrhundertelang – als Teil des Königreichs Ryūkyū – mit China wie auch mit Japan assoziiert. Dabei kamen ihnen 500 Jahre lang die freundschaftlichen Beziehungen zugute, die unter dem chinesischen Tributsystem zwischen den An­rainern des Ostchinesischen Meers herrschten. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte Ryūkyū selbstständig Verträge mit den USA, Frankreich und den Niederlanden abschließen.

Diese relative Autonomie endete, als sich Japan 1879 den Archipel einverleibte und das Königreich Ryūkyū abschaffte. Japanische Soldaten zogen in die Shuri-Burg. Es war die erste Militärbasis in der Geschichte von Okinawa. Die neuen Herren untersagten den Bewohnern den Gebrauch ihrer eigenen Sprache und zwangen ihnen japanische Namen und die Shintō-Religion auf.

China und später die USA galten fortan als feindliche Mächte. Bei der Invasion der US-Truppen im Frühjahr 1945 kam ein Viertel der Einwohner Okinawas um. Und viele Einheimische wurden von der japanischen Armee als Spione hingerichtet oder zum Selbstmord gezwungen. Dieses Trauma sitzt in Okinawa noch immer tief.

Siebzig Jahre später halten die USA nach wie vor 20 Prozent von Okinawa besetzt. Und die souveränen, extra­ter­ri­to­rialen Rechte der USA sind fast dieselben wie von 1945 bis 1972, als die Inselgruppe noch unter direkter US-­Militärverwaltung stand.

Die neue Anlage in Henoko soll die Futenma-Basis ersetzen, die inmitten der Stadt Ginowan liegt. Donald Rumsfeld hat sie einmal als „gefährlichsten Militärstützpunkt der Welt“ bezeichnet. Im August 2004 stürzte auf dem Campus der Universität ein Militärhubschrauber ab, was nur deshalb keine Todesopfer forderte, weil gerade Semesterferien waren.

Die neue Basis soll viel größer als Futenma werden; auf den 160 Hektar sind nicht nur Flugzeugpisten geplant, sondern auch ein Tiefwasserhafen. Die ganze Anlage mit zwei 1800 Meter langen Start- und Landebahnen und einem 272 Meter langen Kai soll zehn Meter über dem Meeresspiegel als eine auf Pfeilern ruhende Betonplattform errichtet werden.

Die Gegend ist eine der schönsten Küstenzonen Japans, die das Umweltministerium wegen ihrer außergewöhnlichen Biodiversität in die Weltnaturerbe-Liste der Unesco eintragen lassen will – als Habitat für Hunderte Korallenarten, Seepflanzen und Fische, Krabben, Seeschildkröten und Säugetiere, von denen viele zu seltenen oder gefährdeten Spezies gehören.

Würde sie gebaut, wäre die He­no­ko-­Militärbasis wahrscheinlich bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine der größten Militärkonzentrationen in Ost­asien – und Herzstück des „Pivot to Asia“, der auf eine Verschiebung der US-Präsenz in Richtung Asien abzielt. Voller Verbitterung erinnern sich die Okinawer, dass man ihnen 1996 die bedingungslose Schließung der Basis Futenma versprochen hatte.

Heute behauptet die Regierung Abe, die US-Marineinfanterie sei für die Verteidigung Japans unentbehrlich und auf die Basis in Henoko angewiesen. Dagegen hatte Verteidigungsminister Gen Nakatani letztes Jahr zugegeben, dass man aus militärischer oder strategischer Sicht die Funktionen der Basis Henoko durchaus auf mehrere Stand­orte aufteilen und zum Beispiel auch nach Kyūshū, der südlichsten Hauptinseln Japans, verlegen könnte – was allerdings am Widerstand der dortigen Bevölkerung scheitern würde.

Quelle: Le monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Communications Squadron U.S. Army / U.S. Government photo shoot

Dieses Werk ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei.

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