Rassismus-Vorwürfe
Erstellt von Redaktion am Samstag 17. August 2019
Tönnies, Wurst und Wahn
Eine Kolumne von Thomas Fischer
Sommermärchen 2019: Clemens Tönnies hat das Edelste in den Deutschen geweckt. Den Rassismus, über den sich so viele empören, schöpfen manche aus sich selbst. So viel Moral war selten.
Clemens Tönnies hat beim Handwerkstag zu Paderborn (ohne Manuskript) gesagt: Wenn „wir in Deutschland“ 27 Milliarden Euro ausgeben wollen, um 0,006 Prozent des Weltausstoßes an CO2 einzusparen, „warum gehen wir dann nicht her und geben das Geld … unserem Entwicklungsminister? Der spendiert dann jedes Jahr 20 große Kraftwerke nach Afrika. Dann hören die auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren“. Dieser – authentische – Wortlaut ist ein bisschen anders als der vielfach (angeblich wörtlich) zitierte. Wir kommen darauf zurück.
Seither tobt Entsetzen durchs Land. Fachleute für Rassismusbekämpfung wie zum Beispiel die Bundesministerin der Justiz, Politiker jeder Kompetenzstufe, Sterneköche, Chefredakteure, Künstler und Kommentatoren sowie alle anständigen Fußball-„Fans“ sind sich sicher, dass Tönnies aus allen Ehrenämtern zu entfernen sei, weil er „die Bewohner eines ganzen Kontinents“ beleidigt habe. Sogar der Jüdische Weltkongress zeigte sich erschüttert („Jüdische Allgemeine“, 4.8.).
Aus der deutschen Qualitätspresse schwappte ein Lavastrom edelster Empörung, als sei das Sommerloch 2019 die letzte Chance, Anschluss ans „Twitter“-Niveau zu halten. Vom „Kolonialherrn“ („Zeit“) bis zur Geschwisterzahl des „Schalke-Bosses“, vom tierquälenden Milliardär bis zum „neuen Level der Verrohung“ („Welt“), vom „Hackfleischskandal“ bis zur Verleumdung des Schalke-Ehrenrats blieb kein Auge trocken („Tagesspiegel“: „Das Gremium war so befangen wie ein bestochener Schiedsrichter“). Die „FAZ“ (10.8.) zählte die Stimmen besonders genau: 50 Prozent der Deutschen sind für Tönnies‘ Rücktritt, zwei Drittel dagegen. Zum Höhepunkt trieb sich Kolumnist Wagner in „Bild“: Tönnies sei ein „Idiot“, denn er habe behauptet, „dass Afrikaner nur nachts Kinder machen“. Andere fügten (50 Jahre Woodstock!) ein bisschen sexuelle Libertinage hinzu: Der westfälische Spießer treibe es halt nur im Dunkeln. Selten so gelacht. Da sieht man, wie viel Tagesfreizeit ein deutscher Journalist hat, im Unterschied zur afrikanischen Bäuerin.
Danach hat Tönnies also unterstellt, die Anzahl der Kinder hänge vom Maß der Beleuchtung ab: „Die“ in Afrika machen mehr Kinder als „wir in Deutschland“, weil sie nachts keinen Strom haben. Das ist nun zwar energetisch und sexualsoziologisch unzutreffend, aber nicht rassistisch. Denn es bedeutet ja gerade nicht, dass man zu viele oder zu wenige Kinder macht, weil man Afrikaner oder Europäer ist, sondern weil und wenn man nicht „elektrifiziert“ ist.
Empörung
Eine besonders perfide Duftnote steuerte der Hinweis von „Zeit-Online“-Autor Oliver Fritsch bei (7.8.), Tönnies sei „schweinereich“. Zum Nachweis der Humorfähigkeit hätte es genügt, „tierisch reich“ zu sagen. Wer „schweinereich“ sagt, meint mehr: Da wird der Reichtum selbst „schweinisch“, und der Reiche verwandelt sich im Lichtstrahl der Moral zum Schwein und Schlachttier. Dieselbe Redaktion jammert dann tags darauf wieder über die verrohte Hasskultur des Internetpöbels.
Sobald Tönnies wegen Rassismus erledigt ist, kann man sich wieder den üblichen Analysen zuwenden. Eine knappe Presse-Durchsicht bringt Anregungen: Die Inder sollten den blöden Kuh-Schutz abschaffen, die Han-Chinesen die Uiguren in Ruhe lassen und die Welt mit weniger Schrottprodukten überschwemmen. Die Russen sollten es unterlassen, den Baikalsee zu zerstören. Die Brasilianer haben schleunigst aufzuhören, unseren Regenwald am Amazonas zu fällen. Außerdem müssen sich die Amerikaner ihren typischen Waffenfetischismus abgewöhnen, die Kolumbianer und Mexikaner ihre mentalitätsbedingte Neigung zur Gewalt sowie die Inuit, Apachen und Sibirier das genetisch disponierte Saufen. Die Muslime sollten aufhören, ihre Frauen zu schikanieren, und die Asiaten bitte etwas reinlicher mit ihren Flüssen umgehen. Es kann doch nicht so schwer sein, sich wie ein zivilisierter Deutscher zu benehmen!
Der deutsche Fußball-„Fan“ und Sportreporter ist von Herzen ein Antirassist, weshalb wir Deutschen, wie es einst Herr Momper formulierte, das glücklichste Volk der Welt sind. Man erkennt das an der Freude, mit der wir die deutschen Automobile mit den Symbolen des deutschen Glücks schmücken, wenn’s zum Fußball geht, und an der Aufmerksamkeit, die wir den deutschen Nationalspielern beim Mitsingen der deutschen Nationalhymne widmen. Ein Halbtürke, der die deutsche Hymne nicht singt, hat in unserem Mittelfeld nichts zu suchen.
Überhaupt ist der Fußball in Deutschland seit jeher, also seit 2006, traditionell antirassistisch. Wir freuen uns über alle Spieler der Welt gleichermaßen: Über die Brasilianer, denen der Samba mit dem Ball im Blut liegt, über das typisch englische Draufhauen, das asiatische Gewusel der Koreaner, sogar über die südländische Schlitzohrigkeit der Italiener. Seit die Treter aus Uruguay und die Maschinenfußballer der Sowjetvölker sich ein bisschen an den eleganten deutschen Fußball angepasst haben, geht’s auch da aufwärts. Der afrikanische Fußball ist uns ans Herz gewachsen. Denn wir lieben den echten, ursprünglichen Fußball, der aus den Herzen der kleinen Jungs in den Slums von Lagos kommt. Wo man keine goldenen Schuhe braucht, sondern die Lebensfreude und das unnachahmliche Körpergefühl der afrikanischen Jugend.
Handwerk
Quelle — Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Rheda-Wiedenbrück, Tönnies Fleischwerk im Stadtteil Rheda. Aufgenommen am 14. Januar 2006 von Daidalus.
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016