Rassismus unter Linken
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 20. Februar 2018
Der Feind im Freund
Von Mustafa Saeed
Viele Linke sehen ihre Feinde nicht mehr nur am rechten Rand, sondern auch unter Migranten und Muslimen. Die Geschichte einer Entfremdung.
Auf einer Anti-Nazi-Demonstration im Sommer 2008 in Bonn fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich auf der richtigen Seite stehe. Ich war 16 Jahre alt, und ein älterer Mann hatte mich angesprochen. Er trug Lederjacke, Arbeitermütze und in der Hand ein rotes Fähnlein. Altkommunist, dachte ich. Dann setzte er an, mir zu erklären, dass ich nur politische Gruppen unterstützen könne, die es auch dort gebe, wo ich „herkomme“. Dass das Rheinland meine Heimat war, schien ihm egal. Meine schwarzen Locken reichten ihm, um mich vage im Globalen Süden zu verorten. Und mit ihm sollte ich gegen Nazis demonstrieren?
Ich habe mich früh für Politik interessiert und mich in verschiedenen Gruppen engagiert. Das linksradikale Milieu zog mich an. Neben unserer politischen Arbeit hörten wir viel Musik, extrem im Klang und extrem im Inhalt. Wir grölten dadaistisch-banale bis systemverachtende Texte, tanzten, bis wir umkippten, und fingen einander wieder auf. Die Konzerte fanden in linken Kneipen, in besetzten Häusern und in Jugendzentren voller Graffiti statt.
Meine Freunde und ich waren gegen Religionen, gegen Ideologien, und vor allem: gegen die bevormundende Debatte um Einwanderung, Identität und Integration. Als in den späten Nullerjahren Begriffe wie Leitkultur Teile der öffentlichen Debatten bestimmten und viele sich vor allem für die Frage interessierten, wie Migranten sich zu verhalten haben – was gab es dann Radikaleres, als in nach Schweiß stinkenden Hallen und Kellern zu Raven gegen Deutschland zu feiern?
Wir waren gegen Diktatoren, auch in revolutionären Ländern
Viele der Menschen, die ich auf Konzerten traf, sah ich auf politischen Veranstaltungen und bei Demonstrationen wieder. Wir blockierten Naziaufmärsche, versahen Wahlplakate mit Slogans und tauschten uns darüber aus, wie ethischer Konsum im Kapitalismus möglich sei. Doch schon damals war etwas merkwürdig: Von Anfang an begegneten viele mir anders als den anderen. Sie sprachen mich häufig auf Dinge an, die eher wenig mit mir zu tun hatten, wie den Islam oder den Nahen Osten, und selten auf Dinge, die mich wirklich interessierten, wie Philosophie oder Technik. Mein Umfeld wollte über muslimische und arabische Politik sprechen, aber bei uns zu Hause war das kein Thema. Dennoch freute ich mich, wenn mich die anderen für einen iranischen Diplomatensohn hielten oder für einen spanischen Autonomen. Noch mehr aber freute ich mich, wenn sie gar nicht erst fragten. Ältere Aktivisten gaben mir Texte gegen Religionen, gegen Kapitalismus, gegen Nationalismus. Die meisten fand ich zwar eher langweilig und vereinfacht, aber es brachte mir Respekt, wenn ich daraus zitieren konnte.
Doch dann war da auch die linke Feministin, die mich auf rechtspopulistische, islamophobe Blogs verwies, um ihre vermeintliche Religionskritik zu belegen. Oder der Antifaschist, der mir sagte, er möge mich eigentlich, wäre da nicht die Sache mit meiner Alkoholabstinenz. Das irritierte mich zwar, aber ich schob den Gedanken schnell beiseite und konzentrierte mich auf das, was uns verband: Wir waren gegen Antisemiten, auch in linken Parteien und Gruppen. Wir waren gegen Diktatoren, auch in revolutionären Ländern. Wir waren gegen staatliche Überwachung. Und natürlich waren wir gegen Nazis, immer und überall.
Der Tonfall in meinem Umfeld verschärfte sich
Mit der Zeit häuften sich aber die Konflikte. Als ich einem linken Aktivisten erklärte, warum ich während der muslimischen Fastenzeit nichts esse, hörte ich danach nie wieder von ihm. Wenn ich meinen Alkoholverzicht mit meinen Punkfreunden erklärte, also mich als straight edge bezeichnete, brachte mir das Respekt ein. Wenn ich dies aber religiös begründete, oder sie mir einfach ohne zu fragen unterstellten, es habe religiöse Gründe – dann sagten sie, man könne mit mir keine Freizeit verbringen. Und wenn ich den Begriff „islamophob“ verwendete, nannten mich manche einen Islamisten. Islamophobie gebe es nämlich nicht, das sei eine Erfindung islamistischer Propagandisten. Besonders viele Freundschaften scheiterten während des Arabischen Frühlings. Ich war den anderen zu optimistisch, was die Entwicklungen in der Region betraf, und zu kritisch gegenüber säkularen, aber westorientierten Militärs.
So wuchs die Distanz zwischen uns. Zwar hatte ich selbst Stereotype im Kopf: Meine Familie war vor den extremistischen Taliban aus Afghanistan geflohen. Dass deren Gedankengut aus arabischen Ländern stammte, hörte ich bereits als kleines Kind und vermengte Islamismus mit arabischen Menschen, als sei die Verbindung ganz natürlich. Als ich mich langsam davon löste, fiel mir auf, dass auch mein politisches Umfeld seine Vorurteile gegen Araber einfach als Religions- oder Islamkritik verpackte. In diesem Weltbild stehen Araber, arabische Staaten und arabische Kultur für religiösen Fundamentalismus, Militarismus und Nationalismus. Der Arabische Frühling zeigte mir aber, dass Dinge nicht so einfach waren. Meine pauschale Ablehnung war nichts als ein rassistisches Vorurteil.
Hautfarben durften nicht existieren, taten es aber doch
Quelle : Zeit – online >>>>> weiterlesen
In diesen Zusammenhang hier einmal mehr das Schreiben eines türkischen Mitglied vom Oktober 2009 :
interne KRITIK
von ABDULLKADIR ULUMASKAN
Die in dem Brief Angesprochenen werden heute noch als Mitglieder geführt!
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Grafikquellen :
Oben —
Source | de.indymedia.org |
Author | Frauen*-Internationalismus-Archiv Dortmund |
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Unten — Reproduktion eines Minstrel-Show-Plakats aus dem Jahre 1900. Es zeigt die Verwandlung von „weiß“ nach „schwarz“.