Radikale Klimaproteste
Erstellt von Redaktion am Samstag 26. November 2022
Dringend benötigte Störenfriede
Wo Politik Hass sät – kann sie keine Liebe ernten ! Erst wenn sich die Demonstrant-innen den Politiker-innen und derer Zuhälter-innen an die Backen kleben erfolgt das Erwachen – ob vorne oder hinten ist egal – wenn der Kleber auch eine schwammige Masse hält !
Ein Essay von Bernhard Pötter
Die Aktionen der Letzten Generation polarisieren: Sie zwingen uns, die Komfortzone zu verlassen. Das tut weh, aber nur so hat Klimaschutz eine Chance. Die unbändige Wut auf die letzte Generation liegt in unserem schlechten Gewissen begründet.
Kaum saß ich im Auto und war losgefahren, wusste ich: Das war ein Fehler. Ich wollte quer durch die Stadt, kam aber kaum voran. Baustellen, Sperrungen, neue Fahrradstraßen bremsten mich. Je länger die Fahrt dauerte, desto gereizter wurde ich. Das Schlimmste: Normalerweise lege ich die Strecke mit Fahrrad und S-Bahn doppelt so schnell und doppelt so bequem zurück. Ich wusste also: Ich war selbst schuld an meinem Problem. Und ich kannte auch die Lösung.
Ähnliches gilt für die Reaktion der deutschen Politik und Gesellschaft auf die Blockaden der Letzten Generation. Da wird inzwischen ganz großes Geschütz aufgefahren gegen Menschen, die kurzzeitig den Verkehr stören, sich widerstandslos abführen lassen und friedlich vor den zuständigen Gerichten erscheinen. Als am Donnerstag AktivistInnen auf die Startbahn des Berliner Flughafens vordrangen und den Betrieb für 90 Minuten lahmlegten, sprach Innenministerin Nancy Faser davon, diese „neue Eskalationsstufe“ sei „absolut inakzeptabel“ und „zerstöre wichtige gesellschaftliche Akzeptanz“ für den Klimaschutz. Andere warnten, die „Kriminellen“ würden „immer skrupelloser“.
Woher stammt diese Wut aus weiten Teilen der Politik, Medien und Gesellschaft gegen Menschen, die sich für ein allgemein akzeptiertes Ziel einsetzen? Sie kommt aus unserem schlechten Gewissen: Die AktivistInnen führen uns vor Augen, dass der liebgewordene Alltag und unsere eingespielten Routinen uns immer tiefer in der Klimakrise treiben. Sie machen uns deutlich, dass unser beruhigendes „Business as usual“ im langsamen demokratischen Prozess potenziell katastrophal ist. Sie kleben uns eine in unserem Denken und Fühlen, dass zukünftige Sicherheit darin liegt, im Hier und Jetzt alles beim Alten zu belassen.
Diese Erkenntnis ist ja wirklich beunruhigend. Gerade in Krisensituationen wie Corona oder Krieg ziehen wir uns gern aufs Altbewährte zurück. „Keine Experimente“ gilt als Versicherung gegen die Verunsicherung einer sich rasant verändernden Welt. Ruhe galt hierzulande schon immer als erste Bürgerpflicht. Deutschland ist damit lange gut gefahren. Allerdings hat der westdeutsche Konsens von „Maß und Mitte“ eine notwendige radikale Wende in der Umwelt- und Klimapolitik verhindert, wie Bernd Ulrich in seinem Buch „Alles wird anders“ beschrieben hat.
Allianz zwischen Liberalen und Konservativen
Stabilität war und ist für Deutschland zentral: Mit der Absage an Experimente wurde schon Konrad Adenauer zum Kanzler. Angela Merkel beruhigte 16 Jahre lang das Land. Und auch Krisenkanzler Olaf Scholz tut alles, um die Menschen nicht noch mehr aus der Ruhe zu bringen.
Die Sitzenden kleben noch während es die schwarzen Helfer schon auf die grüne Weide zog.
Die Zeiten sind aufregend genug. Und dann kommt auch noch die Letzte Generation, schneidet mit einer Drahtschere ein Loch in den Flughafenzaun und fordert eine radikalere Klimapolitik. Damit zeigen die AktivistInnen nebenbei auch, wie gefährdet und leicht angreifbar die Infrastruktur in Deutschland ist. Vor allem aber streuen sie Sand ins Getriebe einer mobilen Gesellschaft oder bekleckern mit Kartoffelbrei Gemälde im Museum – also da, wo auch die aufgeklärteste Bürgerin nun wirklich mal am Sonntagnachmittag ihre Ruhe haben will. Da geht es dann schnell, dass eine Allianz aus konservativem „Ich will nicht gestört werden“ und populistischem „Was maßen die sich an?“ bildet, die von „Terrorismus“ und einer „grünen RAF“ schwadroniert, über verschärfte Strafen und vorbeugenden Gewahrsam wie in Bayern, wo AktivistInnen gleich mal für 30 Tage in Haft genommen werden.
Entzündet haben sich die großen Debatten am Tod einer Radfahrerin in Berlin. Durch eine Blockade der Letzten Generation kam ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr verspätet zum Unfallort. Ob der Tod der Frau dadurch mitverursacht wurde, wird juristisch geklärt. Derzeit sprechen die Indizien dagegen. Aber es geht nicht um eine sachliche Debatte über die Risiken dieser Aktionen. Sonst würde debattiert, wie häufig Einsätze von Polizei oder Feuerwehr durch Falschparker oder Staus ohne Rettungsgasse behindert werden. Aber daran haben wir uns gewöhnt. Business as usual eben.
Der größte Feind: Business as usual
Die Gewöhnung ist das Problem. Denn die großen Feinde von Klimaschutz überall auf der Welt sind nicht so sehr böser Wille, Lobbyismus, Verschwörung, Dummheit oder „der Kapitalismus“. Das wirkliche Problem heißt BAU – Business as usual. Wir haben uns daran gewöhnt, unseren Wohlstand auf die Verbrennung von fossilen Rohstoffen zu stützten. Das hat die Klimakonferenz in Ägypten wieder gezeigt: Bei allen Lippenbekenntnissen zum „Change“ folgt doch die Blockade, wenn es um den schnellen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas geht.
Dagegen sind die Fakten eindeutig: Weitermachen wie bisher, global und national/europäisch, bedeutet den größten anzunehmenden Unfall: BAU heißt GAU. Dagegen steht aber bisher nur eine minimalinvasive Umwelt- und Klimapolitik: ein bisschen Effizienz hier, ein bisschen Ökostrom da, und ein Förderprogramm für Wärmepumpen und Dachsanierungen. Es ist letztlich das Gleiche in Grün. Eine Politik der kleinen Schritte, wie sie in einer parlamentarischen Demokratie nun mal im Normalfall angesagt ist.
München bei Nacht – da haben die braunen Republikaner nicht mehr gelacht.
Kleine Schritte aber führen in den Abgrund. Noch bei der COP1, 1995, hätte die Klimakrise verhindert werden können, wenn ab damals die globalen Emissionen jährlich um 1 Prozent gesunken wären. Heute sind dafür schier unmögliche jährliche 7 Prozent Reduktion nötig. Das haben wir bisher nur annähernd beim Zusammenbruch der Weltwirtschaft in der Coronapandemie gesehen. Indirekt eine kleine Hoffnung: „Wir haben es bei der Reaktion auf Covid und auf den Krieg geschafft, in den Krisenmodus zu kommen“, sagte Niklas Höhne vom NewClimate Institut, als er auf der COP27 neue erschreckende Emissionstrends vorstellte. „Aber wir müssen auch beim Klimaschutz in diesen Krisenmodus kommen. Das schaffen wir noch nicht.“
Radikal wird der Klimawandel
Das ist der wunde Punkt, an dem sich die Letzte Generation in der Debatte festklebt. Sie symbolisiert den Krisenmodus, der dringend nötig wäre, damit die dringend nötigen Veränderungen mit der dringend nötigen Geschwindigkeit umgesetzt werden. Nötig ist die „Disruption“ der alten Energiesysteme, eine schöpferische Zerstörung, die das dreckige Alte beseitigt und dafür das nachhaltige Neue aufbaut. Aber dafür braucht es Unruhe, Unzufriedenheit, Streit, Experimente, die Lust am Ausprobieren und Scheitern. Und nicht die scheinbare Sicherheit des Gewohnten.
Man kann streiten, wie sinnvoll und zielführend die Aktionen der Letzten Generation sind. Blockaden bringen viel Ärger und Risiko. Das Anliegen kann hinter der Aktion verschwinden. Seit Wochen wird nicht mehr über die Ziele der Letzten Generation debattiert, sondern nur noch über ihre Mittel. Auch blockieren sie nicht die großen Klimakiller wie Kohlekraftwerke oder Gaspipelines, sondern den privaten Verkehr.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Angeklebte Blockiererinnen vom Aufstand der letzten Generation bei der Blockade des Flughafens BER kurz vor der Lösung des Sekundenklebers, vlnr: Christian Bläul, Kai Witza, Kristoffer Krogh, Lina Eichler, Berlin-Schönefled, 23.02.22
Unten — Letzte Generation Blockadeaktion Klimademo Karlsplatz Stachus München 2022-11-07 20-34-35