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Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 20. Mai 2021

Das neue Lieferkettengesetz

Gerd Müller CSU Parteitag 2013 by Olaf Kosinsky (3 von 5).jpg

Nach langem und zähem Ringen hat das Bundeskabinett am 3. März den Entwurf für ein Gesetz beschlossen, das künftig Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in den Lieferketten deutscher Unternehmen vorbeugen soll. Damit leitet die Regierung den längst überfälligen Paradigmenwechsel von der bloß freiwilligen Corporate Social Responsibility zu verbindlichen Vorgaben ein: Künftig sollen Verstöße geahndet werden – mittels Bußgeldern bis hin zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Mit einer beispiellosen Lobbyoffensive war es den Wirtschaftsverbänden und dem Wirtschaftsflügel der Union zuvor allerdings gelungen, die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller empfindlich abzuschwächen. Dem Schutzanspruch von universellen Menschenrechten wird das Lieferkettengesetz damit nicht gerecht.

An vier Punkten springt dies beim jetzigen Gesetzestext ins Auge: Erstens bleibt die vollumfängliche Sorgfaltspflicht für deutsche Unternehmen nur auf direkte Zulieferer beschränkt. Demnach müssen Unternehmen die Risiken bei mittelbaren Zulieferern nur dann untersuchen, wenn sie bereits „substantiierte Kenntnisse“ über mögliche Verletzungen der Menschenrechte erlangt haben. Zudem wurde, zweitens, die zivilrechtliche Haftungsregel gestrichen, sodass Geschädigte aus dem globalen Süden bei Schadenersatzklagen in Deutschland weiterhin chancenlos bleiben. Drittens wurde der Geltungsbereich gegenüber den ursprünglichen Plänen um 60 Prozent auf rund 2900 Unternehmen mit über tausend Mitarbeitenden begrenzt. Auch Umweltstandards werden, viertens, nur punktuell mit Blick auf Quecksilberemissionen und bestimmte andere Schadstoffe berücksichtigt. Die Initiative Lieferkettengesetz, ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus 124 Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften, fordert daher grundlegende Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren des Bundestags.[1] Ob dies gelingen wird, ist ungewiss. Denn der Wirtschaftslobby gehen die bisherigen Verwässerungen noch nicht weit genug: Kaum hatten Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Kompromiss zugestimmt, rief der CDU-Wirtschaftsrat die Abgeordneten auf, das „linksideologische“ Projekt im Bundestag gänzlich zu „stoppen“. Offen ist daher, ob das Lieferkettengesetz im anschwellenden Wahlkampfgetöse in dieser Legislaturperiode überhaupt noch verabschiedet wird. Fraglich ist auch, wie wirksam es Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung deutscher Unternehmen vorbeugen kann.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Menschenrechtsverletzungen gibt es auch in Deutschland, etwa in Schlachthöfen, bei der Spargelernte oder bei Paketdienstleistern. Weitaus häufiger und verheerender sind jedoch die in den Globalen Süden externalisierten Schäden: Kinderarbeit bei der Kakaoernte in Westafrika, Vertreibungen und Wasserverseuchung durch Bauxitminen in Guinea, Zwangsarbeit der Uiguren auf chinesischen Baumwollplantagen sowie Ausbeutung und Brandkatastrophen in Asiens Textilfabriken sind nur einige Beispiele.[2] Das Problem dabei ist, dass deutsche Unternehmen Kakao, Erze und T-Shirts meist nicht direkt vom Produzenten beziehen, sondern über mehrere Stufen der Weiterverarbeitung und des Zwischenhandels.

Völlig inakzeptabel ist es daher, dass der Entwurf zum Lieferkettengesetz menschenrechtliche Risikoanalysen, Vorbeuge- und Abhilfemaßnahmen deutscher Unternehmen zunächst nur im eigenen Geschäftsbereich und bei direkten Zulieferern verlangt. Doch dass Daimler oder BMW beim Stahlkonzern Thyssenkrupp in Essen schwere Menschenrechtsverletzungen feststellen werden, ist kaum zu erwarten. Ganz anders verhält es sich hingegen beim brasilianischen Bergbaugiganten VALE, aus dessen Bergwerken ein Großteil der von Thyssenkrupp verwendeten Eisenerze stammt. Allein beim Dammbruch der Eisenerzmine in Brumadinho im Januar 2019 kamen 272 Menschen ums Leben. Auch Aldi und Lidl beziehen die Bananen von einer Handvoll direkter Zulieferer aus Deutschland. Senken die Supermärkte ihre Einkaufspreise, tragen sie dennoch zur Ausbeutung auf den Bananenplantagen in Ecuador bei.

Dennoch hatten die Unternehmensverbände BDI, BDA und DIHK sowie der Wirtschaftsflügel der Union im Bundestag wiederholt gefordert, die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten komplett auf das erste Glied der Kette zu beschränken. Der Gesetzentwurf sieht nun immerhin vor, dass Unternehmen Risiken analysieren und Abhilfemaßnahmen ergreifen müssen, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ über eine mögliche Menschenrechtsverletzung erlangen. Dies kann über den eigenen Beschwerdemechanismus, die zuständige Kontrollbehörde oder andere Informationsquellen erfolgen. Wegschauen trotz Warnungen von außen wird damit durchaus sanktioniert. Allerdings ist davon auszugehen, dass nur ein geringer Teil der Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten deutscher Unternehmen öffentlich bekannt, dann mit dem Endabnehmer in Deutschland in Verbindung und diesem schließlich zur Kenntnis gebracht wird. Ganz im Gegenteil: Für Unternehmen, die jetzt schon die ganze Lieferkette analysieren, könnte mit dem Gesetzentwurf sogar ein Anreiz entstehen, nur noch direkte Zulieferer in den Blick zu nehmen, um in der tieferen Lieferkette keine Abhilfemaßnahmen ergreifen zu müssen. Frei nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Damit rückt der Gesetzentwurf mit Blick auf die mittelbaren Zulieferer von dem Vorsorgeprinzip ab, das für die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 zentral, wenn auch nicht verbindlich ist.

Keine zivilrechtliche Haftung für verursachte Schäden

Wenn deutsche Unternehmen Menschen im Ausland Schaden zufügen, sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass sie dafür auch vor deutschen Zivilgerichten haften. Faktisch sind die Erfolgsaussichten der Betroffenen in solchen Verfahren aber sehr gering, solange menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im deutschen Recht nicht verankert sind und hierzulande bei Zivilverfahren nicht angewendet werden.

Quelle         :        Blätter           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     CSU Parteitag 2013 am 23.11.2013 in München

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Unten      —   Teile des eingestürzten Gebäudes während der Rettungsarbeiten, 27. April 2013

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