Putin schafft sich ab
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 14. März 2018
Steigender Druck von der Straße
Mag Putin das Deutsche Sprichwort kennen : : Dummheit frist – Genie säuft ?
von Anton Himmelspach und Tamina Kutscher
„Da muss man ‚Nawalny‘ draufsprühen“, witzelten die Moskauer nach dem Schneechaos vom Februar 2018. Mit dem Namen des oppositionellen Politikers versehen, würden die riesigen Schneehaufen in der unpassierbaren Hauptstadt schnell weggeräumt. Damit verwiesen die Großstadtbewohner einerseits auf die Defizite in der kommunalen Verwaltung und andererseits darauf, dass der Name Alexej Nawalny im öffentlichen Raum unerwünscht ist.
Es war keine Überraschung, dass der einzige ernstzunehmende Herausforderer von Amtsinhaber Wladmir Putin nicht zur kommenden Präsidentschaftswahl am 18. März 2018 zugelassen wurde. Die politische Elite nimmt Nawalny, der scheinbar aus dem Nichts zehntausende Menschen mobilisieren kann, offensichtlich als Gefahr wahr. Zwar gibt es formalrechtlich am Ausschluss des vorbestraften Kandidaten nur wenig auszusetzen. Allerdings funktioniert diese Logik nur systemimmanent: Denn eine Gewaltenteilung gibt es in Russland nur auf dem Papier, die Institutionen sind potemkinsche Fassaden.
Dafür steht die Verurteilung von Nawalny exemplarisch: Der Gerichtsprozess gegen ihn wurde neu aufgerollt, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dessen Ausgang als willkürlich eingestuft hatte. Im Jahr 2013 war der Oppositionelle im sogenannten Kirowles-Prozess wegen Betrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Unabhängige Beobachter werteten den Prozess von Anfang an als Farce mit absehbarem Ausgang. Im Februar 2017 schließlich wurde Nawalny erneut zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt – womit ihm eine Kandidatur versagt bleibt.
Ebenso wenig überraschend wie der Ausschluss Nawalnys war die Kandidaturerklärung Putins. Sein Sieg gilt vielen als sicher, nicht nur böse Zungen sprechen von einer Putin- statt von einer Präsidentschaftswahl. Im Frühjahr 2024 könnte dieser dann als 71-Jähriger auf nahezu ein Vierteljahrhundert an der Macht zurückblicken.
Ob es aber dazu kommt, ist keineswegs so sicher, wie es den Anschein hat. Tatsächlich verzeichnet Putin in Umfragen noch immer hohe Zustimmungswerte, er scheint sich auf einen großen Rückhalt stützen zu können. Zugleich jedoch zeichnet sich bereits seit längerem der Niedergang des System Putin ab – und letztlich auch sein unaufhaltsames Ende. Verantwortlich dafür ist die ausweglose Lage, in die sich der Präsident in den vergangenen Jahren hineinmanövriert hat.
Die wilden 1990er
Mit Blick auf die bisherige Amtszeit Putins sollte man daher auch weniger von Rückhalt als vielmehr von Amtsbonus sprechen: Die bisherigen 18 Jahre Putin verdanken sich nicht zuletzt dem Umstand, dass die 1990er Jahre unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin für viele Russen bis heute in allzu schlechter Erinnerung sind. Die postsowjetische Gesellschaft Russlands versank damals in Chaos und Kriminalität, die Privatisierung der Betriebe bot ein Schlachtfeld, das rücksichtslose Oligarchen plünderten. Am Ende besaßen wenige Oligarchen sehr viel und sehr viele Menschen nur sehr wenig. Als lichie 1990e – „verrückte“ oder „wilde 1990er“ – sind diese Jahre der Gesellschaft bis heute im Gedächtnis, oder auch als prokljatije, „verfluchte 1990er“.
Der Patriarch Kirill, Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, sieht hier gar Parallelen zur Smuta – die „Zeit der Wirren“ zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Damals rangen verschiedene Prätendenten um die Thronfolge, fremde Heere belagerten russische Städte, Hungersnöte grassierten. Das Ende der Smuta der 1990er Jahre verglich der Patriarch entsprechend mit einem „Gotteswunder“, das aufs Engste mit Putin verknüpft sei. Damit stimmte der Patriarch in das Loblied ein, das die staatsnahen Medien seit Mitte der 2000er Jahre fortwährend erklingen lassen. Demnach gelang es Putin binnen weniger Jahre auf wundersame Weise, das Land „von den Knien zu erheben“. Wie ein Phönix aus der Asche sei Russland emporgestiegen und endlich wieder auf Augenhöhe mit anderen Mächten. Vorbei ist die Zeit der Erniedrigung und Beleidigung! Wir sind wieder wer, dank Putin!
Russland als belagerte Festung
Um seine Macht zu halten, bedient Putin unverdrossen den Mythos von Russland als belagerter Festung. Im Jahr 2007 warf er in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz den USA vor, eine moralisch nicht gerechtfertigte, unipolare Weltordnung durchzusetzen. Gleichzeitig betonte er Russlands Anspruch auf internationale Geltung. Die Annexion der Krim sieben Jahre später verschaffte ihm ungeheuer hohe Zustimmungsraten im Land. Laut offizieller Rhetorik hat man den Westen hier mit seinen eigenen Waffen geschlagen, das Vorgehen gleiche dem bei der deutschen Wiedervereinigung und der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Das Völkerrecht spielt dabei keine Rolle, was zählt, ist: Putin bringt die Krim zurück nach Russland, das Volk jubelt. Auch mit dem russischen Einsatz in Syrien etabliert er sich weiter als Fahnenträger des Antiamerikanismus, der gegen die vermeintlich unipolare Weltordnung vorgeht.
Putins Behauptung, der Westen habe sich gegenüber Russland oft arrogant verhalten, ist keineswegs falsch. Allerdings instrumentalisiert er die Fehler des Westens, um völkerrechtswidrige Handlungen und nicht zuletzt auch innere Repressionen zu rechtfertigen. So resultiert aus dem Mythos der belagerten Festung auch ein wachsender Druck nach innen: Gegen „ausländische Agenten“ in den Medien etwa geht Putin inzwischen genauso vor wie schon zuvor gegen NGOs.
Somit hängen Putins Verdienste unmittelbar vor der Wahl an einem einzigen dünnen Faden – nämlich dem Mythos von Russland als belagerter Festung. Die zentrale Frage für weitere sechs Jahre Putin lautet jedoch: Wie lange können die außenpolitischen „Erfolge“ des Kreml das innenpolitische Versagen noch überspielen? Denn das „Gotteswunder“ – die öl- und gasgestützten Wohlstandsdividenden der 2000er Jahre – lässt sich heute nicht wiederholen. Zwar wuchs Russlands Wirtschaft 2017 laut vorläufigen Zahlen um rund 1,7 Prozent. Sie befindet sich damit allerdings immer noch knapp unter dem Niveau von 2010.
Die andauernde Misere der russischen Wirtschaft erinnert an Breschnews Sastoi der frühen 1980er Jahre – die Ära der Stagnation. Deren Ursachen gleichen den heutigen: ein niedriger Ölpreis, eine geringe Produktivität, fehlende Spitzentechnologie, eine um sich greifende Korruption und Dirigismus. Manchen Berechnungen zufolge liegt der Gesamtanteil der Staatsbeteiligung im Wirtschaftsprozess bei bis zu 70 Prozent. Zugleich sanken die Realeinkommen in den vergangenen vier Jahren. Allein 2017 gingen sie um 1,7 Prozent zurück. Grassierende Verarmung im ganzen Land ist die Folge. Indes: „Das Volk bleibt stumm.“ Alexander Puschkins berühmte Gesellschaftsdiagnose trifft auch heute noch auf die politische Lage in Russland zu. Bei Puschkin ist dieses „stumme Volk“ aber auch stets von tiefem Misstrauen und Schuldzuweisungen gegenüber der Macht erfüllt – und beides tritt auch im heutigen Russland immer mehr zum Vorschein.
Die in Meinungsumfragen ermittelten Zustimmungswerte des Präsidenten bleiben zwar konstant auf hohem Niveau. Sie wiegen das System Breschnew 2.0 in dem Irrglauben, dass alles beim Alten bleiben kann und dass weiterhin Bestand haben wird, was der „Krim-Konsens“ genannt wird: die Deckungsgleichheit der knapp 90prozentigen Zustimmung zur Krim-Annexion mit den Beliebtheitswerten des Präsidenten. Doch dies ist angesichts der fortwährenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten eine selbstzerstörerische Prophezeiung. Hinzu kommt der Ruf nach Veränderungen, der immer lauter erschallt. Er steigt nahezu parallel zur Armutsquote und erklimmt bislang nie erreichte Höhen: Umfragen zufolge ist der Wunsch der Russen nach Veränderung erstmals seit Mitte der 1990er Jahre wichtiger als jener nach Stabilität.
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : 2006 Tomsk Merkel-Putin
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Source | http://archive.kremlin.ru/events/photos/2006/04/104937.shtml |
Author | Фото пресс-службы Президента России |
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Attribution: Kremlin.ru |