Prozess — G20-Protesten
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 28. Februar 2018
Angriff auf die Versammlungsfreiheit
Die Polizei im Kriegseinsatz zwecks Machterhaltung ?
Aus Hamburg: Stefan Buchen und Philipp Hennig
Der G20-Prozess gegen Fabio V. zeigt, wie ein Grundrecht angegriffen wird. Das haben auch ein Doktorand und ein Student erfahren.
HAMBURG taz | Auf die Frage, wann Demonstranten zu Straftätern werden, haben Polizei und Justiz in Hamburg eine einmütige Antwort: Auch wer gewaltfrei an einem Protestmarsch teilnimmt, kann sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schnell verwirken. Es genügt demnach schon, an einem Protestmarsch teilzunehmen, aus dem heraus einige wenige Personen Gegenstände werfen. Dann hat man die Gewalttäter durch seine bloße Anwesenheit „unterstützt“ und macht sich des schweren Landfriedensbruchs schuldig. Strafmaß: bis zu zehn Jahre Haft. Eine solche „Anwesenheit“ liegt auch gegen den Italiener Fabio V. vor.
Beweise für darüber hinaus gehende Straftaten des 19-Jährigen konnte die Hamburger Staatsanwaltschaft in dem Prozess, der fast schon ein halbes Jahr dauert, nicht liefern. Gewiss ist nur, dass der Angeklagte sich am frühen Morgen des 7. Juli 2017 einer Gruppe Demonstranten anschloss, die gegen die Politik der G20-Staaten protestieren wollten. Die Staatsanwaltschaft unterstellt der Gruppe einen „gemeinsamen Willen zur Gewalt“. Den könne man daran erkennen, dass die Teilnehmer überwiegend dunkel gekleidet und viele von ihnen „vermummt“ gewesen seien. Fabio trug beige Hose und ein schwarz-weißes Palästinensertuch.
Auf dem Weg in die Innenstadt, in der Straße „Rondenbarg“, wurde die etwa 200 Personen starke Gruppe von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Einige im vorderen Bereich marschierende Demonstranten schleuderten Steine und Rauchtöpfe in Richtung der herannahenden Beamten, ohne diese zu treffen. Die Staatsanwaltschaft zählte 14 Steine und 4 „pyrotechnische Gegenstände“. Wer geworfen hat, ist unklar. Dass der Angeklagte Fabio V. Gewalt ausübte, ist äußerst unwahrscheinlich, weil er im hinteren Teil des Protestmarsches unterwegs war. Das Urteil sollte eigentlich heute (Dienstag) gesprochen werden. Aber dazu kommt es nicht, weil sich die vorsitzende Amtsrichterin krank gemeldet hat. Sie ist hochschwanger. Ob der Prozess vor einem anderen Richter neu aufgerollt wird, ist unklar.
Aber auch ohne Urteil im Fall Fabio ist der „Rondenbarg-Komplex“ keineswegs erledigt. Mehr als 70 weitere Beschuldigte, die auch an der Demonstration teilgenommen haben und deren Lage mit der von Fabio V. vergleichbar ist, warten auf ihre Anklage. Das Führungspersonal der Hamburger Polizei hält sie alle des Landfriedensbruchs für schuldig. „Es handelte sich um einen in seiner Gesamtheit gewalttätig handelnden Mob.“ So charakterisierte der Leiter der SoKo „Schwarzer Block“, Jan Hieber, die Demonstration auf einer Pressekonferenz im Dezember. „Es reicht eben, wenn man sich in so einer Gruppe bewegt,“ erläuterte sein Vorgesetzter, der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gegenüber dem NDR. Polizeipräsident und Hanseatisches Oberlandesgericht verweisen auf eine höchstrichterliche Entscheidung zum Landfriedensbruch.
„Psychische Beihilfe“ gibt’s eigentlich nur im Fussball
Im Mai 2017 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Teilnehmer einer Hooligan-Formation am Rande eines Fußballspiels für schuldig befunden, die nicht selbst geprügelt, sondern durch „ostentatives Mitmarschieren“ den Schlägern „psychische Beihilfe“ geleistet hätten. Der BGH macht in seiner Entscheidung aber deutlich, dass dieser Fall sich von politischen Demonstrationen unterscheide, bei denen von einigen Teilnehmern, nicht aber von allen, Gewalttätigkeiten begangen werden.
Dass der Protestzug am Rondenbarg genau eine solche verfassungsrechtlich geschützte Demonstration war, meinen Experten nach Ansicht des vorhandenen Videomaterials. „Aus meiner Sicht spricht eigentlich alles dafür, dass es sich hier um eine Versammlung handelt,“ sagt der Kriminologe Tobias Singelnstein. Auf die Nachfrage von Panorama 3 und der taz, warum er den „Hooligan-Fall“ trotzdem auf die Anti-G20-Demonstration in Hamburg übertrage, antwortete Polizeipräsident Meyer nur: „Man sollte nicht versuchen, sich auf dem Gebiet der Juristerei zu tummeln.“
Polizei und Gerichtsbarkeit in Hamburg vertreten die Ansicht, dass jener Protestzug vor dem G20-Gipfel keine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes war. Den Teilnehmern der Demonstration sprechen sie politische Anliegen ab. Keine Demonstranten eben, sondern Kriminelle. Kriminell ist demnach auch Simon Ernst, einer der mehr als 70 Beschuldigten, die auf derselben Demonstration wie Fabio V. waren. Auf mehreren Polizeivideos ist der groß gewachsene Mann zu erkennen, wie er, mit einer roten Jacke bekleidet, im Strahl eines Wasserwerfers steht und eine Frau beschützt.
Dem 32-jährigen Bonner politische Anliegen abzusprechen, scheint vermessen. Seit mehr als 10 Jahren ist er in der Gewerkschaft Verdi engagiert. Mehrfach meldete Ernst Demonstrationen gegen Rechtsradikale an. Am frühen Morgen des 5. Dezember klopft es bei ihm an der Wohnungstür. „Polizei! Machen Sie auf!“. Einen Augenblick später tummeln sich zehn Beamte in seiner 2-Zimmer-Wohnung. Ein Polizist bugsiert den splitternackten Promotionsstudenten auf das Wohnzimmersofa und hält ihm einen Durchsuchungsbeschluss aus Hamburg unter die Nase, Vorwurf „Landfriedensbruch“.
Doktortitel nur gegen private Daten?
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
Fabio V. über G20-Protest
„Es war das, was ich tun musste“
Trifft ein Deutscher einen Anderen bei der UN Vollversammlung: Frage – „Wie kommen sie hier hin“. Antwort : „Ich habe Merkel bei den letzten Wahlen meine Stimme gegeben“. „Und sie“ ? „Ich habe ihr meine Stimme nicht gegeben, und wurde darum Strafversetzt“ !
Das Interview führte Katharina Schipkowski
Rund fünf Monate saß der Italiener Fabio V. in U-Haft. Der Vorwurf: schwerer Landfriedensbruch. Nun muss der Prozess neu aufgerollt werden.
Fabio V. kann nach Hause – der Prozess gegen ihn ist geplatzt. An diesem Dienstag stand eigentlich der letzte Verhandlungstermin an, bevor die Richterin in den Mutterschutz geht. Aber die Richterin ist krank, wie das Gericht V.’s Verteidiger*innen am Montag mitteilte – der Termin fällt aus. Nun liegt der Prozess auf Eis, bis eine andere Richter*in das Verfahren irgendwann neu aufrollt. V. wird vorgeworfen, sich an einer Demonstration beteiligt zu haben, bei der G20-Gegner*innen Steine in Richtung der Polizei warfen. Die Beweislage ist dünn – in zwölf Verhandlungstagen konnte ihn kein*e Zeug*in belasten. Die Staatsanwaltschaft wirft V. keine individuelle Tat vor, sondern lediglich die Teilnahme und psychologische Unterstützung der Demonstration. Ende November wurde V. nach fast fünf Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen. Seitdem hat er sich nicht in der deutschsprachigen Presse geäußert. Für die Dauer des Prozesses lebt er mit seiner Mutter in Hamburg. Wir treffen uns an der Sternschanze, unweit der Messehallen.
taz: Herr V., Sie sind unfreiwillig ein Star des G20-Protests geworden. Wie fühlt sich das an?
Fabio V.: Ich möchte auf keinen Fall für berühmt oder wichtig gehalten werden. Ich bin nur ein junger Mensch, der wie viele andere nach Hamburg gekommen ist, um gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu demonstrieren. Ich hatte das Pech, festgenommen zu werden und im Gefängnis zu landen – wie viele andere auch.
Aber bei wenigen steht das Verhältnis zwischen Tatvorwurf und Strafverfolgung in einem so drastischen Verhältnis: Ihnen wird keine individuelle Tat vorgeworfen, aber Sie saßen fast fünf Monate in Untersuchungshaft.
Ja, das ist interessant und etwas, was es in Deutschland noch nicht gab. Ich bin nicht für eine spezifische Tat angeklagt, sondern für die Anwesenheit bei einer Demonstration. Die Verschärfung des Paragrafen des schweren Landfriedensbruchs passt in das immer repressiver werdende System in Europa, das benutzt wird, um Leute einzuschüchtern und zu unterdrücken, die rebellieren wollen.
Sind Sie Opfer einer politischen Justiz geworden?
Ja und nein. Alle Gerichtsprozesse sind politisch, auch die gegen „normale Kriminelle“. Justiz ist eine Waffe derer, die an der Macht sind, um die Abtrünnigen zu bestrafen, die Marginalisierten und Ärmsten zu unterdrücken. Ich glaube nicht an eine unabhängige Justiz.
Die Staatsanwaltschaft rechnet mit einer Jugendstrafe auf Bewährung.
Wenn ich am Ende verurteilt werde, muss man sagen, dass das Recht zu demonstrieren in Deutschland mit Füßen getreten wird.
Der Prozess ist jetzt geplatzt, wie geht es weiter?
Es wird es wahrscheinlich einen neuen Prozess geben, alles noch mal von null, mit einer anderen Richterin. Wir hören alle Zeugen noch mal, sehen alle Videos noch mal.
Was machen Sie jetzt?
Ich fahre nach Italien und bleibe da erstmal. Ich werde bei meinem Vater in Feltre wohnen.
Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis empfunden?
Sie hat mich sicher verändert. Eine normale Person, die in den Knast kommt, ist nicht die gleiche, wenn sie rauskommt. Im Gefängnis zu sein ist schrecklich. Man kann von außen nicht verstehen, was es heißt, drinnen zu sein. Ich hatte das Glück, dass ich im Verhältnis zu anderen nur so kurz da war. Mein Glück war außerdem, dass ich enorme Solidarität von außen erfahren habe.
Was haben Sie erlebt?
Ich habe sehr viele Leute kennengelernt. Normale Kriminelle und solche, die einfach am falschen Ort der Welt geboren und von dort geflohen sind, andere, die im Supermarkt geklaut haben, weil sie Hunger hatten. Die meisten hatten keine Möglichkeit, zu studieren, sich zu verwirklichen, hatten viele Probleme und niemand hat ihnen geholfen, am wenigsten der Staat. Was sie erzählt haben, war oft absurd und sehr traurig.
Welche Gedanken haben Ihnen Hoffnung gemacht?
Meine Haft war gewissermaßen eine Fortsetzung des Kampfes gegen den G20-Gipfel. Ein politischer Gefangener zu sein ist leichter, als ein „normaler“ Gefangener zu sein. Ein politischer Gefangener hat immer seine Ideale und Ideen, die ihm helfen, das macht es einfacher. Man denkt immer daran, dass man einen Kampf kämpft gegen die, die wollen, dass du drinnen bist.
Und was ist Ihre Utopie?
Quelle TAZ >>>>> weiterlesen
—————————————————————————————
Grafikquellen :
Oben — G20 summit
Unten — Gruppenfoto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Mitte.[13]