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Pressefreiheit in Russland

Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 15. Dezember 2017

Lieber tot als abgeschoben

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Aus Moskau Paul Toetzke

Der Journalist Ali Ferus soll von Russland nach Usbekistan abgeschoben werden. Dort droht ihm Folter – weil er Regimekritiker ist und schwul.

Ein Bürogebäude unweit des Roten Platzes in Moskau, Anfang November. In einem Atelier im zweiten Stock wippen ein paar Leute zu elektronischer Musik. An der Decke hängen Luftballons, es gibt Krim-Sekt aus Plastikbechern. So richtig nach Feiern ist niemandem zumute. Auf einem Tisch liegen Kugelschreiber und T-Shirts. Darauf gedruckt das Gesicht eines jungen Mannes mit kurzem Bart und Brille. Darunter die Aufschrift: #FreeAli. Eine junge Frau läuft mit einer Spendendose umher. „Wir vermissen dich, Ali“, ruft jemand auf Russisch.

Eine Solidaritätsparty, rund 30 Leute sind gekommen. Freunde und Kollegen haben sie organisiert für Chudoberdi Nurmatow. Seit Anfang August sitzt der usbekische Journalist und Menschenrechtsaktivist, bekannt unter dem Pseudonym Ali Ferus, in Abschiebehaft in der Nähe von Moskau. Er soll nach Usbekistan abgeschoben werden, die russischen Behörden haben ihm kein Visum mehr ausgestellt. Seine Unterstützer haben ihm über seinen Anwalt ein Notizheft und einen Kugelschreiber zukommen lassen. In seiner Zelle führt Ali Ferus Tagebuch:

6. August 2017: Das SUWSIG ist ein Militärobjekt. Es ist von einem doppelten grünen Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umringt. Nachts lassen sie Hunde umherlaufen. Hier werden keine Kriminellen, sondern Ausländer wegen kleiner Ordnungswidrigkeiten festgehalten. Zum Beispiel wegen Fristversäumnissen bei Visums- oder Anmeldungsangelegenheiten.

Die russischen Behörden blockieren

Ali Ferus’ Heimatland Usbekistan hat im Welt-Pressefreiheits-Index den 169. Platz, Journalisten wie er werden regelmäßig bedroht. Die Uni Göttingen hat ihm bereits Anfang dieses Jahres eine Forschungsstelle zum Thema Migration und Geflüchtete angeboten. Zusammen mit der Nemzow-Stiftung hat sie ein Stipendium für ihn organisiert. Deutschland ist bereit, Ferus ein humanitäres Visum auszustellen. Aber die russischen Behörden blockieren das.

Im Hinterhof des Moskauer Bürogebäudes, zwischen verrosteten Garagentoren und herunterhängenden Kabeln, sitzt Pawel Gafarow und dreht sich eine Zigarette. Es regnet, Pawel bläst den Rauch in die kühle Luft. Der 28-Jährige ist Ferus’ Partner, seit Oktober sind die beiden verlobt. Der Antrag kam per Anruf, aus der Zelle. „Sehr romantisch.“ Gafarow lächelt. Homosexuelle Ehen sind in Russland verboten. Der Antrag ist ein Zeichen der Hoffnung, er soll Ferus daran erinnern: Draußen wartet das Leben.

Gafarows Handy vibriert, ein Anruf. Ferus darf täglich eine halbe Stunde telefonieren. „Hörst du uns?“ Ferus’ Stimme klingt gebrochen, er atmet tief ein vor jedem Satz. Sein psychischer Zustand sei nicht stabil, sagt er. Manchmal habe er das Gefühl, seine Freunde hätten ihn vergessen. Doch dann gebe es Tage, an denen er wieder Hoffnung spüre. Hoffnung liegt für Ferus momentan vor allem in Deutschland. „Alle Papiere liegen bereit. Ich warte nur auf eine Antwort von den russischen Behörden.“ Doch genau das versuche der usbekische Geheimdienst zu verhindern, glaubt Ferus. Denn für ihn ist er nicht irgendwer.

„Die Wände bedrängen mich von allen Seiten“

Bevor Ferus inhaftiert wurde, arbeitete er als Reporter für die regierungskritische Zeitung Nowaja Gaseta in Moskau. Seine Artikel sorgten für Aufsehen. Er, der jahrelang über das Schicksal von Migranten schrieb, über die Grausamkeit, mit der sie ausgebeutet werden, die Doppelmoral der russischen Regierung und die Machenschaften des usbekischen Geheimdienstes in Russland – er ist nun selbst zum Protagonisten geworden. Und zum Opfer seiner eigenen Recherchen.

6. August 2017: Wegen der Hitze fällt das Atmen in der Zelle schwer. Es ist eine gute Schicht. Die Wachen lassen die Essensklappe geöffnet. Nach dem Mittag­essen entsteht, weil wir uns nicht bewegen können, ein Gefühl der Aussichtslosigkeit und Einsamkeit. In solchen Momenten bekomme ich öfter Panik­attacken. Die Wände bedrängen mich von allen Seiten.

Der usbekische Geheimdienst wird das erste Mal auf Ferus aufmerksam, als er 2008 von seinem Studium im russischen Kasan nach Usbekistan zurückkehrt. Er kritisiert die damalige usbekische Regierung unter Islam Karimov. Die Beamten wollen Auskunft über Ferus’ politische Aktivitäten und die seiner Freunde. Er soll als Informant für den Geheimdienst arbeiten. Ferus weigert sich und wird gefoltert.

2009 flieht er aus Usbekistan, zunächst nach Kirgistan und Kasachstan. Zwei Jahre später kommt er nach Moskau und beantragt Asyl. Er fürchtet nicht nur den Geheimdienst wegen seiner politischen Haltung – während er in Moskau seine Homosexualität mit Einschränkungen ausleben kann, droht ihm in Usbekistan Folter. Wenn nicht gar der Tod.

10. August 2017: Seit die Usbeken wissen, dass ich Probleme mit dem usbekischen Geheimdienst habe, meiden sie mich. Die Tadschiken lachen über sie: „Wovor habt ihr denn Angst? Euer Karimov ist auch gerade in einer Haftanstalt, nämlich in der Hölle! Er wird euch nichts tun.“

Ferus spricht neun Sprachen

Islam Karimov regierte Usbekistan seit 1991, im September 2016 ist er gestorben. Das Timing von Ferus’ Festnahme scheint kein Zufall zu sein. „Die Polizei hatte nie ein Problem mit mir“, sagt Ferus der BBC im Gerichtssaal. „Das hat erst angefangen, als ich über die Wahlen in Usbekistan geschrieben habe.“

Im Juni dieses Jahres lernt Ferus Pawel Gafarow kennen. Schnell werden die beiden ein Paar. „Ali war anders als alle anderen Kerle“, sagt Gafarow ein paar Tage nach der Solidaritätsparty am Telefon. „Er hat mir sofort von seiner Geschichte erzählt. Von der Vergangenheit in Usbekistan, von seiner Leidenschaft für Journalismus. Er war total offen.“ Auch Ferus’ Kollegen bei der Nowaja Gaseta, für die er 2014 zu schreiben begonnen hat, sind beeindruckt vom Engagement, mit dem er seine Geschichten recherchiert. Ferus ist sich für nichts zu schade. Um Moskau aus der Perspektive von Behinderten zu erfahren, fährt er eine Woche lang im Rollstuhl durch die Stadt. In der glühenden Sonne legt er Fliesen mit Gastarbeitern, verbringt Silvester mit Obdachlosen, arbeitet drei Tage als Totengräber. Ferus spricht neun Sprachen, er findet schnell Anschluss, gerade im Migrantenmilieu. Seine Kollegen beschreiben ihn als jemanden, der „den Menschen wirklich zuhört“. Er habe mit jedem eine gemeinsame Sprache finden können, ob mit Kriminellen oder Ministern, mit Nationalisten oder Straßenarbeitern.

10. August 2017: In der Haftanstalt sitzen zwei Arten von Menschen. Die einen nehmen die Haft hin und warten, bis sie zurück in die Heimat geschickt werden. Die anderen sind mit der Haftsituation nicht einverstanden und nicht bereit, sich an die Haftbedingungen zu gewöhnen. Sie kommunizieren wenig und bevorzugen es, etwas abseits zu sein. Beide Gruppen begegnen sich beim Ausgang im Hof, aber sie nehmen einander nicht richtig wahr. Die einen spielen Fußball, lachen, und wenn sie ein Tor schießen, dann tanzen sie. Die anderen sitzen auf der Bank und blicken besorgt umher.

„Usbekischer Flüchtling im Zentrum entführt“

Quelle    :    TAZ      >>>>>        weiterlesen

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Author Bernd Schwabe in Hannover

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