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Pressefreiheit in Ägypten:

Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 5. April 2020

Höchst unerwünscht

File:Kairo BW 1.jpg

Blick auf Kairo

Aus Kairo Elisa Tomaselli

Trotz Unterdrückung der Presse in Ägypten konnte das Nachrichtenportal „Mada Masr“ weiter arbeiten. Bis es über den Sohn des Präsidenten berichtete.

Doqi, ein Stadtbezirk im Großraum Kairo: Drei kleine Militärposten, wie sie in der ganzen Stadt zu finden sind, säumen hier eine Seitenstraße. Eine ältere Frau mit vio­let­tem Kopftuch und weiter Robe fragt vorsichtig: „Mada Masr?“ Sie zeigt auf die schwarze, verschnörkelte Tür. Diese trennt das unscheinbar wirkende Gebäude vom Straßenlärm Kairos. Es ist Ende Januar.

Im sechsten Stock hängt ein schlichtes Schild rechts neben der Tür – „Mada Masr“, einmal in lateinischen, einmal in arabischen Schriftzeichen –, außerdem eine kleine Glocke. Diese Glocke läutete am 25. November Sturm. Niemand hätte es geahnt, aber wer jeden Tag diese Türschwelle übertritt, muss mit allem rechnen. So sagen es die Menschen, die hier arbeiten.

Sie sind das, was von der unabhängigen Presse in Ägypten übrig geblieben ist. Im Jahre 2013 gegründet, arbeiten heute 35 Journalisten und Journalistinnen für das Nachrichtenportal Mada Masr, auf Deutsch „Die Weite Ägyptens“. Angesichts der um sich greifenden Repression gegen unerwünschten investigativen Journalismus scheinen die, die hier tätig sind, selbst darüber erstaunt, dass sie ihre Arbeit bislang ungehindert ausführen konnten. Das hat sich Ende November 2019 geändert, als sie in den Augen des Regimes von General Abdel Fattah al-Sisi eine rote Linie überschritten.

Am Tag des Besuchs ist von den Geschehnissen nichts zu spüren. Der Redaktionsraum ist an diesem Nachmittag mit etwa zehn Redakteuren gefüllt. Rechts davon führt eine Tür zum Raucherbalkon; dort sitzt ein Mann, gekleidet in eine hellbraune dicke Weste. Er hat seinen Laptop vor sich, der Kaffee hat sich im Glas gesetzt, er zieht an seiner Zigarette.

Der schmächtige Mann namens Shady Zalat mag, so sagt er, diesen Platz hier. Er habe den Eingang des Gebäudes gut im Blick, alle paar Minuten späht er über die hüfthohe Mauer hinunter. Zu tun hat das mit jenem Tag, als der 37-Jährige im Morgengrauen aus seinem Haus abgeführt wurde. Nicht wissend, ob er zurückkehren können würde.

Eine sensible Geschichte

Am 20. November gegen Nachmittag wurde in der Redaktion noch gescherzt. Seitdem Mada Masr den subtilen Angriffen des Regimes ausgesetzt ist, pflegen sie hier einen gewissen Galgenhumor. Jede Geschichte könnte für die Al-Sisi-Administration das Fass zum Überlaufen bringen. An diesem Tag veröffentlichten sie einen Bericht über Mahmoud al-Sisi, einen der Söhne des Präsidenten. „Es war die sensibelste Geschichte, die wir jemals brachten“, erzählt Shadys Kollege Mohamed Hamama. Die Verfasser will er deshalb nicht nennen.

Sensibel, so sagt Hamama, war sie nicht etwa, weil es die bedeutsamste Geschichte war. Was sie so heikel machte, war ihre persönliche Dimension. Mahmoud al-Sisi war als hoher Beamter im ägyptischen Geheimdienst tätig. Weil er die mediale Kontroverse während der kurzen Protestwelle im September 2019 nicht im Griff gehabt habe – dem ägyptischen Geheimdienst (GIS) sollen etliche Zeitungen und Fernsehkanäle gehören –, werde er in die ägyptische Botschaft nach Moskau versetzt, so der Bericht. Andernfalls könnte er dem Image seines Vaters schaden.

„Die Geschichte war solide“, sagt Hamama. Vier Quellen bestätigten die Information; zwei aus dem Geheimdienst. Ein Freund wandte sich kurze Zeit später besorgt an Hamama. „Das werden sie euch nicht durchgehen lassen. Darauf müssen sie reagieren.“ Er sollte recht behalten.

Vier Tage nach der Veröffentlichung versammelte sich die Redaktion um 13 Uhr. Es war ein außerordentliches Treffen. 30 Stunden zuvor wurde im Morgengrauen an die Tür von Shady Zalat geklopft. Die Beamten erklärten seiner Frau, er werde ins Sicherheitsquartier in Gizeh gebracht. Dort kam er allerdings nie an. Oft, so sagt es ­Hamama, habe sich die Redaktion eine Situation wie diese ausgemalt, denn „wer für das Nachrichtenportal arbeitet, setzt sich der Möglichkeit aus, dass so etwas nun mal passieren kann“.

Gefährlich für Journalist:innen

Repressive Gesetze und Schikanen seitens der Regierung ist man bei Mada Masr seit dem Militärputsch gegen den Muslimbruder Mursi im Jahr 2013 gewohnt. Nachdem TV-Kanäle und Zeitungen zusehends von staatlichen Institutionen aufgekauft und hernach gleichgeschaltet wurden – Reporter ohne Grenzen führt Ägypten auf Platz 163 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit –, wurde auch die Lage von Journalisten im Lande gefährlicher. Mittlerweile sitzen 24 Journalisten und vier Blogger in Haft, viele wissen nicht einmal, was ihnen vorgeworfen wird.

Abgeschaltet wurde Mada Masr zwar nicht, auf die Website gelangt man seit 2017 trotzdem nicht. Sie wurde gesperrt und ist seither nur via Facebook oder mittels technischer Hilfsmittel wie VPN oder sogenannter Mirrorsites abrufbar. „Wir sind sogar vor Gericht gegangen, um zu sehen, wer uns blockiert hat“, sagt Mohamed Hamama. Gebracht hat das allerdings nichts, bis heute haben sie keine Antworten.

Quelle      :        TAZ            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle :      Kairo, gesehen vom Minarett der Ibn Tulun Moschee

Author Berthold Werner

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