Machen wir uns nichts vor, Philosophie hatte auch damals schon bei vielen Menschen den Ruf des absoluten Laberfachs. Mir war klar, dass Leute sagen, dass man damit im Grunde nichts werden kann, außer entweder Professorin oder Taxifahrerin, und ich hatte nicht mal einen Führerschein; aber es war mir egal, ich wollte mir das angucken.
Vielleicht würde ich das Studium zu Ende bringen, vielleicht nicht. Es hieß, man bleibt damit arm, aber ich dachte mir, ich habe von meinen Eltern gelernt, wie man mit relativ wenig Geld auskommt und irgendeinen Job werde ich schon finden. Meine Hauptmotivation war: lernen, wie man auf seriöse Art über große Fragen nachdenkt. Nicht im Sinne von »ich frag mich manchmal, welchen Sinn das alles hat«, sondern richtig ernsthaft mit handwerklichen Fähigkeiten, die man erst lernen muss. Ich wollte wissen, wie es sein kann, dass bei Diskussionen manche Leute recht haben und andere nicht. Wie Argumentieren funktioniert.
Was ich an dem Fach liebte
Ich blieb am Ende dabei und machte einen Bachelor und Master und hatte das Gefühl, es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich hatte das gefunden, was ich gesucht hatte, und noch mehr. Klar zieht das Fach auch verstrahlte Laberbacken an, eitle Schnösel oder Leute, die als philosophische Werkzeuge hauptsächlich Rotwein und Joints sehen; aber das ist auch okay, bei Jura oder Psychologie sind die Leute nicht so viel seriöser.
Jedenfalls: Was ich an dem Fach liebte, war die Möglichkeit, mit nichts als dem eigenen Gehirn in Fragen voranzukommen, an die ich mich vorher nicht getraut hätte. Und es war das viele, absurd viele Lesen, bei dem man sich Fragen stellt, an die man vorher nie gedacht hätte, und die extreme Freude daran, Dinge infrage zu stellen, die selbstverständlich scheinen.
Nun weiß ich natürlich, dass manche Leute sagen werden, man merke dem, was ich heute arbeite, nicht so sehr an, dass ich mal präzises Argumentieren gelernt habe. Oder umgekehrt: Man merke, dass ich nur Laberfächer studiert habe und nichts »Richtiges«.
Das stört mich wenig, denn immerhin habe ich gelernt, wann man eine Aussage ernst nehmen muss, hehe. Ich bezeichne mich heute nicht als Philosophin und bin auch nicht der Meinung, dass es Philosophie ist, was ich in meinen Büchern oder Kolumnen mache, aber ich könnte ohne dieses Studium nicht das machen, was ich heute mache, denn ich würde es mir nicht zutrauen, ohne das, was ich im Studium gelernt habe.
Wie Sie nun sicher wissen, ist »Philosoph« oder »Philosophin« keine geschützte Berufsbezeichnung, genau wie »Denker«, »Intellektuelle« oder auch »Feministin«. Jeder und jede kann sich so nennen oder so genannt werden. Das ist auch erst mal okay so. Für manche klingt »Philosophin« oder »Philosoph« wie etwas Ehrenvolles, für manche wie etwas Peinliches. Leider scheint sich das zurzeit zu verschieben in Richtung von Letzterem.
Es gäbe so viele Fragen, die man in einer Pandemie aus philosophischer Sicht erörtern könnte: Was ist eigentlich Verantwortung? Was ist Solidarität? Welche Arten von Freiheit stehen möglicherweise im Konflikt miteinander? Wie handelt man, wenn man Entscheidungen treffen muss, aber nicht genug Wissen über die Situation hat? Wie entstehen politische Kollektive? Wie viel vom Sozialen lässt sich ins Digitale übertragen? Was sind die Aufgaben des Staates in Notsituationen? Und wie hält man es aus, dass Menschen sterben?
Den schlechten Ruf gleichmäßiger verteilen
Was wir stattdessen kriegen, sind Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler: Beide treten in der öffentlichen Debatte als Philosoph bzw. Philosophin auf, beide spielen in der akademischen Philosophie keine Rolle (außer Precht in seinen eigenen Veranstaltungen, klar), und man würde von jedem Uni-Seminar entsetztes Lachen ernten, wenn man ihre Namen auf die Literaturliste setzen würde.

Man kann Philosophie natürlich auch außerhalb der Uni und in verständlicher Sprache betreiben, aber man kann sie halt auch in den Dreck ziehen. Precht und Flaßpöhler gleichen sich darin, dass sie gern populistische Meinungen vertreten, ohne sich groß um Belege zu scheren, und beide kommen bei ihren Überlegungen mit absolut präziser Treffsicherheit am rechten Rand bürgerlichen, antiemanzipatorischen Denkens raus, egal, ob es um die Pandemie geht oder um Geschlechterrollen.
Über Richard David Prechts Beiträge zur Pandemie gab es hier im SPIEGEL vor Kurzem einen absoluten Verriss. Es ging darum, dass Precht sich ohne jegliche Fachkenntnis zu Fragen des Immunsystems äußert, vor Kinderimpfungen warnt und sich hemmungslos auf »Querdenker«-Niveau bewegt. Precht unterrichtet zwar nebenberuflich Philosophie an Hochschulen, aber die wenigsten wissen, dass er eigentlich in Germanistik promoviert hat. Er hat ganze acht Semester Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte studiert (also für damalige Verhältnisse beachtlich kurz) und dann über Robert Musil promoviert – was davon berechtigt ihn dazu, sich öffentlich über die Wirkung von mRNA-Impfstoffen zu äußern? Rhetorische Frage. »Also ich würde Kinder sowieso niemals impfen«, sagte er in seinem Podcast. Ja klar, würden Sie nicht, weil Sie halt kein Arzt sind.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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