Erstellt von Redaktion am Dienstag 28. Januar 2020
Almanis – oder wie nennen wir Kartoffeln?
Wie bezeichnet man eigentlich Deutsche ohne Migrationshintergrund? Und warum reagieren Ureinheimische so empfindlich, wenn sie „Kartoffel“ genannt werden?
„Immer dieses ihr und wir, muss man das so betonen?“ Diesen Satz höre ich in letzter Zeit oft – interessanterweise von weißen Deutschen, nachdem ich sie als „weiße Deutsche“ bezeichnet habe. „Hautfarbe und Herkunft spielen für mich keine Rolle“, erklären sie. Guter Punkt. Nur warum fällt ihnen das nicht ein, wenn sie Leute mit Zuschreibungen wie „Russlanddeutsche“ oder „Deutschtürken“ versehen? Wer diese Begriffe verwendet, müsste sich selbst konsequenterweise auch als Deutschdeutsche(r) bezeichnen. Aber die meisten finden, sie selbst seien einfach nur Deutsche.
Offenbar tun sich viele Germanennachfahren schwer damit, eine Fremdzuschreibung für ihre eigene Gruppe anzunehmen – etwas, das „ausländischen Mitbürgern“, „Migranten“ und „Personen mit Migrationshintergrund“ am laufenden Band zugemutet wird. Die Anderen werden ständig nach Wurzeln, Religionen und Stämmen sortiert. Aber wenn Deutsche ohne Migrationshintergrund in eine Gruppe eingeordnet werden, reagieren viele empfindlich. Sehr empfindlich sogar.
„Ich will nicht als weiße Deutsche bezeichnet werden, das ist auch Rassismus“, schreiben mir Leute auf Twitter. Das ist inhaltlich Quatsch und relativiert strukturelle Benachteiligung. Aber selbst Zeitgenossen, die sich als weltoffen und liberal sehen, mutieren mitunter zu dünnhäutigen Emodeutschen, wenn sie als Weiße*r, Alman oder Kartoffel bezeichnet werden. Erstaunlich viele werten das als beleidigende Diskriminierung. Warum nur?
An den Begriffen selbst kann es eigentlich nicht liegen. „Alman“ ist das türkische Wort für Deutsche*r und Kartoffel ein international beliebtes Gemüse. Nimmt man noch Biodeutsche und die altmodischen Krauts und Piefkes dazu, sind die Nachfahren der Teutonen vermutlich mit den harmlosesten und niedlichsten „Schimpfwörtern“ versehen, die ein Volk bekommen kann.
Schließlich wären Zuschreibungen wie Spargelfresser, Leberwurst oder Weißbrot kulinarisch und semantisch genauso naheliegend. Oder politisch fieser und ironischer: Deutsche mit Nationalsozialismusgeschichte oder germanische Ureinwohner oder Monokulturdeutsche – in logischer Anlehnung an die Begriffe, die man den „Anderen“ gibt. Aber nach zwei Weltkriegen will vielleicht niemand mehr Deutsche provozieren. Jedenfalls: Harmloser kann man es mit Fremdzuschreibungen kaum treffen
Trotzdem meldete sich vor zehn Jahren die damalige Familienministerin Kristina Schröder und erklärte, wenn nichtbiodeutsche Kinder andere Kinder auf dem Schulhof „deutsche Kartoffel“ nennen, sei das Deutschenfeindlichkeit und ein bundespolitisch ernst zu nehmendes Thema. Spätestens seit damals steht die Knolle unter einem diskursiven Diskriminierungsverdacht. Zu unrecht, wie ich finde. Natürlich ist es völlig inakzeptabel, wenn Kinder so gemobbt werden. Aber es werden auch Schüler*innen als „Jude“, „Türke“ oder „schwul“ beschimpft und wir schreiben die Begriffe nicht gleich ab.
Es zählt, was andere sagen
Außerdem geht es nur um Alltagssprache. Niemand würde in einem amtlichen Papier oder Parteiprogramm „Almanis“ schreiben oder bei der Polizei „kriminelle Kartoffel“ vermerken. Anders bei den Fremdzuschreibungen, die Millionen von Menschen ungefragt zu Nafris, Flücht-„lingen“, Migranten oder Muslimen erklären: sie sind oft amtlich und finden sich in Studien, Statistiken und den Medien wieder.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
————————————————————-
Grafikquellen :
Oben — „Heart“-shaped potato 😉 – (Solanum tuberosum) Foto taken by Lumbar 17:16, 6 November 2005 (UTC) in Osnabrück, Germany…
————————————————–
Unten — Ferda Ataman (deutsche Journalistin und Kolumnistin) bei der Podiumsdiskussion beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019…
Erstellt am Dienstag 28. Januar 2020 um 10:31 und abgelegt unter Asien, Deutschland_DE, Kultur, Positionen.
Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed.
Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.