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Politikum – Erschöpfung

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 22. Dezember 2021

Was fehlt, ist Empathie, Nähe, Zuwendung – Anstand – statt Abstand

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Das alles begreifen Politiker-Innen nie- sie wollen nur Geld und Macht

Ein Schlagkoch von Georg Diez

In Zeiten der Pandemie macht sich Einsamkeit breit. Die psychischen Folgen sind ein soziales Phänomen, für das es entsprechende Lösungen braucht.

Erschöpfung ist politisch. Auch – und gerade – weil dieser Umstand nicht so benannt wird. Die Erzählung ist eine andere, die Zeiten sind andere: Du bist müde, heißt es. Du schaffst es nicht. Aber du kannst es schaffen. Wenn du dich nur anstrengst. Wenn du dich nur zusammenreißt. Es liegt an dir. Wir anderen schauen zu. Uns geht es ja gut. Es ist deine Entscheidung.

Diese Erzählung ist Gegenwartsmythologie, sie erschafft Realität. Einzelne verhalten sich danach, die Gesellschaft orientiert sich daran. Das hat Folgen: Im Persönlichen bedeutet es, dass sich Fragen nach Druck, Veränderung, Leere, Perspektivlosigkeit als Makel erweisen, als eigenes Verschulden. Im Sozialen bedeutet es, dass die Organisation des Leidens, das gegenseitige Helfen, die Wärme und Würde skeptisch gesehen werden.

Es fehlen vielen die Vorstellungen, wie ein besseres Miteinander gestaltet werden könnte. Die Orte des Sozialen sind geschrumpft, Vereine, Gewerkschaften, Kirchengemeinde. Gemeinsamkeit wird in den Konsum ausgelagert, die Shoppingmall als Kirche. Es fehlen die Institutionen, wie empathisch, offen, nah andere gesellschaftliche Zusammenhänge hergestellt werden können, wie Hilfe geht.

Psychische Gesundheit, hat Geoff Mulgan gesagt, der lange die britische, staatlich gegründete und finanzierte Innovations-Agentur Nesta geleitet hat und heute unter anderem Fellow an The New Institute ist, psychische Gesundheit ist im 21. Jahrhundert ein Thema wie soziale Ungleichheit oder Teilhabe es im 19. und 20. Jahrhundert waren und bleiben – in Problemen der psychischen Gesundheit bündelt sich gesellschaftliche Unwucht.

Erschöpfung also als soziales Phänomen – in Zeiten von Corona am Ende dieses Jahres eine verbreitete Erfahrung – wird damit zu einer politischen Frage, einer Frage von Macht und Interessen, einer Frage von Verantwortung und Veränderung. Es geht darum, psychische Gesundheit insofern zu politisieren, als sie eben keine individuelle Herausforderung ist, sondern zu einer Herausforderung für den gesellschaftlichen und damit demokratischen Zusammenhalt geworden ist.

Was das konkret bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus Großbritannien, aus der Stadt Frome. Es geht dabei um eine andere gesamtgesellschaftliche Erkrankung, denn Erschöpfung ist nur ein Symptom – es geht um Einsamkeit, ein „globales Gebrechen“, wie es die New York Times nennt, die auch über die Lösungen berichtet, die in Frome entwickelt wurden und die Modellcharakter haben von Hongkong bis Kolumbien, von Australien bis nach Dänemark.

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Ein Kerngedanke dabei ist, dass Einsamkeit erst einmal als medizinisches Problem gesehen wird und damit als solches angegangen wird – angefangen mit dem lokalen Krankenhaus, der Frome Medical Practice, die sich um das emotionale Wohlergehen der Pa­ti­en­t*in­nen kümmert, indem Verbindungen zu lokalen Freiwilligen- oder Selbsthilfegruppen hergestellt werden, wobei es um so banale wie essenzielle Dinge geht wie Kochen, das Leben mit der Digitalisierung, gemeinsames Gegenwartserlernen, gerade für Ältere.

In Frome hat sich darüber hinaus eine lokale informelle Infrastruktur entwickelt, die den Polis-Charakter der Politik betont, also die Frage danach, wie wir in einem städtischen Kontext zusammenleben – konkret sind das Ideen wie der „Gemeinschaftskühlschrank“, wo man sich Essen abholen kann, der Frome Coat Rack, wo es Mäntel und andere Kleidungsstücke umsonst gibt, und die Talking Bench, wo jeden Mittwochmorgen Freiwillige warten und mit jedem reden, der oder die das braucht.

Allein dieses Bedürfnis schon, das Formulieren dieser Notwendigkeit, das Benennen dieses Mangels, bedeutet eine entscheidende Veränderung in der mentalen Infrastruktur der kleinen Stadt – in der Beschreibung durch die New York Times wird eine wache Zärtlichkeit deutlich, wie sie entsteht, wenn Menschen aufeinander achten und die gegenseitige Schwäche wahrnehmen, anerkennen, aussprechen. Es ist ein anderes Verständnis von Politik und Gemeinsamkeit jenseits von Parteipolitik oder Interessen, sehr praktisch und menschenfreundlich.

Quelle        :           TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Charleroi (Belgique) – Station Janson du métro légerLes Psy.

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