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Pariser lieben das Drama

Erstellt von Redaktion am Dienstag 13. Oktober 2020

Was kann die Serie „Emily in Paris“?

Paris - Boulevard Richard-Lenoir - 01.jpg

Kolumne von Annabelle Hirsch

Unsere Autorin wohnt seit kurzem mehr in Rom als in der französischen Hauptstadt. Gegen das Vermissen hilft ihr ein klischeebeladener Netflix-Hit.

Seit sechs Wochen lebe ich nur noch wenig in Paris und die meiste Zeit in Rom. Dieser Umzug hat, davon abgesehen, dass diese Kolumne womöglich umbenannt werden muss, viele Vorteile. Zum Beispiel den, dass man Platz zum Leben hat, und zwar ohne sich komplett zu ruinieren.

Bisher saß ich in knapp drei Quadratmetern über dem lauten Boulevard Richard Lenoir, an dem erst vor zwei Wochen erneut eine Messerattacke stattfand. Jetzt sitze ich in einem dreimal so großen Zimmer und schaue auf einen Orangenbaum.

Das angeblich so wilde Chaos von Rom hält sich im Vergleich zu unserem Ausgangspunkt, also Paris, schwer in Grenzen, insgesamt wirkt alles, trotz steigender Covidzahlen und Maskenpflicht in allen Außenbereichen, recht sanft, ruhig, überschaubar und eben, wie man sich das so vorstellt, sehr schön.

Alles prima also, trotzdem fehlt mir Paris. Dieses Paris, von dem alle Freunde am Telefon meinen, es sei „schrecklich“, „unerträglich“, die Stimmung „SO schlecht“, wir hätten ja „SO recht gehabt, jetzt abzuhauen“, und so weiter. Das ist ja nichts Neues. Das Leben in Paris erscheint den Parisern ja meist als permanentes Drama, als Ansammlung von unüberwindbaren Problemen, trotzdem bleiben sie, daraus wird man nicht schlau, es ist eben so.

Das Dauerdrama und der Pathos, der für „tout et n’importe quoi“ aufgefahren wird, fehlen mir nicht, die Stadt aber eben schon, also dachte ich, ich schaue die Serie über die zur Zeit alle reden, oder besser gesagt alle streiten: „Emily in Paris“. Seit einer Woche steht die Serie, die von den Abenteuern der jungen Amerikanerin Emily in einem Postkarten-Paris erzählt, auf Platz eins der französischen Netflix-Seiten.

Wäre man ein bisschen gemein, würde man jetzt sagen, die Franzosen suchen jetzt, wo sie so viel zu Hause rumsitzen müssen, nach Empörungsmaterial, einem Grund, sich aufzuregen, den sie normalerweise auf der Straße, in der Metro oder im Café finden würden: Immerhin handelt es sich bei dem Erfolg der Serie um reinen „hate watch“. Alle schauen es, um sich darüber zu echauffieren wie, pardon, scheiße es ist.

Wie unrealistisch, wie klischeebeladen, wie schlecht die Franzosen darin wegkommen, wie unverschämt es sei, sie als faul, dauerflirtend, ein bisschen dreckig, untreu, altmodisch und unfreundlich darzustellen, und überhaupt: Paris ist gar nicht so schön! Wo bleiben bitte der Dreck und die Ratten? Und die Banlieues? Und der RER B?

Quelle      :        TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —  Le boulevard Richard-Lenoir à Paris (France)

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Unten          —       Orangenblüte und Orange.

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