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Orientalische Luftschlösser

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 7. März 2023

Probleme zwuschen  der toxischen Männlichkeit und Migration

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Dort wo Paschas versammelt sind, ist der Sauerländer mitten unter uns.

Ein Debattenbeitrag von FIKRI ANIL ALTINTAŞ

Nach der Silvesternacht die Empörung. Deutschland gerät mal wieder aus den Fugen, und die Verantwortlichen sind schnell ausgemacht. Die Debatten über junge Männer aus der vermeintlichen Parallelgesellschaft, die aus der Bildungsferne ins Leben blicken, sind schon immer mühselig gewesen. Auch jetzt wieder. Wenn Friedrich Merz von „kleinen Paschas“ redet, die sich in den Schulen nicht im Griff hätten, Jens Spahn von „kulturell vermittelter toxischer Männlichkeit“ spricht, dann ist eine Intervention notwendig: für eine antirassistische und feministische Neuausrichtung von Männ­lich­keits­per­for­mance.

Denn die Debatten verlieren sich in der unermüdlichen Wiederholung bekannter Vorwürfe, weißer Ignoranz und bewusstem Desinteresse von Po­li­ti­ke­r*in­nen an Lebensrealitäten marginalisierter Menschen in Deutschland. Das Credo der Mehrheitsgesellschaft: Manche Männlichkeiten sind einfach nicht dazu gemacht, sich zu verändern.

Nicht in der Lage, sich aus ihrer vermeintlich festgefahrenen, antifeministischen Kultur und Religion zu befreien, die ihnen ultimative toxische Männlichkeit vorlebt. Die Debatten nach den Silvesternächten in Berlin oder Köln sind mittlerweile verankerte Politik. Racial Profiling, Rufe nach Law and Order und auch die rassistischen Morde von Hanau zeigen das nur zu deutlich.

So groß das Problem ist, so einfach scheint die Lösung: Toxische Männlichkeit wird in alter deutscher Tradition auf Mi­gran­t*in­nen abgewälzt. Wer so denkt, hat nichts kapiert. Toxische Männlichkeit kann nicht durch Recht und Ordnung „gelöst“ werden, es braucht zunächst ein Eingeständnis: Das Patriarchat betrifft auch Männer, und durch sie viele andere Menschen in ihrem Umfeld, die Gewalt erfahren. Mich macht es müde und wütend, dass das noch immer nicht überall angekommen ist.

Toxische Männlichkeit als gesamtgesellschaftliches Problem

Wer Männlichkeit verändern will, muss das als gesamtgesellschaftliches Problem begreifen. Männ­lich­keits­vorstel­lungen ändern sich ständig – oft auch zum Guten: Immer mehr Männer sprechen öffentlich über die Auswirkungen von Männlichkeit auf ihre Gesundheit und ihr Umfeld, wie der Fußballer Timo Baumgartl nach seiner Hodenkrebserkrankung. Selbst Bundeskanzler Scholz spricht von sich als Feminist. Vielen Männern scheint auch durch #aufschrei und #MeToo zumindest ein wenig die Augen geöffnet worden zu sein.

Vieles bewegt sich aber auch in eine Richtung, die eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Im März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, sprach Tobias Haberl in einem Spiegel-Artikel davon, dass „Pesto nicht vor Pistolen“ schütze. In den Medien wurden plötzlich Stimmen lauter, man müsse die Wehrpflicht wieder aufleben lassen, denn die Verweichlichung würde nicht nur den Männern schaden, im Zweifel auch Deutschland und Europa.

Republikanische Politiker haben immer gerne gezeigt woran es ihnen im Kopf felt.

Das klingt nach Björn Höckes „Männlichkeit wiederentdecken“, nur in bürgerlich. Misogyne Figuren wie der Influencer Andrew Tate und der Psychologe Jordan Peterson erhalten online viel Zuspruch. Davon profitiert die AfD, die Hort vieler „Männerrechtler“ ist. Und selbst Rapper wie Kollegah gaben „Alpha-Mentoring“-Coachings für verunsicherte Männer.

Jeder dritte Mann hier hat ein sexistisches Weltbild

Die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studien 2022 unterstreichen diese Entwicklung. Jeder dritte Mann in Deutschland hat ein geschlossenes, antifeministisches und sexistisches Weltbild. Kaum Aufregung darüber, im Gegenteil: Einfache Antworten für komplexe Sachverhalte zu finden, ist bequem, denn das heißt: An Männlichkeit muss sich nichts ändern, nur die Männlichkeit nichtweißer Männer ist ein Problem.

Deutschland spricht in kolonialrassistischer Kontinuität oft und gern von Menschen wie mir und dem „Orient“ – als sei er ein Familienmitglied, mit dem ich jeden Tag telefoniere, um zu beraten, wie ich heute Deutschland auf den Sack gehen könnte. Der Orientalismus ist ein Luftschloss, auf das eine weiße Mehrheitsgesellschaft gerne blickt, wenn sie erklären will, warum ich, durch Religion und Kultur gefangen, hinter deren Mauern zu stecken scheine. Männlichkeiten sind auch immer Ergebnis sozialer Bedingungen, aber das scheint wenig zu interessieren. Unsere Männlichkeiten sind lediglich Probleme, die es zu beseitigen gilt.

Quelle           :           TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben      —      Tausendundeine Nacht von Gustave Boulanger (1873)

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