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Petitionen gegen Abtreibung

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 7. August 2021

Angriff der christlichen Fundis

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Von Anne Fromm, Luise Strothmann, Patricia Hecht und Sebastian Erb

Die rechtskonservative Plattform CitizenGo kämpft europaweit gegen Abtreibung und mehr LGBTIQ-Rechte. Ein Datenleak zeigt, mit wessen Geld.

Der Brief, den der russische Oligarch Konstantin Malofejew im Jahr 2013 bekommt, beginnt förmlich. „Ich danke Ihnen sehr für die Möglichkeit, Ihnen persönlich unsere Idee von CitizenGo zu präsentieren“, steht dort. Geschrieben hat ihn der spanische Antiabtreibungsaktivist Ignacio Arsuaga. Er braucht Geld. Und der Oligarch Malofejew hat Geld.

Konstantin Malofejew pflegt enge Kontakte zur russisch-orthodoxen Kirche und dem Präsidenten Wladimir Putin. Er organisiert Kongresse für Abtreibungsgegner*innen, Homosexualität setzt er gleich mit Sodomie. Die Demokratie lehnt er ab und hat beste Kontakte in die rechten Parteien Europas. Für Arsuaga ist er der perfekte Geldgeber. Der Aktivist will eine internationale Kampagnenplattform aufbauen, die gegen Abtreibung kämpft, gegen die Gleichstellung von Homosexuellen und gegen die Ehe für alle.

Er plant nicht irgendeine Plattform. CitizenGo soll „die einflussreichste internationale christlich inspirierte Mobilisierungswebsite“ werden, so schreibt es Arsuaga im April 2013 an Malofejew. Eine, die „nationale Regierungen, Parlamente und internationale Institutionen effektiv beeinflusst“. Er bittet um 100.000 Euro Anschubfinanzierung. Wenig später, so legen es interne Schreiben von CitizenGo nahe, steigt Malofejew ein.

Der Brief an Konstantin Malofejew ist eines von rund 17.000 Dokumenten, die die Enthüllungsplattform Wikileaks am Donnerstagabend veröffentlicht hat. Die taz und andere Medien in Spanien, Italien und Mexiko konnten sie vorab einsehen, prüfen und auswerten. Es handelt sich wahrscheinlich um Material, das ursprünglich von einer Hackergruppe stammt. Die begründete ihren Angriff auf CitizenGo damit, die Rechte von Schwulen, Lesben, Queers, trans und inter Personen (LGBTIQ) verteidigen zu wollen. Laut Aussage von CitizenGo auf ihrer Website hatten sich Ha­cke­r*in­nen im Jahr 2017 Zugang zu Ordnern des Präsidenten der Organisation, Ignacio Arsuaga, verschafft. Die Dokumente beinhalten Adresslisten, Finanzberichte und Strategiepapiere vom Anfang der 2000er Jahre bis 2017.

Rechtlich ist CitizenGo eine in Spanien eingetragene Stiftung. Die Plattform setzt sich für das Leben, die Familie und die Freiheit ein, so steht es auf der Website. Intern ist die Darstellung deutlicher – und martialischer. Die Organisation sieht sich in einem Kulturkampf, einem Kampf zwischen der Kultur des Lebens und der Kultur des Todes. In einem Kampf Gut gegen Böse.

Die Bösen, das sind für CitizenGo die Laizisten. Deren Ziel sei es, die Macht zu übernehmen, um einen neuen Totalitarismus aufzubauen. So kann man es in Strategiepapieren aus der Gründungszeit der Organisation nachlesen. Die Guten, das sind die wahren Christen, die den Kampagnen der globalen Linken etwas entgegensetzen. Deswegen will die Organisation Einfluss nehmen auf die Politik in der ganzen Welt. Sie hat vor, „eine Generation von konservativen Führern“ aufzubauen, national und international.

Die große Niederlage

Mit den Dokumenten über den Anfang von CitizenGo und Recherchen über das, was danach geschah, lässt sich das Bild einer Bewegung zeichnen, die in den vergangenen zehn Jahren profes­sio­neller und internationaler geworden ist. Es geht um Aktivist*innen, die weltweite Netzwerke von Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen knüpfen. Um eine Organisation, die die Daten von Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen und LGBTIQ-Gegner*innen als Währung entdeckt und dabei das Gesetz bricht. Es geht um Verbindungen zu rechtsextremen Parteien. Und es geht um Einfluss auf das Europäische Parlament, das an den Gesetzen für 447 Millionen Menschen in Europa arbeitet.

Einen ersten Erfolg feiert CitizenGo schon wenige Monate nach der Gründung, Ende 2013. Das EU-Parlament soll über ein Papier abstimmen, in dem es sich dazu bekennt, dass allen Eu­ro­päe­r*in­nen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Sexualaufklärung zusteht. Dreimal steht das Papier zur Entscheidung, dreimal wird es abgelehnt. Das ist eine derbe Niederlage für viele Sozialdemokrat*innen, Linke und Liberale im Europaparlament.

Wie hat es eine gerade erst gegründete Organisation geschafft, das Parlament derart zu beeinflussen? Erstens ist CitizenGo nicht allein, sondern Teil einer Allianz fundamentalistischer Gruppen, die in dieser Zeit entsteht. Und sie testen etwas Neues: Sie fluten die Posteingänge der Abgeordneten mit E-Mails und starten Onlinepetitionen. Innerhalb kürzester Zeit sammelt CitizenGo Tausende Unterschriften gegen den Vorschlag. Diese Graswurzelmobilisierung ist für die europäische Rechte bis zu diesem Zeitpunkt beispiellos. Der härteste Gegenspieler von CitizenGo vergleicht den Effekt mit dem Schuss aus einer mächtigen Waffe.

„Wenn du eine große Kanone hast und sie zum ersten Mal abfeuerst, läuft jeder erst mal verängstigt weg“, sagte Neil Datta damals über die Wirkung der Petitionen. Datta, 50 Jahre alt, arbeitet mit seiner Organisation in Brüssel gegen die Pläne von CitizenGo. Er ist Experte für sexuelle Selbstbestimmung, ein Lobbyist der anderen Seite.

Neil Datta, Lobbyist für sexuelle Selbstbestimmung

„Wenn du eine große Kanone abfeuerst, läuft jeder erst mal verängstigt weg“

Datta leitet das Europäische Parlamentarische Forum. Es wird unter anderem von den Vereinten Nationen und der Bill & Melinda ­Gates Foundation finanziert. Das Forum vernetzt EU-Parlamentarier*innen zum Thema reproduktive Rechte; das sind Rechte, die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung betreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Geschlechtsidentität und auch Schwangerschaftsabbrüche.

Dass das Europäische Parlament 2014 gegen diese Rechte gestimmt hat, ist für Neil Datta eine seiner größten Niederlagen. Im Juni 2021 trifft ihn die taz zum Gespräch per Video. Den Aufstieg von CitizenGo beobachtet er genau, denn für ihn ist die Gruppe „der wichtigste gesellschaftliche Mobilisierer zu Antigenderthemen in Europa“.

Die taz hat mehrfach versucht, mit CitizenGo in Kontakt zu treten. Die Organisation hat nicht reagiert.

Die Macht der Rechten ist gewachsen

Im Frühjahr 2021 sieht es so aus, als könnten die Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen ihren Coup von 2013/2014 wiederholen. Wieder stimmt das EU-Parlament ab, dieses Mal geht es darum, dass alle Eu­ro­päe­r*in­nen­ frei­en Zugang zu Abtreibung und Sexualaufklärung haben sollen.

Das Papier, über das die Abgeordneten entscheiden werden, heißt Matić-Report – benannt nach dem kroatischen Sozialdemokraten Predrag Matić, der den Bericht in das Parlament eingebracht hat. Die Abstimmung ist für den Sommer geplant. Aus der Sicht von CitizenGo ist der Report ein weiterer Versuch des Bösen, die Herrschaft in Europa zu übernehmen.

Für die Be­für­wor­te­r*in­nen des Reports geht es ebenfalls um sehr viel. Auch wenn die Entschließung des Parlaments nicht bindend ist, so schafft sie doch ein Fundament für Politik. Sie kann sich auf Förderungen auswirken und auf Beitrittsverhandlungen. Einfach so werden sie den Bericht aber nicht durchkriegen. Sie müssen kämpfen.

Denn die Chancen von CitizenGo, Einfluss auf die europäische Politik und damit auf die Menschen zu nehmen, die in der Europäischen Union leben, sind dieses Mal ungleich größer als acht Jahre zuvor. Sie wirbt mittlerweile damit, mehr als „15 Millionen aktive Bürger“ zu vertreten. Überprüfen lässt sich die Zahl zwar nicht. Fest steht laut unseren Recherchen aber: Die Reichweite von CitizenGo ist gewachsen. Und: Europa hat sich verändert. In Polen ist Abtreibung de facto verboten. Ungarn macht Politik gegen queere und trans Menschen. Selbst in Deutschland führen immer weniger Frau­en­ärz­t*in­nen Abtreibungen durch. Vor der Abstimmung des Matić-Reports ist klar: CitizenGo wird alles tun, damit er abgelehnt wird.

Dass die Organisation solchen Einfluss auf die europäische Politik nehmen kann, liegt unter anderem daran, dass sie verschiedene Szenen der religiösen Rechten zusammenbringen kann. Gegründet wird CitizenGo 2012. Konservative Chris­t*in­nen aus der ganzen Welt treffen sich damals zum World Congress of Families in Madrid, einem jährlichen Szeneereignis der christlich-fundamentalistischen Bewegung gegen Abtreibung und gegen Rechte von LGBTIQ. Auf diesem Kongress, so wird es Ignacio Arsuaga, der Gründer von CitizenGo, später an den potenziellen russischen Geldgeber Konstantin Malofejew schreiben, „haben wir realisiert, wie wichtig es ist, dass wir das Graswurzellobbying für Pro-Life und Pro-Family besser koordinieren und unterstützen“.

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Der Influencer des A. Laschet ?

Der Spanier Arsuaga, Jahrgang 1973, ist Jurist, er hat für Kanzleien gearbeitet und eine Social-Media-Agentur gegründet. Mit zwei Freunden ruft er bereits Jahre zuvor die Initiative Hazte Oír ins Leben mit der sie ihren politischen Forderungen Gehör verschaffen wollten. Das Mittel schon damals: Onlinepetitionen. In Spanien läuft das sehr gut. Jetzt soll es noch größer werden, professioneller und vor allem: international. Ihr Name: CitizenGo.

Was Ignacio Arsuaga vorschwebt, ist eine Plattform, die unentwegt Petitionen lanciert und Unterschriften sammelt. Die Vorbilder sind eher linke und alternative politische Plattformen wie Avaaz und Change.org. Arsuaga ist ehrgeizig: Innerhalb von einem Jahr soll CitizenGo eine Million Mitglieder haben.

Er scheint Erfolg zu haben.

Ab 2013 tourt Arsuaga durch die Welt und stellt ausgewählten Leuten die Idee von CitizenGo vor. „Wir verteidigen kraftvoll die Werte des Lebens, der Familie und der Freiheit“, so steht es in einer Powerpoint-Präsentation. Für das Kuratorium gewinnen sie neben einem Vertrauten des russischen Oligarchen Malofejew einen Berater des Vatikans, einen Funktionär der christlichen Rechten in den USA – und den italienischen Politiker Luca Volonté, der bis 2013 Chef der EVP im Europarat war und sich von zwei aserbaidschanischen Politikern bestechen ließ.

Das Geld kommt aus Deutschland

Die Großspender geben den Anschub, das Fundament von CitzenGo werden Klein­spen­de­r*in­nen aus der ganzen Welt, viele von ihnen aus Spanien und Lateinamerika. Allein im Jahr 2020 hat die Organisation mehr als vier Millionen Euro Spenden eingesammelt.

Die Deutschen sind laut einer internen Präsentation besonders großzügig. Wer die Menschen sind, die für den Aufbau der deutschen Sektion spenden, lässt sich in einer Liste von 2015 nachlesen. Es ist vor allem das westdeutsche katholische Bürgertum, keine prominenten Namen: katholische Pfarrer, ein Mann, der kurz darauf in einem Kreisvorstand der AfD sitzt, ein Katholik, der in einem Leserbrief an die FAZ Polen dafür gratuliert, dass es Abtreibungen verbieten will. Mehr als 175.000 Menschen aus Deutschland werden Anfang 2016 als Mitglieder bei CitizenGo geführt, gut 3,2 Millionen Mitglieder weltweit.

CitizenGo wird Teil einer Szene, die sich erfolgreich vernetzt, vor allem international. Ihre Ak­teu­r*in­nen reisen durch die Welt, sprechen auf Konferenzen, organisieren Netzwerktreffen von Pro-Life-Vereinen. Auf Einladungen zu diesen Treffen stehen Hinweise wie „No journalists!“ oder „This meeting is strictly confidential“. Die Öffentlichkeit soll nicht merken, wie die sogenannte Lebensschutzbewegung wächst. Und: Diese Bewegung ist nicht allein. Die sogenannten Lebensschützer, bei denen sich christliche Fundamentalisten, Evangelikale und gemäßigte Konservative finden gehen mit Rechten und extremen Rechten eine Allianz ein.

Slogan auf dem „Bus der Meinungsfreiheit“, den CitizenGo auf Tour geschickt hat

„Stoppt übergriffigen Sexunterricht – schützt unsere Kinder“

Das Thema Geschlechterpolitik funktioniert dabei als Scharnier. Es ist anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte – darauf, dass „Gender­gaga“ irgendwie zu weit gehe, können sich viele einigen. Zum anderen ist Geschlechterpolitik ein Kernthema von Rechten. Eine rechte Politik ist ohne die Kontrolle des weiblichen Körpers nicht denkbar. Schließlich geht es dabei auch um Reproduktion und damit schnell um Bevölkerungspolitik.

CitizenGo erkennt, wie viele Menschen sich mit dem Thema ansprechen lassen, und macht sich das zunutze. Die Petitionen, die die Stiftung lanciert, berühren verschiedene Gesellschaftsbereiche. Eine richtet sich gegen Netflix, weil eine Zeichentrickserie dort angeblich Jesus verhöhnt. Eine andere unterstützt das umstrittene Anti-LGBTIQ-Gesetz in Ungarn, das die positive Darstellung von Schwulen und Lesben, trans und inter Personen in der Öffentlichkeit verbietet.

Der Brüsseler Lobbyist Neil Datta hat analysiert, woher das Geld kommt, das die antifeministische Bewegung in Europa investiert. Dafür hat er Finanzberichte zu 54 Organisation für die Jahre 2009 bis 2018 ausgewertet. 707,2 Millionen US-Dollar seien demnach in die Arbeit der Gruppen geflossen, Tendenz steigend. Das Geld russischer Oligarchen fließt genauso nach Europa wie das konservativer Chris­t*in­nen aus den USA mit Verbindungen zur Trump-Regierung. Aber: Der größte Teil des Geldes stammt aus der EU selbst.

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Mit dieser Finanzmacht werden Büros in der Nähe europäischer Institutionen finanziert, Kampagnen geplant und Jurist*in­nen bezahlt, die in Polen Gesetzesentwürfe mitschreiben oder progressive EU-Politik vor Gerichten anfechten.

33 Millionen Dollar für die Kampagnen

CitizenGo und seine spanische Vorgängerorganisation Hazte Oír gehören laut Dattas Zahlen zu den mächtigsten Finanziers von antifeministischen Kampagnen in der EU. Zwischen 2009 und 2018 haben die beiden Organisationen zusammen knapp 33 Millionen US-Dollar in ihre Kampagnenarbeit gesteckt.

Die Kampagnen von CitizenGo beschränken sich nicht auf das Internet. Im Jahr 2017 schickte die Stiftung einen orangefarbenen Bus durch europäische Länder. Der „Bus der Meinungsfreiheit“ machte halt in München, Köln und Berlin. An seiner Seite prangte der Spruch „Stoppt übergriffigen Sexunterricht – schützt unsere Kinder“, dazu das Logo von CitizenGo.

CitizenGo ist nach Dattas Einschätzung auch die Organisation innerhalb der antifeministischen Bewegung, die sich am erfolgreichsten internationalisiert und ihre Strategien an die Gegenwart angepasst hat. Früher haben überzeugte Chris­t*in­nen mit Gott argumentiert. Heute sind sie viel erfolgreicher, wenn sie ihre Aussagen säkularisieren. Heraus kommt eine Sprache, die nach der Verteidigung von Menschenrechten klingt, aber noch dieselben christlich-fundamentalen Ideen enthält. Pro-Life statt „gegen Abtreibung“. Pro-Family statt „gegen Ehe für alle“.

Quelle       :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Armin Laschet beim Programmausschuss der CDU Rheinland-Pfalz am 23. Januar 2021.

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2.) von Oben       —     Nathanael Liminski beim Grimme-Preis 2018, am 13.04.2018 in Marl.

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