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Offener Brief BAK Nahost

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 10. Januar 2019

an DIE LINKE im EP zum Hearing „Boycott, divestment, and sanctions“ der GUE/NGL-Fraktion im EP

Quelle    :  Scharf – Links

DIE LINKE. – Bundesarbeitskreis Gerechter Frieden in Nahost

Offener Brief

An die

Delegation DIE LINKE im Europaparlament

z.Hd. Martin Schirdewan

Protest gegen Eure Erklärung[i][1] zur Veranstaltung der „European United Left/Nordic Green Left“-Fraktion im Europaparlament „Boycott, divestment, and sanctions: achievements and challenges“[ii][2] am 4. Dezember 2018

4. Januar 2019

Liebe Genossinnen und Genossen!

Mit Unverständnis und zugleich großem Entsetzen haben Sprecherinnenrat und Mitglieder des Bundesarbeitskreises „Gerechter Frieden in Nahost“ von Eurem Boykott des GUE/NGL-Hearings zu „Ergebnissen und Herausforderungen der BDS-Bewegung“ mit Omar Barghouti am 4. Dezember 2018 Kenntnis erhalten. Ob nun gewollt oder nicht, reiht Ihr Euch damit in die Phalanx jener in Deutschland ein, die jegliche Affinität zu dieser Bewegung als Vorwand nutzen, um berechtigte Kritik an der israelischen Palästina-Politik aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen. Indem unter dem Slogan „Gegen Antisemitismus! Gegen BDS!“ Auftrittsverbote von Personen ausgesprochen, die Bereitstellung von Räumlichkeiten verweigert oder auch diesbezügliche Fachveranstaltungen an Hochschulen inquisitorisch beleuchtet werden.[iii][3]

Die BDS-Kampagne wurde am 9. Juli 2005 von der palästinensischen Zivilbevölkerung ins Leben gerufen und von 170 palästinensischen Gruppen unterstützt. Die Bewegung ruft dazu auf, weitgreifend Boykott und Investitionsentzug gegen den Staat Israel durchzusetzen.

Diese gewaltlosen Maßnahmen sollen solange aufrecht erhalten bleiben, bis der Staat Israel seinen Verpflichtungen gemäß internationalem Recht nachkommt und, wie in zahlreichen UN-Resolutionen gefordert, die Besetzung palästinensischer und syrischer Gebiete beendet, die systematische Diskriminierung der Palästinenser*innen im besetzten palästinensischen Gebiet und in Israel selbst einstellt und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge gemäß UN-Resolution 194 zulässt.

Daraus ist ganz klar ersichtlich, dass sich die BDS-Bewegung gegen die völkerrechtswidrige israelische Politik richtet und nicht gegen Juden*. Der Vorwurf des Antisemitismus ist also völlig unangebracht.

Vielmehr sollte sich gerade DIE LINKE entschieden gegen völkerrechtswidrige Politik engagieren. Denn „DIE LINKE erachtet als internationalistische Partei das Völkerrecht und die Vereinten Nationen als wichtigste Institution für die friedliche Verständigung zwischen den Staaten und Gesellschaften der Erde“ (DIE LINKE, Erfurter Programm).

Das Recht zum Boykott Israels, ist bereits vielfach anerkannt worden: so 2016 von 358 Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften und politischen Parteien[iv][4], von der Europäischen Union – vertreten durch Frederica Mogherini, der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik – auf Anfrage von 30 Mitgliedern des Europäischen Parlaments[v][5], von über 40 weltweit vertretenen jüdischen Organisationen[vi][6], von 200 europäischen Rechtsgelehrten[vii][7], vom Verwaltungsgericht Oldenburg am 27. September 2018[viii][8] und von vielen Einzelpersonen.

Man mag zu dieser auf spezielle Initiative von Omar Barghouti ins Leben gerufenen BDS-Bewegung stehen, wie man will, aber eines ist doch wohl nicht zu ignorieren – schon gar nicht aus linker Sicht:

Deren Entstehen und Wirken steht in untrennbarem Zusammenhang mit der seit einem halben Jahrhundert anhaltenden israelischen Okkupation des völkerrechtlich definierten palästinensischen Territoriums und mithin zielstrebigen Unterlaufens der Zwei-Staaten-Lösung. Woran auch westliche Politik insofern entscheidende Mitverantwortung trägt, als sie – abgesehen von stets folgenlosen Statements – jahrzehntelang die Augen davor verschlossen hat, dass Israel mittels seiner stabsmäßig betriebenen Siedlungspolitik die territorialen Grundlagen für die Realisierung auch des Existenzrechts eines Palästina-Staates an seiner Seite systematisch untergraben hat. Solange dieser Okkupationszustand fortbesteht und das legitime Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen missachtet wird, werden auch Initiativen, wie die als Mittel gewaltlosen Widerstandes konzipierte BDS-Bewegung, weder durch Verbote noch andere Formen der Diskriminierung zu unterbinden sein.

Die BDS-Bewegung kann nur ihren Sinn verlieren, wenn Israel seine Okkupationspolitik gegenüber den Palästinenser*innen beendet und sich endlich zur Einhaltung des Völkerrechts bei der Lösung der Palästinafrage bereit zeigte. Das heißt insbesondere zur Respektierung eines lebensfähigen, souveränen Palästina-Staates in den Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem an der Seite Israels. Angesichts deutscher antisemitischer Vergangenheit leitet sich gleichfalls eine besondere Verantwortung gegenüber den Palästinenser*innen ab. Sie sind es, die einen Großteil unserer aus der Geschichte herrührenden Verantwortung gegenüber den Juden* zu begleichen haben. Lediglich ein Fünftel des historischen Palästina käme ohnehin nur noch für den palästinensischen Staat in Frage. Ginge es jedoch nach den Plänen der reaktionärsten Vertreter der israelischen politischen Klasse, so würde es niemals einen palästinensischen Staat geben oder dieser würde mindestens noch einmal um mehr als die Hälfte reduziert, indem nämlich die so genannte rund 60 % umfassende Zone C des für den Palästina-Staat vorgesehenen Territoriums nunmehr von Israel annektiert werden soll. Wie sich übrigens Israel bereits 1980 den arabischen, östlichen Teil der Stadt einverleibt hat, indem per so genanntem Jerusalem-Gesetz Jerusalem zur ewigen und unteilbaren Hauptstadt Israels erklärt worden ist.

Euer Vorwurf erweckt den Eindruck, dass Ihr Euch in Eurem Herangehen – ganz im Sinne der von Kanzlerin Angela Merkel verkündeten Staatsräson – vornehmlich davon leiten lasst, dass im Israel-Palästina-Konflikt prioritär die israelischen Interessen zu gelten haben. Für eine Zwei-Staaten-Lösung unter Berufung auf unser Parteiprogramm eintreten zu wollen, jedenfalls kann alleine diese Benachteiligung der legitimen palästinensischen Interessen nicht kompensieren. Schon gar nicht in Anbetracht der immer rechteren Ausrichtung israelischer Politik. Auch ist das Existenzrecht Israels schon allein aufgrund seiner militärischen Überlegenheit, die es zudem nahezu täglich auch gegenüber Nachbarn manifestiert, real von niemandem bedroht. Während demgegenüber das Existenzrecht Palästinas seitens der israelischen politischen Elite nicht nur verbal in Abrede gestellt wird, sondern gezielt dementsprechende Fakten geschaffen werden. Omar Barghouti die Negierung des Existenzrechts Israels vorzuwerfen, weil er sich für eine Ein-Staat-Lösung ausspricht, ist schon deshalb haltlos, da israelische Politik objektiv eine tragfähige Zwei-Staaten-Lösung immer mehr verbaut – im wahrsten Sinne des Wortes – und damit auf eine Ein-Staat-Realität zusteuert. In solch einer katastrophalen Situation – in der viele einer Zwei-Staaten-Lösung kaum noch ernsthafte Chancen einräumen – eine Ein-Staat-Lösung zu fordern, nämlich einen Staat im historischen Palästina, in dem alle Menschen die gleichen Rechte haben, ist nicht verwunderlich. Diese Forderung kann sich zwar nicht auf einschlägige UN-Resolutionen zu Israel und Palästina berufen. Trotzdem ist sie legitim und insbesondere keineswegs antisemitisch.

Wichtig ist es noch zu betonen, dass es gerade die rechtesten Kräfte in Israel sind, einschließlich ihres Premiers Benjamin Netanjahu, die mittels einer gewaltigen Propagandamaschinerie die BDS-Bewegung als Existenz bedrohend für ihr Land weltweit zu diskreditieren suchen, indem sie gezielt mit dem Antisemitismus in Verbindung gebracht wird. Zudem werden weltweit Dossiers von BDS-Unterstützer*innen, einschließlich solchen jüdischer Provenienz, angelegt und Betreffenden auf der Grundlage eines 2017 von der Knesset verabschiedeten Gesetzes die Einreise nach Israel verweigert. So auch einer siebenköpfigen EU-Delegation Mitte November 2017 wegen angeblicher Israel-Feindlichkeit. Darüber hinaus sind die Sicherheit und die Freiheit Omar Barghoutis sowie anderer BDS-Aktivisten in Israel gefährdet. Deswegen forderte Amnesty International im Dezember 2016 von der israelischen Regierung, die Einschüchterungen zu beenden und sie vor Angriffen zu schützen. Ein israelischer Minister hatte BDS-Aktivisten gedroht, sie müßten „ihren Preis zahlen“ für ihre Taten, ein anderer hatte den Staat aufgefordert, mit Hilfe des Geheimdienstes, „gezielte zivile Eliminierungen“ durchzuführen.[ix][9]

Volle Aufmerksamkeit verdient auch, dass die BDS-Bewegung international sehr zum Ärger des israelischen Establishments durchaus wachsende Unterstützung genießt bis hin in die Reihen von Regierungen und Parlamenten. So die von der EU-Kommission im November 2015 verabschiedete Direktive zur Kennzeichnungspflicht für Produkte, Waren und Dienstleistungen aus israelischen Siedlungen in den von Israel seit 1967 widerrechtlich besetzten Gebieten. Ebenso der Ende Januar 2018 vom dänischen Parlament gefasste Beschluss, die Siedlungen in der Westbank aus den bilateralen Verträgen mit Israel herauszunehmen. Oder das jüngst, anlässlich des 28. Solidaritätstages mit den Palästinenser*innen vom Senat der Republik Irland auf den Weg gebrachte Gesetz zum Verbot der Einfuhr von in israelischen Siedlungen produzierten Waren, trotz israelischer Versuche, dies zu verhindern.

Gerade für unsere, sich als internationalistisch und solidarisch verstehende Partei müsste es doch zuvörderst darum gehen, die Palästinenser*innen in ihrem Kampf gegen die israelische Okkupation zu unterstützen. Leider ist eine Chance vertan worden, am 4. Dezember gemeinsam mit Omar Barghouti zu debattieren, wie den legitimen Interessen der Palästinenser*innen gegen den Widerstand des israelischen Establishments Gehör zu verschaffen ist. Allein mit dem Verweis auf das in unserem Programm fest geschriebene Ziel einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung ist es nicht getan. Vielmehr haben wir mit dieser Eurer Entscheidung als Partei „DIE LINKE“ nach dem gemeinsamen Antrag mit den Grünen anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels oder auch der Baumpflanzaktion von Dietmar Bartsch[x][10]weiteren Kredit als Interessenvertreterin der Unterdrückten und Benachteiligten verspielt. Desto mehr sollten wir darum bemüht sein, allen jenen mutig entgegen zu treten, die den notwendigen Kampf gegen den Antisemitismus mit Kritik an israelischer Palästina-Politik zu vermischen bemüht sind. Oder anders gesagt, die die Bekämpfung des Antisemitismus dafür zu instrumentalisieren suchen, berechtigte Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.

Mit solidarischen Grüßen

Gabi Bieberstein

Für den Sprecherinnenrat des Bundesarbeitskreises (BAK) Gerechter Frieden in Nahost der Partei DIE LINKE

Der Bundesarbeitskreis „Gerechter Frieden in Nahost“ ist bei der „BAG Frieden und Internationale Politik“ angesiedelt. Er hat sich Mitte Januar 2011 bundesweit aus Mitgliedern der LINKEN sowie Sympathisant*innen formiert.

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