Offener Brief an Laschet
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 8. April 2021
Herr Laschet, ich habe das Restvertrauen in Ihre politischen Fähigkeiten verloren
Wie fast auf jeden Foto: Mit Influencer im Hintergrund ?
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Sascha Lobo ist kein Fan offener Briefe. Diesen jedoch hält er für nötig. Zu oft beschleicht ihn das Gefühl, dass CDU-Chef Armin Laschet ihn und andere Bürger für dumm verkauft – mitten in der Pandemie.
Sehr geehrter Herr Laschet,
wie die meisten halbwegs bei Sinnen seienden Menschen verabscheue ich offene Briefe, weil sie zu oft ein nervtötendes Amalgam aus Selbstgerechtigkeit, Larmoyanz und Wirkungslosigkeit sind. Aber die Pandemie fordert uns allen Opfer ab, und das hier ist meines: ein offener Brief an Sie in Ihrer Funktion als Vorsitzender der größten Regierungspartei CDU, also als derzeit mächtigster Mann der Bundesrepublik. Zumindest auf dem Papier. Dem Parteipapier jedenfalls.
Mein Problem ist – und ich glaube nicht, dass ich damit allein bin: Ich habe das Restvertrauen in Ihre politischen Fähigkeiten verloren. Das liegt nicht daran, dass ich als parteiloser linksliberal-demokratischer Verfassungspatriot eine andere politische Haltung habe als Sie. Sie können das daran erkennen, dass ich andere teils sehr konservative Politikerinnen und Politiker ganz unironisch schätze: Wirtschaftsminister Altmaier für seine geräuschlose Beharrlichkeit, Ministerpräsident Söder für seine Gabe, Opportunismus als intelligentes Rückgrat erscheinen zu lassen, oder Winfried Kretschmann für seine unerschütterliche Treue zur CDU.
Mein Vertrauensverlust hat eher mit Ihrer Pandemie-Performance zu tun, die ich nach einem mittelmäßigen Start als zunächst stark abbauend, dann rätselhaft und verwirrend und schließlich als bedrückend niederqualitativ wahrgenommen habe. Die Essenz meiner Geringschätzung Ihrer politischen Leistungen ist, dass ich mich von Ihnen regelmäßig vergackeiert fühle. Verhohnepiepelt sogar. Es hat mich einige sprachzivilisatorische Energie gekostet, an dieser Stelle nicht ins Fäkale abzurutschen.
Damit Sie nicht glauben, es handele sich um haltlose Behauptungen, möchte ich das anhand Ihrer eigenen Äußerungen und Aktivitäten illustrieren. Zuvor aber möchte ich zu unser beider Entlastung zugeben, dass wir einfach auch einen schlechten Start hatten. Die erste Aktivität, die ich von Ihnen in Erinnerung behalten habe: Als Universitätsdozent gingen Ihnen sämtliche Klausuren eines Kurses verlustig – und um das zu vertuschen, dachten Sie sich die Noten einfach aus. Und zwar 35 Noten, obwohl nur 28 Studierende die Klausur überhaupt mitgeschrieben hatten. In der Folge endete nicht nur Ihre Lehrtätigkeit. Sie verloren auch meine prinzipielle Vorschuss-Sympathie für sich politisch engagierende Demokraten.
Sie gehörten im Frühjahr 2020 zu den Ersten, die den Lockdown gegen den Rat vieler Fachleute wieder aufweichen und zum Beispiel Möbelhäuser wieder öffnen wollten. Sie benutzten dafür die denkwürdige Begründung, Nordrhein-Westfalen sei »das Land der Küchenbauer«. Bei mir hat das ein Geschmäckle von Partikularinteressen hinterlassen, die Sie zu vertreten schienen. Denn tatsächlich hat Ihre Partei Spendengeld aus der Branche bekommen – und zwar just von dem Möbelunternehmer, der auch das berüchtigte »Heinsberg-Protokoll« von Hendrik Streeck und der Firma Storymachine finanziell unterstützte.
Mit der Vermarktung der dazugehörigen, PR-orientierten Studie zu Heinsberg wollten Sie zum Schluss sogar als Auftraggeber wenig zu tun haben. Faktisch aber passte die Kernaussage überraschend gut in Ihre politische Strategie. Fast, als hätten Sie wissenschaftlich scheinende PR-Unterstützung für Ihre bauchgefühlte Politik bestellt.
Im ersten Sommer der Pandemie gehörten ausgerechnet Schlachthöfe zu den gefährlichsten Corona-Herden, die Sie trotzdem in Ihre Lockdown-Lockerungen einbezogen. Im Kontext des langjährigen CDU-Parteispenders und Fleischfabrikanten Tönnies brachte Sie das zu der Aussage, die Ausbrüche sagten »überhaupt nichts« über die Lockerungen aus, »weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt«. Für mich klang das recht ungünstig nach: Die Ausländer sind schuld, nicht der Parteispender.
Im ersten Herbst der Pandemie wehrten Sie sich erst gegen Eindämmungsmaßnahmen und sprachen nach steigenden Ansteckungszahlen von einem »Lockdown light«. Sie sagten am 28. Oktober 2020: »Uns ist es leichtgefallen, hier mitzumachen, weil wir auch den Bürgerinnen und Bürgern versprechen können: Diese Maßnahmen sind befristet. Sie gelten bis zum 30. November. Wir brauchen danach nicht zu diskutieren: Was machen wir auf oder was schließen wir.«
Mir ist klar, dass eine Pandemie eine Ausnahmesituation ist und dass man hinterher immer klüger ist – aber können Sie nachvollziehen, dass solche Ansagen Vertrauen zerrütten, wenn sie so geräuschlos kassiert werden? Ohne dass Sie sich danach ernsthaft bemüht hätten, Ihre Kommunikationsfehler zuzugeben und daraus öffentlich zu lernen? Dadurch ist bei mir auch der Eindruck entstanden, Sie agierten kopflos: Hin-und-Her-Laschet.
Mitte Februar 2021 kritisierten Sie als zukünftig wichtigster Vertreter der wichtigsten Regierungspartei, dass es politisch populär sei, die Bürger »wie unmündige Kinder« zu behandeln. Selbst wenn man dieser Generalverdammung zustimmen würde – müsste man das nicht geradezu zwingend auf Sie und Ihre eigene Partei beziehen? Helfen Sie mir bitte mit der richtigen Einordnung: War das eher ein Schuss in den Ofen oder ins Knie?
Im fast gleichen Atemzug sagten Sie auch, man könne »nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.« Das ist verstörend populistisch für eine der mächtigsten Personen der Bundesrepublik, weil Sie damit jede Mitverantwortung ignorieren und gleichzeitig nahe an die Verschwörungstheorie geraten. Niemand »erfindet« immer neue Grenzwerte, die werden von Fachleuten vorgeschlagen und dann von der Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern – also auch mit Ihnen – festgelegt. Und zwar nicht zur Verhinderung von gesellschaftlicher Aktivität, sondern für das exakte Gegenteil: damit so schnell wie möglich wieder Leben stattfinden kann.
Dass Sie implizit unterstellten, es gäbe offenbar mächtige Kreise, die »Leben verhindern« wollten, halte ich für katastrophal. Wir könnten uns darauf einigen, dass diese Grenzwerte wie so vieles unterirdisch kommuniziert wurden, nur wäre genau das Ihre Aufgabe: nachvollziehbar entscheiden. Lebensverändernde Beschlüsse begründen. Politik erklären.
In Ihrer Regierungserklärung am 24. März 2021 sagten Sie: »Und wir alle hatten die Hoffnung aus der Erfahrung des letzten Jahres, dass, wenn der Frühling kommt, es wärmer wird, die Virusansteckungen zurückgehen und die Zahlen sinken, und wir erleben im Moment genau das Gegenteil.« Herr Laschet, dieses für Sie offenbar überraschende »Gegenteil« entsprach exakt den Prognosen beinahe sämtlicher Fachleute. Ihr Konzept Hoffnung sieht für mich eher aus wie das Konzept Aberglaube. Und weil ich nicht glaube, dass Sie über eine geringe Auffassungsgabe verfügen, habe ich mich wiederum erheblich verschaukelt gefühlt. Das ist eine Konstante, dass ich bei Ihnen regelmäßig Verschaukelungsgefühle entwickele.
Quelle : Spiegel >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Armin Laschet beim Programmausschuss der CDU Rheinland-Pfalz am 23. Januar 2021.
Olaf Kosinsky – Own work
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- File:2021-01-23 Armin Laschet MG 5852.jpg
- Created: 23 January 2021
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Unten — Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.…
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- File:Wp10 20110115 IMG 9974.jpg
- Erstellt: 15. Januar 2011
Erstellt am Donnerstag 8. April 2021 um 11:19 und abgelegt unter Feuilleton, P.CDU / CSU, Positionen, Regierung. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.