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Nuke – Kein Wintermärchen

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 15. Dezember 2021

Die Ampel und nukleare Teilhabe

Nuclear Blast Animation Aufsteigende Pilzwolke.gif

Von Charlotte Wiedemann

Die Ampelkoalition gibt der atomaren Bewaffnung eine Zukunft. Robert Jungk, Petra Kelly und Heinrich Böll wälzen sich in ihren Gräbern.

Teilhabe klingt gut, demokratisch-ökologisch. Und atomare Teilhabe? Share a nuke! Hey, es braucht doch nicht jeder seine eigene Bombe. Wenn es denn nur so amüsant wäre.

Erstaunlich geräuschlos hat sich die Ampelkoalition darauf verständigt, für die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen neue Kampfflugzeuge anzuschaffen. Das heißt im Klartext: Diese Regierung gibt der Atombombe eine Zukunft. Denn Teilhabe bedeutet: Beim Luftwaffengeschwader in Büchel, Rheinland-Pfalz, liegen zwei Dutzend Bomben mit einer Zerstörungskraft, die als x-faches Hiroshima berechnet wird, und sie werden von deutschen Piloten im Kriegsfall Richtung Osten zum Einsatz gebracht. Bisher standen dafür Tornados bereit, die als veraltet gelten. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die anachronistische Bewaffnung abzuschaffen, werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich in den USA.

Ich finde das gravierend, in mehr als einer Hinsicht. Und ich hätte erwartet, an der Basis von Grünen und Sozialdemokratie würde sich wenigstens ein Fünkchen Empörung zeigen. Immerhin wird im Grünen-Grundsatzprogramm von 2020 – nach damals heftiger Debatte – „ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“ verlangt, und einige SPD-Spitzenpolitiker hatten noch im Wahlkampf den Abzug aller A-Waffen gefordert. Dies ist sozusagen die ästhetische Seite der Angelegenheit, der Beschiss an den Wähler:innen. Nun zum Inhalt und zur Zeitgeschichte.

Die ersten US-Nuklearwaffen kamen 1955 in die Bundesrepublik. Damals entstand die Anti-Atomtod-Bewegung, die älteste zivilgesellschaftliche Strömung für eine bessere Welt, die Mutter von vielem, was folgte. Ohne Namen wie Günther Anders (Jg. 1902) und Robert Jungk (Jg. 1913) wäre Petra Kelly (Jg. 1947) schwer denkbar gewesen, ohne Kelly nicht die heutigen Grünen. Deren parteinahe Stiftung ist nach Heinrich Böll benannt; bereits von Krankheit gezeichnet, ließ sich der Nobelpreisträger die Teilnahme an der Sitzblockade eines Raketenstandorts nicht nehmen.

De schrijver staat de pers te woord, rechts achter hem Heinrich Böll, Bestanddeelnr 927-0025.jpg

 Mit (Bart) Alexander Solzjenitsyn wurde aus Russland ausgewiesen und wohnt nun im Hause Böll (rechts hinten)

Ich erwähne diese Überlieferungskette nicht nur, weil sie illustriert, wie weit sich heutige Prot­ago­nis­t:in­nen von jenem Geist entfernt haben, ohne den sie kaum auf die große Bühne gelangt wären. Sondern es scheint mir auch interessant, welche philosophischen Veränderungen damit verbunden sind. Aus der einstigen Infragestellung eines industriell-materialistischen Fortschrittsbegriffs wurde allmählich der Glaube an die technologische Machbarkeit der Quadratur des Kreises.

So wird es der Gesellschaft jedenfalls verkauft: Mit schlauen Konzepten ist alles vereinbar, Wohlstand und Klimaretten, Bleifuß und Verkehrswende, Pharmaprofite und Weltgesundheit. Kein Bruch, kein Konflikt, kein Zusammenstoß mit mächtigen Interessen. Keine Entscheidungen, zu denen die Allgemeinheit vielleicht in großen Debatten kommen müsste. Und bloß nicht das Wort Verzicht fallen lassen.

Unter der verbalen Abdeckfolie „Klimaschutz“ lassen sich sogar nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen

In diesem Konzept der Vereinbarkeit des Unvereinbaren ist die Vokabel Klimaschutz zu einer Art Abdeckfolie geworden, unter der sich alles Mögliche verstauen lässt, während ständig der Eindruck erzeugt wird, hier werde gerade die Menschheit gerettet. Da lassen sich dann sogar nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen – als wären Militär und Rüstungsproduktion nicht Klimakiller ersten Ranges. Und eine Außenpolitik, die sich auf Klimaschutz, Werte, gar Feminismus beruft, passt nun irritierend gut in den Nato-Kurs gegen China und Russland.

Ein gewisser Antimilitarismus gehört zu dem wenigen, was sich von zwei verlorenen Weltkriegen im deutschen Massenbewusstsein niedergeschlagen hat. Umfragen zeigen kontinuierlich, wie viele mit dem antirussischen Kurs der Nato nicht einverstanden sind; dennoch hat friedenspolitisches Denken kaum eine Öffentlichkeit jenseits von Youtube-Kanälen, wo es in die unappetitliche Nähe zum „Querdenker“-Milieu gerückt werden kann. Aber es hat nichts mit rechtem Putin-Verstehertum zu tun, von einer Fortschrittskoalition zu erwarten, dass sie sich für eine europäische Friedensordnung einsetzt, die Russland einbezieht.

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Grafikquellen          :

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