Mit viel Rum geht Jamaika
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 28. Oktober 2017
Jamaika oder: Die Ruhe vor dem Sturm
von Albrecht von Lucke
Noch bevor die Koalitionsverhandlungen zu Jamaika überhaupt angefangen haben, steht eines bereits fest: Es werden die schwierigsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Dafür gibt es zwei zentrale Gründe: Erstens handelt es sich um die erste Koalition, die die alten Lagergrenzen („bürgerliches“ versus linkes Lager) radikal durchbricht. Das heißt, die klassische bürgerliche Koalition aus Union und FDP muss sich mit den Grünen arrangieren – und vor allem umgekehrt die Grünen mit gleich drei Parteien der zunehmend rechten Mitte. Dieser Sprung ist erheblich weiter als der der FDP 1969 von einer verbrauchten Union in die erste sozialliberale Koalition,[1] aber auch weiter als der 1982 von der SPD zurück zur Union, der allerdings zum Übertritt vieler Sozialliberaler aus der FDP zu den Sozialdemokraten führte.Heute ist die Kluft zwischen CSU und Grünen weit größer als damals jene zwischen CSU und FDP. Allein das ist bereits eine gewaltige Hypothek, insbesondere für die Grünen, allerdings auch für die Union.
Hinzu kommt aber ein zweites Kardinalproblem: Sowohl bei den Grünen als auch bei der CDU/CSU haben wir es mit in sich gespaltenen Parteien zu tun, die, was die Union anbelangt, auch über angeschlagene Parteiführer verfügen. Die enormen Verluste bei der Bundestagswahl haben Horst Seehofer und Angela Merkel massiv geschwächt. Und auch die Niederlage der CDU bei der Niedersachsenwahl hat nicht zur Stärkung der Kanzlerin beigetragen, im Gegenteil. So aber soll und muss die Jamaika-Koalition nun auch noch das Schisma der Konservativen heilen, die Zerrüttung zwischen CDU und CSU. Faktisch ist das Verhältnis innerhalb der Union so gestört, wie in der ganzen bundesrepublikanischen Geschichte nicht. Ein Riss geht mitten durch den deutschen Parteikonservatismus. Nur notdürftig kaschiert durch den strategischen Burgfrieden zwischen Seehofer und Merkel im Frühjahr, ist der Graben mit der Niederlage bei der Bundestagswahl wieder voll aufgebrochen. Und durch den klaren Sieg der Rechtskonservativen in Österreich wird er noch zusätzlich erweitert.
CDU/CSU: Verfeindete Schwestern
Gegenwärtig ist völlig ungeklärt, welche politische Rolle die Union zukünftig einnehmen wird. Faktisch prallen zwei Weltanschauungen aufeinander (europäisch-offen vs. national-geschlossen) und auch zwei gesellschaftspolitische Analysen, was die massiven Verluste bei der Bundestagswahl angeht.
Die CDU-Spitze unter Führung von Angela Merkel verteidigt ihren vermeintlichen Erfolgskurs der Mitte, um diese nicht an die SPD preiszugeben – selbst unter Inkaufnahme einer dauerhaft etablierten AfD. Nach Überzeugung der Mitte-Strategen steht die Seehofer-CSU vor den Trümmern ihrer eigenen Strategie, da sie die Kanzlerin zu beider Schaden ständig vor sich hergetrieben habe. Und in der Tat: Wer zwei Jahre lang eine ominöse Obergrenze derartig fetischisiert, kann sich nicht wundern, wenn der Verzicht als Wortbruch begriffen wird und die Bürger dann eben das rechte Original wählen – sprich: die AfD.
Horst Seehofer und die CSU dagegen verorten das Versagen eindeutig bei der Kanzlerin. Sie habe die rechte Flanke erst geöffnet, die dann von der AfD besetzt wurde. Oberstes Ziel der Union müsse es daher bleiben, diese offene Flanke und damit auch die AfD wieder zu beseitigen. Deshalb wird die CSU immer den Anspruch vertreten, eine Politik auch für tatsächliche oder potentielle AfD-Wähler zu machen, also eine Politik mit klar rechtskonservativer Ausrichtung. Schon deshalb gibt es auf ihrer Seite massive Vorbehalte gegenüber Jamaika. Primäres Ziel der CSU ist aber ohnehin nicht die Bildung einer Bundesregierung, oder gar deren dauerhafte Stabilität, sondern die Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl in Bayern im Herbst 2018. Dem wird die CSU letztlich alles unterordnen.
Erschwerend kommt schließlich noch die ungeklärte Führungsfrage in der CSU hinzu und damit das egoistische Interesse des angeschlagenen Parteivorsitzenden, unbedingt seine eigene Macht zu sichern, während im Hintergrund bereits sein Herausforderer Markus Söder lauert. Deshalb ist es Seehofers persönliches Anliegen, möglichst maximale Ergebnisse auf dem kommenden CSU-Parteitag zu präsentieren.
Das Schisma der Union ist somit ein doppeltes, nämlich ein inhaltlich-strategisches und ein personelles. Die Kluft zwischen Seehofer-CSU und Merkel-CDU ist riesig geworden, von Schwesterparteien im Wortsinn kann keine Rede mehr sein. Die alte Union gehört der Vergangenheit an.
Aber auch in der CDU selbst herrscht keine Einigkeit. Der Wahlerfolg der Schwesterpartei ÖVP in Österreich unter Führung von Sebastian Kurz hat gezeigt, dass der Bruch zwischen dem Merkel-Lager und den Kurz-Sympathisanten mitten durch die CDU geht. Letztere finden sich vor allem in der Jungen Union, bei der Jens Spahn als dezidierter Kurz-Anhänger bereits als der neue rechts-konservative Hoffnungsträger der Union gefeiert wird – in direkter Absetzung von Angela Merkel.
Hier zeigt sich: Auch die Kanzlerin ist stark angeschlagen. Das dürftige Unionsergebnis bei der Bundestagswahl steht für den Anfang vom Ende der Merkel-Ära. Innerhalb der Union bereiten sich hinter den Kulissen bereits relevante Kräfte auf dieses Ende vor, um dem Rechtsruck in Österreich einen deutschen folgen zu lassen.
All das wird die kommenden Jamaika-Verhandlungen massiv erschweren. Dass vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen ein Einigungsgipfel der Union erforderlich war, der mit einem Kompromiss in der hoch umstrittenen Frage der Obergrenze endete, ist für sich genommen schon ein historisch beispielloser Vorgang. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich bereits um den Abschluss der Koalitionsverhandlung gehandelt habe. Doch die eigentliche Einigung wird um vieles schwieriger werden.
Anders ausgedrückt: Wenn die Kanzlerin bereits nach der Einigung zwischen CDU und CSU von einer Quadratur des Kreises gesprochen hat, dann werden für Jamaika die Quadraturen vieler Kreise erforderlich sein. Denn noch sind alle großen Fragen völlig offen, von der Einwanderungs- über die Energie- bis zur Europapolitik, weshalb FDP-Chef Christian Lindner bereits von den „drei großen E‘s“ spricht (hinzu kommen als viertes E die Egos der beteiligten Parteiführer). Daraus erwächst ein ungemeiner Zwang zum Kompromiss, alles andere als gute Vorzeichen, um eine Koalition zusammenzubringen, und dann auch noch gerade diese. Denn alle beteiligten Parteien geraten ob der neuen lagerübergreifenden Konstellation in regelrechte Identitätskrisen – am stärksten zweifellos die Grünen.
Bei den Grünen ist die Frage der Koalitionsbildung von noch grundsätzlicherer Bedeutung als im Falle der CSU, geht es doch bei ihnen nicht nur um eine absolute Mehrheit, sondern um die Identität der Partei. Und bei Identitätsfragen geht es im Ergebnis um alles, sprich: um die eigene Existenz und das politische Überleben.
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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