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Netzneutralität der USA

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 14. Dezember 2017

Die USA schaffen ihre Netzneutralität ab: Was alles dahintersteckt

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Quelle  :   Netzpolitik ORG

Die US-Telekom-Aufsicht FCC wird wohl die Netzneutralität in den USA abschaffen. Dabei geht es nicht nur um das Ende des offenen Internets, sondern um neue Geschäftsmodelle, kommerzielle Überwachung und die digitale Zukunft.

Internetnutzer in den USA müssen sich darauf einstellen, künftig bestimmte Webseiten künstlich verlangsamt, gegen Bezahlung oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr ansteuern zu können. Und Inhalteanbieter auf der anderen Seite – von der großen Medienplattform bis zum kleinsten Hobbyprojekt – müssen damit rechnen, ihr Publikum nur mehr dann zu erreichen, wenn sie Mautgebühren an die Netzbetreiber überweisen.

In den vergangenen zwei Jahren haben die US-Regeln zur Netzneutralität verhindert, dass solche Praktiken an den Grundfesten des Internets rütteln. Kein Kabelbetreiber konnte seine eigenen Inhalte gegenüber denen der Konkurrenz bevorzugen, kein Mobilfunkanbieter seine Kunden daran hindern, VoIP-Telefonate übers Internet zu führen, kein Quasi-Monopolist sein eigenes Süppchen à la AOL kochen und Nutzer in geschlossene Käfige einsperren. Umgekehrt hat erst dieser Grundsatz möglich gemacht, dass kleine Unternehmen mit innovativen Produkten die ganze Welt begeistern konnten.

Netzneutralität schützt das offene Internet

Davor hielten sich Netzbetreiber informell an das Best-Effort-Prinzip und arbeiteten die Datenpakete in ihren Netzen (meist) gleichberechtigt in der Reihenfolge ab, in der sie einlangten („first come, first serve“), unabhängig vom Inhalt, vom Sender oder vom verwendeten Endgerät. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht regelmäßig zu Verletzungen der Netzneutralität gekommen ist: Mal sperrten Netzbetreiber bestimmte Ports, um File-Sharing zu behindern, mal verlangsamten sie erpresserisch die Datenleitungen zu Inhalteanbietern wie Netflix, mal unterbanden sie Skype-Telefonate. Genau deshalb entschloss sich damals die Regulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission), Netzbetreiber als Anbieter grundlegender Infrastruktur einzustufen, um sie zur Einhaltung der Netzneutralitätsregeln verpflichten zu können.

Sollte nun am Donnerstag die FCC, wie allgemein erwartet, mit ihrer seit der Wahl von US-Präsident Donald Trump industriefreundlichen Mehrheit im entscheidenden Gremium die Regeln tatsächlich rückgängig machen, dann dürften solche Methoden aber zur neuen Normalität werden. Zumindest in den USA gäbe es dann kein offenes, freies Internet mehr, sondern nur noch ein durch und durch kommerzialisiertes Netz, das sich jetzt schon zunehmend zur Spielwiese für eine Handvoll übermächtiger Plattformen verwandelt. Und allein im US-Telekommunikationssektor hat sich die Marktkonzentration in den vergangenen Jahren rasant erhöht. Den meisten US-Bürgern stehen nur ein, bestenfalls zwei Netzbetreiber zur Verfügung, denen sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.

Überholspuren sollen Breitbandausbau bezahlen

Als Hauptargument (PDF) führt der von der Trump-Administration neu bestellte konservative FCC-Chef Ajit Pai an, dass Netzbetreiber neue Einnahmequellen erschließen müssten, um den teuren Breitbandausbau finanzieren zu können – eine Behauptung, die etwa auch hierzulande die Industrievereinigung „Netzallianz“ vorbringt. Allerdings hält diese Hypothese einem Realitätsabgleich nicht Stand. Belastbare aktuelle Daten zeigen, dass die bisherigen Regeln die Investitionen in neue Infrastruktur keineswegs verlangsamt haben.

Genauso unglaubwürdig ist auch die Behauptung der Netzbetreiber, weiterhin die Netzneutralität beachten zu wollen. Denn wenn sie ihre neu gewonnen Freiheiten nicht zu Geld machen, fällt schließlich die von Pai ins Spiel gebrachte Begründung in sich zusammen. Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind Vorstöße einzelner Kongressabgeordneter, die auf eine Verschiebung der FCC-Abstimmung drängen und eine gesetzliche Regelung ins Spiel bringen – schon allein aufgrund der aktuellen Dysfunktionalität der US-amerikanischen Legislative.

Netzbetreiber wollen sich nicht einsperren lassen

Tatsächlich wehren sich Netzbetreiber mit Händen und Füßen dagegen, zu reinen Datendurchreichern zu werden, weil das ihre potenziellen Geschäftsmodelle beschränkt. Stattdessen wollen sie im einfachsten Fall an beiden Enden der Kette abkassieren: Auf der einen Seite bei den Inhalteanbietern für eine bevorzugte Behandlung und auf der anderen bei den Nutzern, damit die Inhalte schneller bei ihnen ankommen.

Gleichzeitig nimmt der Trend zur sogenannten „vertikalen Integration“ immer mehr an Fahrt auf. Soll heißen: Ein großes Konglomerat bedient alle einzelnen Stufen einer Wertschöpfungskette. In diesem Sektor würde dann alles aus einer Hand kommen, von der Produktion der Inhalte über die Verpackung und Distribution bis hin zur Auslieferung an die Endkunden über die eigene Infrastruktur – als würde etwa Apple einen Mobilfunkbetreiber kaufen (erste Schritte in Richtung Inhalteproduktion hat das Unternehmen bereits eingeleitet).

Das öffnet nicht nur einer möglichen Diskriminierung der Wettbewerber Tür und Tor, denen schlicht der Zugang zu Kunden versperrt werden kann, sondern bietet diesen Konzernen die Chance, Werbeunternehmen wie Google und Facebook die Stirn zu bieten. Diese beiden dominieren bereits jetzt mit großem Abstand den Online-Werbemarkt in den USA und sind zudem die einzigen, die in diesem zukunftsträchtigen Bereich ein nennenswertes Wachstum verzeichnen.

Daten sammeln, Werbung verkaufen

Bislang kam niemand gegen diese durch Netzwerkeffekte bedingte Übermacht an. Aber nun schöpfen Branchenvertreter Hoffnung und sprechen ganz offen über die Richtung, die sie gerne einschlagen wollen. So findet derzeit eine politisch heißumkämpfte Übernahmeschlacht des Medienunternehmens Time Warner durch den Netzbetreiber AT&T statt. Zwar hat das US-Justizministerium die Fusion bis auf Weiteres auf Eis gelegt, eine endgültige Entscheidung ist frühestens im kommenden Jahr zu erwarten.

Ausschlaggebend für den vorläufigen Stopp dürften aber eher weniger Sorgen um eine zu hohe Marktkonzentration sein, sondern die Tatsache, dass der Kabelsender CNN zu Time Warner gehört. Und mit genau diesem Sender liefert sich Donald Trump schon seit einiger Zeit eine äußerst fragwürdige Auseinandersetzung rund um angeblich unausgewogene Berichterstattung, Fake News und die Intelligenz (Subtext: Hautfarbe) einzelner Moderatoren. Viele Beobachter gehen deshalb davon aus, mit der vorübergehend vereitelten Übernahme gehe es Trump darum, Revanche zu nehmen für eine für ihn manchmal unbequeme Berichterstattung.

Letzten Monat wurde der AT&T-Chef Randall Stephenson auf den denkbaren Verkauf von CNN angesprochen, um damit das Problem scheinbar einfach aus der Welt zu schaffen. Doch der winkte umgehend ab: Zu zentral sei der Sender für den Plan, Verbraucher zu selbst produzierten Inhalten zu lenken; ohne dieses Schlüsselelement würde die Übernahme keinen Sinn ergeben. Denn letztlich gehe es darum, die Nutzer im eigenen Ökosystem zu halten, um an möglichst viele ihrer Daten zu kommen. Und nur mit diesem Datenschatz könne das Unternehmen auf lange Sicht mit dem Duopol Google und Facebook mithalten.

Ins Bild fügt sich, dass zu einer der ersten Amtshandlungen des aktuellen, republikanisch geführten Kongresses die Abschaffung elementarer Datenschutzregeln für Netzbetreiber gezählt hat. Diese können nun das Surfverhalten ihrer Kunden im Detail aufzeichnen und an den Meistbietenden zu Werbezwecken verkaufen. Ebenfalls bemerkenswert ist die auffallende Funkstille aus den Konzernzentralen von Google und Facebook, die sich in der Vergangenheit oft als Verteidiger der Netzneutralität geriert haben. Auch sie haben ein Interesse an vertikaler Integration, wenn auch von der anderen Seite kommend.

Wunschkonzert der Industrie zerstört im Vorbeigehen das offene Internet

Bei der Abschaffung der US-Netzneutralität geht es also um weit mehr als um das Ende des offenen Internets – in diesem Licht erscheint das fast wie ein fahrlässiger Kollateralschaden, nur, um der Großindustrie so weit wie möglich entgegenzukommen. Es lohnt sich, die erwünschten und unerwünschten Begleitwirkungen dieser Entwicklung im Auge zu behalten und auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, solche Modelle nicht überschwappen zu lassen.

Zwar sind wir davon hierzulande zumindest kurzfristig nicht betroffen. Zu eng ist vergleichsweise das Korsett, in das die Industrie durch die EU-Verordnung zur Netzneutralität oder durch die Datenschutzgrundverordnung eingesperrt ist. Aber auch auf unserer Seite des Atlantik nutzen Netzbetreiber jedes Schlupfloch so weit wie möglich aus, das ihnen das Gesetz offen lässt.

Selbst die auf den ersten Blick verhältnismäßig harmlos scheinende Praxis des Zero Rating, die den Zugriff auf bestimmte Partnerdienste vom monatlichen Datenvolumen ausnimmt, zersplittert das offene Internet und macht die bisherige globale Innovationsmaschine zu einem Stückwerk, das den Launen und Geschäftsmodellen einiger großer Anbieter ausgeliefert ist. „StreamOn“ der Telekom Deutschland und „Vodafone Pass“ von Vodafone dürfen nicht als gutartige Produkte missverstanden werden, selbst wenn manche den Marketingstrategien auf den Leim gehen.

Wer das volle Potenzial einer digitalisierten Gesellschaft ausschöpfen will, muss darauf pochen, dass der Fortschritt allen zugutekommt und nicht nur wenigen Megakonzernen. Gewährleisten kann das nicht allein eine neutrale Infrastruktur. Aber sie ist dafür eine unbedingte Voraussetzung.

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