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Nebelkerze Green New Deal

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 3. Juli 2021

Die leeren Versprechungen eines »grünen Kapitalismus«

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Und der Haifisch der hat Zähne und die trägt er im Gesicht,  ………..

Das Lied von der „Klimaneutralität“ zukünftiger und unbedingt „moderner“ Industriegesellschaften beginnt stets mit dem Versprechen einer gewaltigen und blitzschnellen Reduktion von CO2-Eintragungen in die Atmosphäre – und häufig endet es damit auch.[1] Die EU will dieses Ziel mit ihrem „Green New Deal“ spätestens zur Jahrhundertmitte erreicht haben. China will dies ebenso, nur ein bisschen später, und US-Präsident Joe Biden wird allein schon dafür gefeiert, dass er sich auch auf ein solches Versprechen festgelegt hat. Kleinlich wirkt es da, wenn auf unterschiedliche Bezugsjahre (die frühen 1990er oder erst die Mitte der 2000er Jahre) und Zielgrößen (eine 50prozentige oder gar 100prozentige Senkung der Emissionen gegenüber dem jeweils gewählten Bezugsjahr) verwiesen wird. Und wer auf die komplexen Zusammenhänge der bio-physischen Sphäre hinweist, die allein durch eine Reduktion des CO2-Eintrags in die Atmosphäre nicht in die Balance zu bringen sind, wird als Störenfried des neuen „grünen Konsens“ gesehen.

Aber mit solchen Versprechen werden Wahlen bestritten. Es kümmert die regierenden Koalitionäre der Bundesregierung vermutlich nicht, dass sie nicht für ihr heutiges Versprechen geradestehen müssen, Deutschland in gerade einmal 24 Jahren „treibhausgasneutral“ zu machen. Fünf Jahre früher als von der EU versprochen. Es fragen ja nur wenige Wähler nach, was denn mit dem Begriff der „Klimaneutralität“ genau gemeint ist, nämlich, dass von 2045 an die von Menschen erzeugten Emissionen nicht höher ausfallen, als sie sich wieder binden lassen. Vor allem wird nicht nachgefragt, wie diese Bindung vonstattengehen soll und wie sich die Zielsetzung mit dem ebenfalls versprochenen Wachstum von Wirtschaft, Infrastruktur und Arbeitsplätzen verträgt.

Hierzulande kommt das wundersame Versprechen der „Klimaneutralität“ nie ohne eine zweite Verdummungsmetapher aus – die der „Digitalisierung“. Ohne sie scheint es keine Zukunft, für wen und was auch immer, zu geben. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch: Mit den derzeit anvisierten politischen Maßnahmen zur „Dekarbonisierung“[2] und „Digitalisierung“ in Europa (sowie in anderen Industrieländern einschließlich China) soll die ins Stocken geratene Akkumulationsdynamik des Industriekapitalismus neuen Schwung erhalten, jetzt über den Weg seiner „Begrünung“. Doch ein „grüner Kapitalismus“ kann keine Entschärfung der ökologischen Krise bewirken, ist diese doch aufs Engste mit dem modernen Industriekapitalismus verwoben, so dass sie sich – wenn überhaupt – nur zusammen mit diesem einer (Auf-)Lösung zuführen lässt.

Das grüne Narrativ

Das grüne Narrativ stellt in Aussicht, dass ein „grünes Wachstum“ mit einer Kombination aus intelligenter makroökonomischer Politik, technologischem Fortschritt und den Marktmechanismen erzielt werden könnte. Ein solches Wachstum werde die Umwelt nicht weiter zerstören und mit weniger Primärressourcen auskommen, aber auch in Zukunft den kapitalistischen Kreislauf erhalten: die Mehrung privaten Eigentums, die Steigerung von Renditen in der Finanzwirtschaft, das Schaffen von mehr Arbeitsplätzen und Lohneinkommen, damit die wachsende Menge an Waren auch konsumiert werden kann, sowie steigende Steuereinnahmen für den Staat. Dieser Weg basiert auf einigen Grundannahmen. Es müssen erstens die unvermeidbaren Externalitäten[3] von wirtschaftlichen Tätigkeiten mit einem Geldausdruck belegt werden, also einen Preis erhalten. Unter dieser Voraussetzung sollen die Märkte ihr Zauberwerk vollbringen und unendliches Wachstum befördern.

Zweitens muss dafür Sorge getragen werden, dass der Staat funktionsfähig bleibt, um Märkte zu schaffen, auszuweiten und unvermeidliches Marktversagen zu kompensieren. Gegenwärtig setzt das voraus, dass nach den „braun-fossilen“ nun vermehrt „grün-ökologische“ Felder für den Privatsektor erschlossen werden.

Hinzu kommt die nahezu abstruse Annahme, dass im „grünen Kapitalismus“ drittens expansives ökonomisches Handeln nicht nur niedrigere CO2-Emissionen nach sich zieht, sondern zugleich eine „Entmaterialisierung der Produktion“ in Gang setzen könnte. So als ließen sich – mit physikalischen Gesetzen wenig vereinbar – Brücken mit deutlich weniger oder gar keinem Zement und Stahl bauen oder als funktionierte die digitale Ökonomie allein auf der Basis von frei verfügbaren Informationen, ohne Energiezufuhr und ihre stofflichen Komponenten. Dass es sich dabei um eine große Mogelpackung handelt, zeigt sich mit Blick auf den „European Green Deal“ (EGD).

Mit Wettbewerb zur grünen Union?

Seit Verabschiedung der Lissabon-Strategie im Jahr 2000, die zehn Jahre später als EU-2020-Agenda eine Neuauflage erlebte, sollte die Integration von Energie- und Umweltpolitik und der Ausbau der Kapazitäten für die Erzeugung von erneuerbarer Energie einen kräftigen Schub für „Wachstum und Jobs“ auslösen. Im Sinne eines strikten Kosten-Nutzen-Kalküls, das die Umweltpolitik in die neoliberale Agenda einbinden wollte, gilt Wettbewerb dabei als effiziente Methode, um umweltpolitisch relevante technologische Innovationen zu befördern. Gleichzeitig wird das Konzept der technologischen Neutralität verfolgt. Demzufolge sollten alle „low-carbon technologies“ gleichermaßen gefördert werden; eine Vorzugsbehandlung der Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energie wurde bewusst ausgeschlossen. Gleichzeitig konnten sich energieintensive Industriebranchen weiterhin öffentlicher Unterstützung erfreuen. Die Begründung: Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf internationalen Märkten dürfe durch eine „ambitionierte Umwelt- und Energiepolitik“ sowie durch hohe Energiekosten nicht gefährdet werden.[4]

„Grüne Investitionen“, vornehmlich verstanden als Ausbau von erneuerbarer Energie im Stromsektor, gelten in der EU somit schon seit vielen Jahren als eine erfolgversprechende Strategie zur Steigerung ökonomischen Wachstums. Sie sollen Wettbewerbsvorteile für EU-basierte Unternehmen in energie- und ressourcenintensiven Branchen durch mehr oder weniger freiwillige Dekarbonisierung sichern und ausbauen. Unterstützt wurde diese Politik durch marktbasierte Anreizsysteme.

Doch können nur Zyniker die EU-2020-Strategie als einen Erfolg bezeichnen: Dass der Emissionsausstoß in den zurückliegenden drei Jahrzehnten seit 1990 um etwa 24 Prozent reduziert wurde, ist nur teilweise auf jene technologischen Fortschritte zurückzuführen, die die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie deutlich verbilligt haben. Wichtiger war das „größte De-Industrialisierungsprogramm“ im 20. Jahrhundert: die sogenannte „Transformation“ in Ost- und Mitteleuropa seit 1989/90. Wenn nun ab 2020 die Emissionen in der EU – wie in anderen industrialisierten Ländern auch – sehr viel drastischer gesenkt werden sollen, darf mit einer weiteren „List der Geschichte“ wohl nicht gerechnet werden.

Ein anderes wichtiges Ziel der EU-2020-Strategie besteht darin, den Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix deutlich zu erhöhen. Das ist in einigen EU-Mitgliedstaaten auch gelungen, hat jedoch vergleichsweise wenig beim Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch aller Wirtschaftssektoren verändert. Im einstigen Vorreiterland Deutschland beträgt dieser heute gerade einmal 17 Prozent, wobei die Hälfte davon auf Biomasse, ein Viertel auf Wind und nur ein Zehntel auf Solarenergie entfällt. Europaweit wurde die Förderung von erneuerbarer Energie schlichtweg vom insgesamt gestiegenen Energieverbrauch aufgezehrt.

Vor dem Hintergrund dieser vermeintlichen Erfolge der EU, die einst als role model für eine kluge Integration von Energie- und Umweltpolitik gelobt wurde, ist absehbar, dass sich auch der European Green Deal der neuen Europäischen Kommission schon im Jahr 2030 als Mogelpackung erweisen wird.

Mit diesem Plan soll CO2-Neutralität bis 2050 erreicht und gleichzeitig eine Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft in Gang gesetzt werden. Demnach müssten die Emissionen in den vor uns liegenden knapp drei Jahrzehnten gleich um 75 Prozent gesenkt werden – und dies ohne Hilfe großräumiger Deindustrialisierung in einem Teil Europas!

Der Fokus des European Green Deal liegt nahezu ausschließlich auf Maßnahmen, die helfen sollen, den Ausstoß eines der Treibhausgase zu senken, indem vor allem fossile Brennstoffe durch Strom aus anderen Energiequellen substituiert werden. Der mehr als kritische Zustand der Ökosysteme spielt im avisierten Maßnahmenbündel des EGD eine eher marginale Rolle.

Dass unser Wirtschafts- und Sozialsystem von exosomatischen – also nicht-menschlichen – Energie-Inputs abhängig ist, gilt als unbestrittene und notwendige Existenzvoraussetzung kapitalistischer Industriegesellschaften. Zur Fortführung dieses Gesellschaftssystems bleibt der Green New Deal auf technologische Innovationen fokussiert; mit ihrer Hilfe sollen Energiequellen erschlossen werden, die alle Möglichkeiten, die uns bislang durch die fossilen Ressourcen eröffnet wurden, nicht nur in gleichem, sondern in wachsendem Umfang garantieren.

Doch muss das Versprechen der Klimaneutralität bis 2050 eher als eine Beruhigungspille denn als couragiertes politisches Projekt verstanden werden. Faktisch gibt es bei einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten keine Bereitschaft zu einem wirklichen Politikwechsel: So ist etwa die Abschaffung der staatlichen Subventionen für Kohle, Öl und Gas erst ab 2025 geplant. Wann der Export von Fördertechnik für fossile Brennstoffe nicht mehr länger staatlich subventioniert wird (was insbesondere die deutsche und französische Exportwirtschaft treffen würde), steht in den Sternen. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten ist noch nicht einmal bereit, Verkehr, Gebäudesektor und Landwirtschaft, auf die 60 Prozent der CO2-Emissionen entfallen, in den Emissionshandel einzubeziehen. Im Rahmen des EGD ist auch nicht beabsichtigt, dass die Mitgliedstaaten Flughafen- und Straßenprojekte einfrieren. Angekündigt ist lediglich, dass die European Investment Bank ab 2022 die Investitionen in Flugverkehr strenger regulieren wird, wohl aber weitere Straßenprojekte fördert.

Dass es in den nächsten Jahren tatsächlich zu einem Schub bei der angekündigten Kreislaufwirtschaft in der EU kommen wird, in der Materialien und Produkte so lange wie möglich repariert und recycelt werden, ist ebenfalls unwahrscheinlich.[5]

Verfehlte Landwirtschaftspolitik

Ein weiteres wichtiges Element des neuen Sterns am politischen Himmel ist die Farm-to-Fork-Strategie, die eng mit der seit Jahren überfälligen Reform der Common Agricultural Policy (CAP) verwoben ist. Mittels dieser soll eine nachhaltige und zugleich ökonomisch tragfähige Land- und Ernährungswirtschaft aufgebaut werden.

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Würde jetzt aufgrund des Klimawandel der Wasserstand rapide ansteigen hieße -neun- auf einen Streich und zur  große Party würde sicher aufgerufen ?

Fraglos braucht es für eine Reduktion der CO2-Emissionen mehr Kohlenstoffsenken, also intakte Wälder, Wiesen und Feuchtgebiete. Doch in Europa wie auch in vielen anderen Regionen der Welt befinden sich diese mehrheitlich in einem katastrophalen Zustand. Nur 15 Prozent aller Habitate gelten der European Environment Agency (EEA) zufolge als gut erhalten. Um einem weiteren Verlust an Biodiversität entgegenzusteuern, müssten daher mehr Landflächen menschlicher Nutzung entzogen und große Flächen wieder aufgeforstet werden. Das ist seit Jahren bekannt. Doch um diese Ziele erreichen zu können, hätten mindestens 70 Prozent der EU-Agrarsubventionen, die 40 bis 45 Prozent des gesamten EU-Budget ausmachen, darauf ausgerichtet werden müssen. Dafür gibt es aber keinen Konsens, also gelten bis 2022 die alten Regeln. Die CAP ist eine teure und kontraproduktive Angelegenheit – so sehen es auch Teile der Business Community. Denn in dem Maße, in dem Naturräume schrumpfen, werden deren Leistungen systematisch erfasst und als biological and ecological services (BES) von Ökosystemen monetär bewertet und gehandelt. Daher haben Versicherungskonzerne wie Swiss Re ihr Geschäftsfeld erweitert und kalkulieren nun auf Dollarbasis, in welchem Umfang diese „Dienstleistungen“ zum jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukt eines Landes beitragen. Umgekehrt werden Beeinträchtigungen dieser Geldwertschaffenden Funktion von Ökosystemen als lost assets betrachtet. Unternehmen und Umweltschützer sind deshalb aufgefordert zusammenzuarbeiten, um den Beitragswert der Natur (die benefits) in ihre Operationen und ihre Kultur zu integrieren. Genau das scheint aber im Fall der EU nicht zu funktionieren.

Andere Nutzungsformen von Land werfen nämlich mehr Profit ab. Böden sind inzwischen weltweit zu einem Spekulationsobjekt geworden. Sie müssen als eine Art Parkplatz für akkumuliertes Kapital herhalten, das sich anderweitig nicht rentabel anlegen lässt. In der Erwartung kurzfristiger Gewinne werden dabei nicht nur fruchtbare Agrarböden in Rumänien, sondern auch weit weniger ertragreiche in Deutschland und anderswo von renditehungrigen Investoren aus dem In- und Ausland erworben. Denen geht es nicht primär um eine landwirtschaftliche Nutzung. Doch ihre Nachfrage macht es für landwirtschaftliche Betriebe immer teurer, Land zu pachten, derweil die Preise, die sie für ihre Produkte von Nahrungsmittelindustrie und -handel erhalten, kaum mehr ausreichen, um die Produktionskosten zu decken.

Somit lastet das ganze Gewicht des vollmundigen Versprechens der EU auf technologischen Lösungen zur Energiefrage – genauer: auf der als Dekarbonisierung beschriebenen Elektrifizierung von Verkehr, Wärmeerzeugung und Industrieproduktion sowie auf der Digitalisierung von nahezu sämtlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten.

Dekarbonisierung und Digitalisierung – Königswege aus der Krise?

Quelle       :          Blätter           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben         —       In a debate with MEPs, Ursula von der Leyen outlined her vision as Commission President. MEPs will vote on her nomination, held by secret paper ballot, at 18.00. Read more: <a href=“http://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20190711IPR56823/ursula-von-der-leyen-presents-her-vision-to-meps“ rel=“noreferrer nofollow“>www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20190711IPR5682…</a> This photo is free to use under Creative Commons license CC-BY-4.0 and must be credited: „CC-BY-4.0: © European Union 2019 – Source: EP“. (<a href=“https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/“ rel=“noreferrer nofollow“>creativecommons.org/licenses/by/4.0/</a>) No model release form if applicable. For bigger HR files please contact: webcom-flickr(AT)europarl.europa.eu

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