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Nancy Faesers Zukunft

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 2. Februar 2023

Die Frau aus Schwalbach, die alles will

Von Konrad Litschko

Bundesinnen­ministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungs­trägerin der Ampel. Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das gutgehen?

s war im November vergangenen Jahres, als sich Nancy Faeser offensichtlich angekommen fühlte. „Lieber Holger“, begrüßte sie Holger Münch, den Präsidenten des Bundeskriminalamts, als sie in Wiesbaden hinter dem Pult seiner Herbsttagung stand. Forschen Schrittes hatte sie die große Bühne betreten. Nun gab sie Münch mit auf den Weg, er solle den BKA-Beamten ihren herzlichen Dank für deren Arbeit ausrichten. Und Münch dankte der „lieben Nancy“ zurück: Das werde er ausrichten. Betonte Vertrautheit, auf offener Bühne.

Das war das eine Signal. Aber es gab noch ein zweites. Denn Faeser hätte auf dem BKA-Podium über den Krieg in der Ukraine reden können, über Cybercrime oder die „Heißer Herbst“-Proteste. Sie wählte: organisierte Kriminalität. „Wir müssen diese Strukturen dauerhaft zerschlagen“, rief die Bundesinnenministerin in den Saal. Ein Punkt sei ihr dabei „besonders wichtig“: die „Clankriminalität“. Diese sei „absolut inakzeptabel“, niemand stehe über dem Recht. „Und das müssen diese Leute lernen – wenn es sein muss, auf die harte Tour.“

Es klang nach neuen Tönen von Nancy Faeser. Nach klarer Kante, Law and Order. Ganz anders als der Sound, mit dem Faeser zu Amtsbeginn aufwartete. Und er war wohl bewusst gewählt, gerade hier beim BKA in Wiesbaden. Denn womöglich richtete sich auch da schon Fae­sers Blick nach Hessen.

Denn am 8. Oktober wird in dem Bundesland gewählt. Und kaum noch einer zweifelt daran, dass Faeser, die gebürtige Hessin und unangefochtene SPD-Landeschefin, jetzt am Freitag auf dem SPD-„Hessengipfel“ ihre Spitzenkandidatur erklärt. Die 52-Jährige selbst weicht seit Wochen dieser Frage aus. In ihrem Umfeld aber gibt es zu Fae­sers Kandidatur keinen ernsthaften Widerspruch mehr. Ein von der Partei aufgebauter Alternativkandidat existiert nicht. Bereits im November soll die hessische SPD-Führung als eines der großen Wahlkampfthemen vereinbart haben: die innere Sicherheit.

Hessen im Herbst

Am 8. Oktober wählt Hessen einen neuen Landtag. Für die CDU tritt Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) an, der im Mai 2022 das Amt des Ministerpräsidenten von Volker Bouffier (CDU) übernahm. Rhein regiert derzeit weiter mit den Grünen um Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Der wiederum gilt als ausgemachter Spitzenkandidat der Grünen bei der Hessenwahl.

Die längste Zeit CDU

Seit 24 Jahren regiert die CDU Hessen, seit zehn Jahren zusammen mit den Grünen. In Umfragen stand die CDU zuletzt mit 27 Prozent fünf Prozentpunkte vor SPD und Grünen, die gleichauf lagen. Die AfD käme demnach auf 12 Prozent, die FDP kreist um die 5-Prozent-Hürde. Die Linke, einst von der heutigen Parteichefin Janine Wissler angeführt, schafft es wohl nicht wieder in den Landtag. (taz)

Faeser ist zudem weiter in Hessen verwurzelt. An Wochenenden pendelt sie nach Schwalbach bei Frankfurt am Main, wo sie seit der Geburt lebt, nur vom Jura-Studium in Frankfurt unterbrochen. Mann und Sohn wohnen in der 15.000-Einwohner-Stadt im Vordertaunus, unmittelbar an der Frankfurter Stadtgrenze. Faeser ist bekennender Eintracht-Fan. Und wie hatte sie im Mai 2022 auf dem hessischen SPD-Parteitag gesagt, als sie als Landeschefin wiedergewählt wurde? „Mein Herz ist in Hessen.“ Und sie werde dafür kämpfen, dass das Land „wieder rot“ werde.

Keine makellose Bilanz als Innenministerin

Aber die Sache wirft mehrere Probleme auf. Denn offenbar ist Faeser gewillt, auch als Wahlkämpferin weiter Bundesinnenministerin zu bleiben – und soll dafür auch den Segen des Kanzlers haben. Aber geht das, mit einem Ministerium, das ständig in Alarmbereitschaft ist? Ein Sieg in Hessen, nach 24 Jahren CDU-Regierung, wäre zweifelsohne ein Coup für die SPD. Aber der ist keineswegs ausgemacht. In letzten Umfragen lag die CDU vorne, auch die Grünen setzen auf Sieg. Und Faesers Bilanz als Innenministerin, mit der sie in den Wahlkampf ginge, ist nicht makellos. Verliert sie am Ende, könnte sie wieder dort landen, wo sie zuvor war: in der hessischen Opposition.

Es war eine echte Überraschung, als Scholz damals Faeser für sein Ampelkabinett vorstellte – als erste Innenministerin der Bundesrepublik. 18 Jahre lang hatte Faeser in Hessen SPD-Innenpolitik gemacht, sich als Aufklärerin des NSU-Terrors und Polizeikennerin profiliert. Am Ende war sie Fraktions- und Landeschefin. Nun sollte sie in Berlin einiges anders machen als ihr CSU-Vorgänger Horst Seehofer.

Und das klappte, zunächst. Fae­ser erklärte den Kampf gegen den Rechtsextremismus als „ihr besonderes Anliegen“. Sie versprach im Bundestag Serpil Temiz Unvar, die beim Hanau-Anschlag ihren Sohn verlor, persönlich Aufklärung zu dem Attentat. Am Jahrestag reiste sie nach Hanau, hielt die Hand einer Angehörigen. Später verkündete Faeser einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, versprach auch in der Migrationspolitik „einen neuen Geist“. Deutschland sei „ein Einwanderungsland“, nun müsse es auch „ein besseres Integrationsland“ werden.

Und Faeser war und ist sehr präsent. Sie veröffentlichte Aktionspläne und Strategiepapiere. Sie besuchte Bundespolizist:innen, Feuerwehrleute, Ordnungsämter, ukrainische Geflüchtete, Gewerkschafter, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Sie reiste nach Israel, Brüssel oder zur WM nach Katar. Sie fuhr nach Mecklenburg-Vorpommern, als dort eine Geflüchtetenunterkunft niederbrannte, oder erst dieser Tage ins schleswig-holsteinische Brokstedt, wo ein Mann zwei junge Menschen in einem Zug erstochen und weitere verletzt hatte.

Bei alldem vergaß Faeser nie, sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Und tatsächlich hat sie einen guten Draht zur Polizei, auch jenseits von BKA-Chef Münch. Schon in Hessen besuchte sie Wachen, forderte mehr Personal und bessere Ausrüstung. Als Innenministerin schuf sie nun 2.000 neue Stellen für die Bundespolizei, versprach mehr Befugnisse und höhere Pensionen.

Polizeivertreter loben, dass sich die Sozialdemokratin ernsthaft für ihre Belange interessiere – was bei Seehofer, der sich gerne zurückzog, nicht immer klar gewesen sei. Auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kann gut mit Faeser. Bremste ihn Seehofer etwa bei der Beobachtung der AfD aus, liegt Haldenwang mit Faeser nun auf einer Linie. Sie nannte die AfD schon zu Hessen-Zeiten „Feind der Demokratie“.

Klagender Grünen-Fraktionär :

„Die Chance auf einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht genutzt“

Und dennoch wurde es zuletzt auch in der Ampel unruhig. Denn woran es lange fehlte, waren konkrete Maßnahmen und Gesetzentwürfe. Sieben Monate dauerte es, bis Faesers Ministerium einen ersten wirklichen Aufschlag machte – mit dem ersten Teil ihres „Migrationspakets“, das Kettenduldungen beenden und den Zuzug von Fachkräften erleichtern soll. Auch zu Faesers Rechtsextremismus-Aktionsplan, der „kurzfristige“ Maßnahmen ankündigte, folgten erst zum Jahreswechsel Gesetzentwürfe, hier zum Disziplinar- und Waffenrecht. Und den Verbotsreigen von Seehofer in der rechtsextremen Szene setzte Fae­ser bisher auch nicht fort – obwohl sie „Netzwerke zerschlagen“ wollte.

Ganz überraschen kann das nicht. Faeser kam von der hessischen Oppositionsbank, hatte nie zuvor eine Behörde geführt. Nun steht sie an der Spitze eines Großministeriums mit gut 2.000 Bediensteten und 19 unterstellten Behörden – das zuvor 16 Jahre lang in der Hand der Union war. Und das den Ruf genießt, ein Eigenleben zu führen.

Ausnahmezustand im Innenministerium

Zudem traf auch Faesers Ministerium der Krieg in der Ukraine unvermittelt: Am 24. Februar 2022 wollte sie eigentlich ein Diskussionspapier zum Demokratiefördergesetz präsentieren, da begann Russland seine Angriffe. Faeser sagte die Pressekonferenz ab. Und musste plötzlich die Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten koordinieren, über Hilfslieferungen und Grenzkontrollen entscheiden, später reiste sie nach Kiew. Ein Ausnahmezustand, auch in ihrem Haus.

So blieb in Faesers Ministerium lange erst mal einiges beim Alten. Auch Monate nach ihrem Antritt waren noch etliche Leitungsposten mit denselben Leuten wie unter Seehofer besetzt. Heute sind es noch die Hälfte der Abteilungsleiter:innen, die zentrale Bereiche wie Öffentliche Sicherheit, Migration oder Digitales führen. Bei den Un­ter­ab­tei­lungs­lei­te­r:in­nen sind es gar 17 von 20.

Und bei den Staats­se­kre­tä­r:in­nen blieb ausgerechnet der Posten für Migration fast ein Jahr lang vakant – die Arbeit wurde von anderen Staatssekretären und dem hausinternen Ukraine-Krisenstab miterledigt. Selbst Seehofers Heimatabteilung blieb erhalten – sie soll sich nun um gleichwertige Lebensverhältnisse oder politische Bildung kümmern.

Dazu schasste Faeser im Oktober Arne Schönbohm, den damaligen Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wegen vermeintlicher Russlandnähe. In Zeiten des Ukraine­kriegs sollte hier nicht der Hauch eines Verdachts entstehen. Konkrete Verfehlungen von Schönbohm im Dienst bleibt Faeser indes bis heute schuldig, der BSI-Personalrat schrieb erboste Briefe. Und die Leitung des BSI, das bundesweite Zentralstelle für IT-Sicherheit werden soll, ist bis heute vakant.

Dabei hatte sich die Ampel einiges vorgenommen. Eine „grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik“ wurde im Koalitionsvertrag versprochen, ohne Massenüberwachung, wissenschaftlich evaluiert. Ein progressiver Aufbruch. Nun aber klingt manches, was aus Fae­sers Haus kommt, als wäre es noch unter Seehofer entstanden: eine Cybersicherheitsstrategie, die liebäugelt mit Hackbacks, offensiven Gegenschlägen bei Cyberangriffen. Ein Hin und Her bei der Chatkontrolle, ein Bundespolizeigesetz, das den Beamten eine Quellen-TKÜ erlauben soll, ein Abgreifen von Kommunikation vor der Verschlüsselung – obwohl der Koalitionsvertrag genau das ausschließt.

Faeser für umstrittene Vorratsdatenspeicherung

Dazu forderte Faeser zuletzt, mit Verweis auf den Kampf gegen Kindesmissbrauch, offensiv die Vorratsdatenspeicherung ein – die Grüne und FDP vehement ablehnen. Auch will die Sozialdemokratin eine „Rückführungsoffensive“, will Frontex stärken – oder sich eben kriminelle „Clans“ vorknöpfen. Nach den Silvesterkrawallen sprach Faeser von migrantischen „Integrationsverweigerern“, die Klebeaktionen der Letzten Generation nannte sie „völlig inakzeptabel“, die Barrikadenbauer in Lützerath „verantwortungslos“. Und in Brokstedt fragte sie, warum der palästinensische Messerstecher überhaupt noch im Land sei. Da war sie wieder, die Law-and-Order-Nancy.

Bei Grünen und FDP verfolgt man das zunehmend frustriert. „Die Chance auf einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht genutzt“, klagt ein Grünen-Fraktionär. „Es wirkt, als hätten Faesers Fachabteilungen noch nicht begriffen, dass es einen Neuanfang gibt. Das Ministerium muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Auch in der FDP ist von einer „dürftigen Bilanz“ Faesers die Rede.

Ambitionierte Gesetzentwürfe, die Zeit brauchen

Quelle        :       TAZ-online           >>>>>>         weiterlesen 

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Grafikquellen          :

Oben     —   Nancy Faeser beim hessischen Landtag (2019)

Ein Kommentar zu “Nancy Faesers Zukunft”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die Nancy Faeser ist zeitlich noch nicht viele Jahre als Bundesinnenministerin tätig. Bisher scheint es das Nancy Faeser einen guten Dienst an der Gesellschaft leistet. Natürlich könnte das Streben für die Werte der Demokratie entschlossener bewerkstelligt werden. Deshalb wird die politische Laufbahn der Juristin, Nancy Faeser mit Ihren Erfahrungswerten als Bundesministerin an welcher Stelle auch immer glücklich verlaufen.

    Jimmy Bulanik

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