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Nahostkonflikt-Ära Trump

Erstellt von Redaktion am Sonntag 7. Januar 2018

Der Nahostkonflikt in der Ära Trump

Von Tsafrir Cohen

Ob eine Aussöhnung gelingen kann, liegt auch in der Verantwortung von Israels Alliierten in den USA und Europa.

Mit seiner jüngst erfolgten Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels nährt US-Präsident Trump wachsende Zweifel an der Realisierbarkeit der Zweistaatenlösung. Diese international bevorzugte Option, den israelisch-palästinensischen Konflikt dauerhaft zu regeln, umfasst den Rückzug Israels zu seinen international anerkannten Grenzen bei geringem und vereinbartem Gebietstausch, für beide Seiten akzeptable Sicherheitsarrangements und Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage sowie Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten.

Die Realität vor Ort spricht indes eine klare Sprache. In den 1967 besetzten Palästinensergebieten etablierte sich allen Friedensgesprächen zum Trotz ein Projekt der permanenten israelischen Herrschaft. In jenen 60 Prozent der Westbank, die Israel direkt unterstellt sind, und im von Israel annektierten Ostjerusalem wurden über eine halbe Million israelische Staatsbürger völkerrechtswidrig angesiedelt, während die dort lebenden Palästinenser in dicht bevölkerte Enklaven verdrängt werden. Diese werden von Palästinensern zwar verwaltet, doch das Eigenständigkeit simulierende Gebaren der im bitterarmen Gazastreifen herrschenden Hamas oder der Präsidententitel von Mahmud Abbas, der der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) vorsteht, die die Westbank-Enklaven verwaltet, sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Enklaven in allen wesentlichen Aspekten von Israel abhängen.

Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan gibt es also de facto nur einen Souverän, den israelischen Staat. Israels Regierung möchte die Kon­trolle über die Palästinenser behalten und die Ausweitung der Siedlungen ermöglichen. Zugleich fürchtet sie um die Vorrechte der jüdischen Bevölkerung, wenn alle Menschen im Land gleiche Rechte genössen. Denn schon heute gibt es hier keine jüdische Mehrheit mehr. Folglich ist ein verschlungenes System entwickelt worden, in dem die Einwohner je nach Staatsbürgerschaft, Wohnort und ethnisch-religiöser Zugehörigkeit unterschiedliche Rechte besitzen – mit dem vorrangigen Ziel, den Palästinensern Bürger- und andere Rechte vorzuenthalten, was einige Beobachter dazu veranlasst, dieses System als eine Form der Apartheid zu definieren.

Gibt es heute noch Kräfte, die die Zweistaatenlösung Realität werden lassen können?

In Israel besteht momentan keine zwingende Notwendigkeit, ein solches Projekt historischen Ausmaßes zu unternehmen. Die Wirtschaft wächst und das Land ist zum führenden Forschungs- und Hightech-Standort geworden. Die Außenbeziehungen Israels werden durch die Besatzung kaum gestört, während die Kosten dafür durch ausländische Geldgeber übernommen werden. Der Konflikt nützt zudem den Regierenden. Sie nutzen die äußere Gefahr, um die immer wieder aufflammende Unzufriedenheit mit einem Prozess der Konzentration von Kapital und Macht in die Hände weniger und der Schrumpfung der Mittelklasse einzuhegen und um den Zusammenhalt einer Einwanderergesellschaft zu stärken, in der eine fragile israelische Identität mit einem Geflecht anderer Gruppenidentitäten konkurriert.

Schließlich gibt es in Israel momentan keine nennenswerte Opposition, die es mit Israels stärkster Lobby, der Siedlerbewegung, aufnehmen könnte, da die Arbeitspartei den nationalistischen Diskurs der Rechten übernommen hatte und eine Allianz mit der Gemeinsamen Liste ablehnt – der neuen großen Kraft in Israel, die für eine Zweistaatenlösung steht und die arabisch-palästinensische Minderheit repräsentiert.

Derweil steckt die PA in einem Dilemma. Ihre Legitimation hängt ab von ihrer Fähigkeit, palästinensische Nationalinteressen zu vertreten, gleichzeitig ist sie völlig von Israel und ausländischen Geldgebern abhängig und muss Israels Sicherheitsanforderungen durch repressive Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung durchsetzen. Auch deshalb hat sie alles daran gesetzt, die von den Großmächten vorgegebenen Parameter auf dem Weg zur Zweistaatenlösung zu erfüllen. Vergebens. Ihre letzte verbliebene Karte ist die Internationalisierung des Konflikts, etwa den Internationalen Gerichtshof in die Pflicht zu nehmen, damit er Israel in die Schranken weist.

Der Erfolg ist mäßig, da das westliche Ausland darauf zögerlich bis ablehnend reagiert. Damit verstärken sich die Fliehkräfte, so im Gazastreifen: Hier folgte der physischen die politische Abspaltung, und im Gazastreifen herrscht die repressive Hamas, die ihrerseits Einschüchterung benötigt, um ihre schwindende Popularität zu kompensieren.

Angesichts dessen gibt es drei zivilgesellschaftliche palästinensische Bewegungen, die sich der Besatzung stellen: Die eine fördert einen passiven Widerstand gegen die Vertreibung von Palästinensern aus der Westbank, etwa durch den Wiederaufbau zerstörter Häuser, die zweite fordert Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel, und die dritte eine gewaltfreie Volksintifada mit Demonstrationen und Streiks. Die Unterdrückungsmechanismen der israelischen Behörden und, mehr noch, der PA, die auf der Basis eines Systems von Patronage und finanzieller Abhängigkeit agiert, sowie die Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft lassen all das jedoch derzeit unrealistisch erscheinen. Die Option einer bewaffneten Intifada wird zwar immer wieder aufgeworfen, doch Israel scheint zu übermächtig, die Angst vor Krieg und Chaos angesichts der Fernsehbilder aus der Region sowie die Müdigkeit nach zwei vorherigen bewaffneten Aufständen zu groß.

Quelle     :       TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle     :        Ein Plakat der Nahost-Friedensbewegung: Die israelische und die palästinensische Flagge, dazwischen das Wort „Frieden“, oben in arabischer und unten in hebräischer Sprache. Vergleichbare Darstellungen wurden von unterschiedlichen Gruppen verwendet, die eine Zweistaatenlösung des Nahostkonflikts unterstützen.

 

 

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