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RENTENANGST

Nachruf auf Norbert Blüm

Erstellt von Redaktion am Sonntag 26. April 2020

Ein Mann, der von Nähe lebte

Bundesarchiv B 145 Bild-F078539-0037, Wiesbaden, CDU-Bundesparteitag, Blüm.jpg

Von Barbara Dribbusch

Norbert Blüm führte die Pflegeversicherung ein und war Verteidiger der gesetzlichen Rente – trotz Kompromissen und Missverständnissen.

Diesem Mann konnte man nicht böse sein, und genau das war sein Geschäftsmodell. Es war sein Modell der politischen Repräsentation, die zu seiner Zeit immer auch ein Versuch der Versöhnung war zwischen links und rechts. Man merkte ihm an, dass diese Versöhnungsversuche Kraft kosteten, und das machte ihn nahbar und beliebt. Was ihm schmeichelte, denn er war durchaus auch ein Angeber, ein eher kleingewachsener Mann mit großer Klappe und einem kabarettkompatiblen hessischen Zungenschlag.

Norbert Blüm, Werkzeugmacher, Doktor der Philosophie, Katholik, Kabarettist und langjähriger CDU-Sozialminister unter der Regierung Helmut Kohl, ist am Donnerstag im Alter von 84 Jahren gestorben.

Schon die letzten Nachrichten von Blüm waren traurige. Nach einer Blutvergiftung war er von der Schulter abwärts gelähmt, saß zu Hause in Bonn im Rollstuhl. Wie eine Marionette ohne Fäden fühle er sich, ließ er mitteilen. Man hätte ihm sehr gewünscht, dass ihm am Ende seines Lebens eine solche Herausforderung für Tapferkeit und Durchhaltevermögen erspart geblieben wäre.

Blüm war sowohl gewerkschaftsaffin als auch kirchennah, seine Biografie wies eine Lehre in der Fabrik, aber auch ein Studium mit Promotion auf. Geboren in Rüsselsheim, ging er nach dem Abschluss der Volksschule als 14-Jähriger 1949 drei Jahre lang zu Opel in eine Lehre als Werkzeugmacher. In diesem Beruf arbeitete er bis 1957.

Der missverstandene Renten-Spruch

Danach holte er auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studierte an der Universität Bonn die Fächer Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie, wobei er auch Veranstaltungen von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst, besuchte. Er promovierte in Philosophie.

Blüm war in seiner Jugend Messdiener und Sankt-Georgs-Pfadfinder gewesen. 1950, also mit 15 Jahren, trat er in die IG Metall ein und im selben Jahr auch in die CDU. Aus heutiger Sicht hätte man ihn politisch mehr der SPD zugeordnet, aber das „sozialdemokratische Fahrwasser“, so erzählte der Katholik später, sei irgendwie nicht sein Fahrwasser gewesen. Also die CDU, wo er dem linken Flügel angehörte und als Bundesarbeitsminister in der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl zwischen 1982 und 1998 seine politisch wichtigste Zeit erlebte.

Bekannt wurde Blüm durch den Spruch: „Die Rente ist sicher“, der ihm Spott und Häme einbrachte, weil er später an Rentenreformen beteiligt war, die die Kürzung des Altersruhegelds mit sich brachten. „Die Rente ist sicher“ galt ab sofort für viele Kritiker als ein Beispiel nicht eingehaltener politischer Versprechen. Tatsächlich aber ist die Betrachtung der Genese dieses Spruchs ein Beispiel, wie politische Aussagen verfremdet, neu kontextualisiert und von der Gegenseite instrumentalisiert werden können.

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Was Blüm da im Wahlkampf 1986 plakatierte, war nämlich der Spruch: „Denn eins ist sicher: die Rente.“ Das ist nicht ganz das Gleiche. Zur Höhe der gesetzlichen Rente im Auf und Ab der kommenden Reformen ist damit nichts versprochen und nichts garantiert.

Urheber der Pflegeversicherung

Nach den Erfahrungen der Finanzkrise, einbrechenden Aktienmärkten und einer Riester-Rente, die zwar in der Verwaltung teuer ist, aber den Ärmeren nichts bringt, hielt Blüm erst recht an seiner Verteidigung der gesetzlichen Rente als allerwichtigstem Alterssicherungsmodell fest. Bei einem Auftritt vor sechs Jahren in der Satiresendung „Die Anstalt“ im ZDF zum Rententhema heimste er damit Beifall ein.

Blüm erzählte gerne aus seiner Lebensgeschichte und zelebrierte dabei eine Mischung aus Nähe und Bescheidenheit, die gut ankam bei Menschen, die zwar über eine Wählerstimme, aber nicht über Privilegien verfügen. In einem Hintergrundgespräch zum Thema Hospize und Sterbehilfe in den 90er Jahren schilderte Blüm eindringlich eine Sterbebegleitung in seiner Familie, manchen JournalistInnen standen darob Tränen in den Augen. Diesem Mann nahm man alles ab.

Als Minister war er ein harter Arbeiter, ein richtiger Facharbeiter für Sozialpolitik. Er begleitete die deutsche Einheit, als über Nacht Millionen Ostdeutsche in das deutsche Rentensystem und in die Arbeitslosenversicherung eintraten.

Obwohl die Finanzlage der Sozialkassen angespannt war, schaffte es Blüm, ab 1995 die Pflegeversicherung einzuführen. Es war die letzte große Sozialreform, die ein Abgabensystem aus Beitragsmitteln der erwerbstätigen Bevölkerung installierte. Mit der steigenden Massenarbeitslosigkeit entbrannte kurz darauf eine Diskussion über die hohen „Lohnnebenkosten“ – es wäre dann nicht mehr möglich gewesen, eine solche Versicherung aufzubauen, die Hunderttausende Pflegebedürftige vor der Aufzehrung ihres Vermögens und dem Gang zum Sozialamt bewahrt, auch wenn deren Ausgestaltung heute wieder als zu gering anmutet.

Quelle       :      TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —       Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. 13.06. – 15.06.1988 36. CDU-Bundesparteitag in der Rhein-Main-Halle in Wiesbaden

2 Kommentare zu “Nachruf auf Norbert Blüm”

  1. Schichtwechsler sagt:

    Ein guter Mann, leider in der falschen Partei.

  2. Bremer der Zweite sagt:

    Mensch fragt sich, wie so ein anständiger Mensch, sich in diesem Milieu so lange halten konnte.
    Norbert Blüm kam aus einem katholischen Elternhaus und nahm deshalb diesen Weg.
    Eine „richtige“ Partei sehe ich in diesem Bundestag nicht.
    Deshalb kommt DIE LINKE ja auch schon lange nicht mehr über 9%.

    Ich erinnere mich an ein Streitgespräch zwischen ihm und Walter Riester (SPD) um die soziale Rentenversicherung und der
    „Privat-Vorsorge“ durch die „Riester-Rente“.

    Während SPD-Riester und ehemaliger IG-Metall-Gewerkschaftsfunktionär kräftig für die Privatisierung und gegen die soziale Rentenversicherung argumentierte, hat ihm Norbert Blüm (CDU) nicht nur vehement widersprochen, sondern ihm sinngemäss den „Verrat“ an allen Ideen und Realitäten der Sozialversicherungen vorgeworfen,

    Blüm war so etwas von aufgeregt, dass jeder erkennen konnte, diesem Mann geht es wirklich um „seine“ genauer gesagt,
    um die Sache der versicherten Arbeitnehmer.

    Diese Verteidigungshaltung hat er auch gegen seine eigenen neoliberalen CDU-Parteigenossen durchgehalten, wenn er auch dem immer stärker werdenden neoliberalen „Mainstream“ von CDU-SPD letztlich unterlegen war.

    Von da an, etwa 1998, hatten SPD-Schröder, Steinmeier, Clement, Müntefering, Steinbrück, Schulz, Nahles, Schneider, Kahrs, Heil, Scholz freie Bahn, den ausbeuterischen Kapitalismus im um die ehemalige DDR vergrösserten Deutschland zu implementieren und gesetzlich festzuschreiben.

    Und der Partei DIE LINKE fällt seit vielen Jahren, mit Frau Kipping u. Herrn Riexinger an der Spitze, fällt nicht Besseres ein,
    als das Thüringer, Berliner und Bremer „Rot“-„Grün“-„Rot“-Modell auf Bundesebene anzustreben.

    Eine Riege von Partei-Funktionären um Kipping und Riexinger, die über 10 Jahren tätig ist und
    bei Umfragen und Wahlen immer zwischen 07 -10% herumdümpelt, und dass bei diesen verheerenden sozialen Verhältnissen, insbesondere seit 1998, dem Antritt der Schröder-SPD, war und ist u n w i l l i g eine klare politische Position zu formulieren,
    bei der der Wähler glauben kann, was er nach der Wahl wahrscheinlich bekommen kann.

    Das Halten ihrer Bundestags- und Landtagsmandatsplätze mit dem ganzen Voll- und Teilzeitbeschäftigten Parteianhang
    auf Basis der eben genannten grottenschlechten Wahlergebnissen, reicht den Mit-Essern der parlamentarischen Demokratie vollkommen aus.

    Ein Mann namens Norbert Blüm und dessen Realismus („Ein Harmonie suchender Mensch ist nicht für das Politik-Leben geeignet“)
    und Charakter, siehe dessen Kampf um sie Sozialversicherungen (Gerade auch die Einführung der Pflegeversicherung) und seinem Einsatz in seiner nachpolitischen Zeit, werden wir bestimmt sobald nicht wiedersehen.

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